Armenien-Resolution im Bundestag "Jetzt herrscht Krisenmodus"
02.06.2016, 21:08 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Nicht nur die Abgeordneten des deutschen Bundestags demonstrieren Einigkeit bei der Armenien-Frage - auch die Kommentatoren der deutschen Zeitungen sind sich einig. Nahezu geschlossen begrüßen sie die Entscheidung, das Massaker an den Armeniern als Völkermord einzustufen. Uneinigkeit herrscht dagegen, wie das Fernbleiben von Merkel, Gabriel und Steinmeier bei der Abstimmung zu bewerten ist. Auch die zu erwartende Reaktion der Türkei bleibt nicht unkommentiert.
Die Rhein-Neckar-Zeitung sieht in der Reaktion der Türkei auf die Resolution die Bestätigung, dass die Armenien-Resolution die richtige Entscheidung war: "Genau die Entschiedenheit aus Ankara war es, die dem Bundestag keine andere Möglichkeit ließ, als diesen Völkermord als das zu bezeichnen, was er ist." Auch für das Selbstverständnis des Deutschen Bundestags sei das Votum wichtig gewesen, so die Zeitung aus Heidelberg. Das gelte auch für die lauter werdenden Stimmen aus der Türkei: "Wenn nun ein Vorstandsmitglied der türkischen Regierungspartei AKP deutsche Parlamentarier türkischer Abstammung wegen ihres Votums als Verräter bezeichnet und sie vor Reisen in die alte Heimat warnt, dann ist das rückwirkend die beste Bestätigung". Allerdings bemängeln die Kommentatoren das Fernbleiben der Kanzlerin: "Merkels Anwesenheit hätte die Sache rund gemacht."
Auch die Neue Osnabrücker Zeitung kritisiert das Fehlen wichtiger Regierungsmitglieder: "Wie klein!" kommentiert das Blatt die Außenwirkung. Zudem sei die Abwesenheit unnütz gewesen, wie die im Nachhinein von Erdogan veranlasste Einbestellung des türkischen Botschafters zeige. Es sei erschreckend deutlich geworden, so die Kommentatoren, wie sehr auf die Befindlichkeiten des türkischen Präsidenten Erdogan Rücksicht genommen werde. "Denn in der Sache zweifelt keiner an der Erklärung des Bundestags. Die Sorge gilt allein der Reaktion des Herrschers in Ankara, der sich keinen Deut um die Aufarbeitung des armenischen Völkermords schert." Gegen den "erbärmlichen" Auftritt Erdogans habe das deutsche Parlament allerdings Stärke bewiesen. Mit seiner einfühlsamen, kundigen und weitsichtigen Debatte habe es "vieles zurechtgerückt", so die Neue Osnabrücker Zeitung.
"Jetzt herrscht Krisenmodus": So ordnet die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung die Armenien-Resolution im Bundestag ein. Im Gegenteil zu anderen Blättern loben die Kommentatoren das Fernbleiben von Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel als richtige Entscheidung. Zwar werde es vielerorts als peinlich und feige bezeichnet, so die Zeitung, "Tatsächlich war es aber klug". Gerade weil die deutsch-türkischen Beziehungen zu wichtig seien, sollten sie nicht über Gebühr belastet werden, konstatiert die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung. " Das Signal, das der Bundestag gesendet hat, war so schon stark genug."
Eine Signalwirkung erkennt auch die Stuttgarter Zeitung im Umgang mit dem Völkermord an den Armeniern und sieht einen Akt der Selbstbehauptung in der Entscheidung des Bundestages: " Ein Parlament ist weder Geschichtsseminar noch Tribunal. Doch gerade vor dem Hintergrund der heiklen Beziehungen (…) war die umstrittene Deklamation (…) auch ein Akt der Selbstbehauptung". In dem Trotz, den das Wort Völkermord beinhalte, so die Zeitung, breche sich der Unmut über die Abhängigkeit Deutschlands "von einem selbstherrlichen Neosultan wie dem türkischen Präsidenten Erdogan" Bahn.
Zusammengestellt von Judith Günther
Quelle: ntv.de