Aktionsplattform für Islamisten "Auf welcher Seite steht die Türkei?"
16.08.2016, 20:01 Uhr
Eine Einschätzung der Bundesregierung über den Umgang Ankaras mit Islamisten wird dem Urteil der deutschen Presse zufolge den diplomatischen Dialog nicht beflügeln. Trotz der Kompromisse der Flüchtlingspolitik, müsse sich am Kuschelkurs mit der Türkei etwas ändern. Die Kritik werde in der Türkei auf heftige Reaktionen treffen, doch das müsse Berlin in Kauf nehmen, wenn es sich nicht unglaubwürdig machen will, urteilen die Kommentatoren.
Die Westfälischen Nachrichten erkennen, dass sich die Bundesregierung bislang dezent mit der Kritik an der Türkei zurückgehalten hat: "Umso brisanter ist ein vertrauliches Papier einzustufen, das jetzt in Berlin kursiert. Demnach gilt der Erdogan-Staat als 'zentrale Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen'". Das sei nicht mehr nur starker Tobak - das ist hoch explosiver politischer Sprengstoff, schreibt das Blatt aus Münster. ... Mit der Vertraulichkeit sei es nun vorbei. Und auch die stille Hoffnung, dass die Erdogan-Türkei wieder auf den Pfad der Tugend gen Europa zurückfinden könnte. "EU und Nato müssen dringend ihr Verhältnis zu Ankara klären. Wegducken geht nicht mehr", urteilen die Kommentatoren.
Die Landeszeitung aus Lüneburg stellt die Frage: "Peinliche Diplomatie-Panne oder doch gezielte Indiskretion?" Die harsche Beurteilung der Türkei durch die Bundesregierung als Unterstützerland für Islamisten überrascht die Kommentatoren aus Lüneburg. "Nicht inhaltlich, sondern wegen des Zeitpunktes, an dem sie die Öffentlichkeit erreichte. Jetzt wird sich Erdogan noch mehr in seine Rolle als verratener Unverstandener hineinsteigern. Die Fakten stützen die Analyse des Bundesnachrichtendienstes." Allzulange sei die Türkei bereitwillig Rückzugsraum und Aufmarschgebiet für Dschihadisten gewesen. Sehr spät erfolgte der Kurswechsel mit Artilleriebeschuss auf IS-Stellungen, dem grünen Licht für US-Jets in Incirlik und einer Anti-IS-Allianz mit Russland, heißt es. "Aber - er ist erfolgt. Von daher erfolgt das Anprangern des Torwächters der EU zum falschen Zeitpunkt."
"Das BND-Dossier, das jetzt durch Indiskretion öffentlich wurde, wird den diplomatischen Dialog nicht beflügeln, sondern auf heftige Kritik am Bosporus treffen", urteilt Die Welt. Die Bundesregierung werde abwiegeln, um die Kompromisse der Flüchtlingspolitik zu retten. Der Westen von Washington bis Berlin habe viel Übung darin, gegenüber der Türkei Fünfe gerade sein zu lassen, kritisieren die Kommentatoren. "Aber wenn jetzt von amtlicher Seite - der BND genießt im Nahen Osten den Ruf funktionaler Kompetenz und historischer Sachkunde - festgestellt wird, dass es eine direkte Verbindung vom türkischen Präsidenten zur international als Terrororganisation klassifizierten Hamas-Truppe in Gaza gab und gibt und die bekannten Fakten dies bestätigen, dann wird es ernst." Es stelle sich die Frage, auf welcher Seite die Türkei stehe.
Das Staubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung sagt voraus, dass die Antwort aus der Türkei heftig ausfallen dürfte. "Doch auch die Bundesregierung könnte nun ruhig mehr Tacheles reden. Nicht um der reinen Eskalation willen. Doch sollten Berlin und Europa insgesamt endlich vernehmbarer für ihre Werte eintreten und diese auch vehementer von ihren Partnern einfordern." Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei sei spätestens jetzt ebenso unmöglich wie Visa-Erleichterungen. Der Flüchtlingsdeal könne infolge dessen platzen. "Doch das muss Berlin in Kauf nehmen, will es sich selbst auf Dauer nicht unglaubwürdig machen", schließen die Kommentatoren.
Die Dithmarscher Landeszeitung ist eher von der Deutlichkeit als dem Inhalt überrascht. "Die Bundesregierung oder wenigstens ein Teil von ihr sieht die Türkei als zentrale islamistische Aktionsplattform." Es gehöre wenig prophetische Gabe dazu, vorherzusagen, dass sich am Kuschelkurs mit Ankara trotzdem kaum etwas ändern werde, vermutet das Blatt aus Heide.
Zusammengestellt von Juliane Kipper.
Quelle: ntv.de