Pressestimmen

Erdogan im Visier der Presse "Niemand weiß, wer Freund und Feind ist"

Wegen den jüngsten Anschläge der Terrormiliz IS alarmiert Recep Tayyip Erdogan die Nato. Ein Eingreifen mit militärischer Unterstützung ist nicht gewollt, die Türkei bittet lediglich um Solidarität. Zeitgleich wird der Friedensprozess mit der PKK beendet. Die Presse diskutiert.

"Die wiedererwachte amerikanisch-türkische Kooperation hat einen hohen Preis: Erdogan kündigt den Friedensprozess mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK auf und lässt offenbar einige ihrer Stellungen bombardieren", erkennt die Hannoversche Allgemeine Zeitung und schreibt weiter: "Seine Attacken gelten nicht nur der eigenen - türkischen - Grenzsicherung, sondern auch dem wachsenden Selbstbewusstsein der Kurden, die ein eigenes Staatsgebilde in bald greifbarer Nähe sehen." Im wahrsten Sinne des Wortes hätten sich die Kurden eine Position erkämpft, die auf lange Sicht eine Neuordnung der Landkarte erwarten lasse. "Ohne ihre Standfestigkeit hätten die US-Luftschläge gegen die IS wenig ausrichten könnten. In der schwer durchschaubaren Gemengelage der geschundenen Region droht damit eine weitere, neue Front."

"Die ohnehin schwierige Mehr-Fronten-Situation in der Region wird ab sofort nicht klarer, sondern noch unübersichtlicher. Und damit noch gefährlicher", ordnet die Rhein-Zeitung die aktuellen Geschehnisse ein. "Weil Washington sich mit einem Partner verbündet hat, der mit seinen Aktionen dafür verantwortlich ist, dass niemand mehr weiß, wer jetzt eigentlich Freund und wer Feind ist." Es sei zwar richtig, dass der Plan einer vom Islamischen Staat befreiten Pufferzone zwischen Syrien und der Türkei sinnvoll und ein großer Sieg über die Extremisten wäre. "Doch die Gefahr, dass dieses Vorhaben im Blut aller Seiten untergeht, bleibt groß."

Die Neue Osnabrücker Zeitung weiß um die Angst der Natostaaten vor einem Bürgerkrieg: "Offiziell war die Einstellung der Türkei zur kurdischen Arbeiterpartei PKK bei der Krisensitzung der Nato kein Thema, hinter den Kulissen aber sehr wohl. Aus gutem Grund: Die Staaten des Militärbündnisses wollen, dass sich der Bürgerkrieg in Syrien nicht auf die Türkei ausweitet." Die westlichen Regierungen sollten daher zwischen Erdogan und der PKK vermitteln, meint das Blatt. Die Terrormiliz IS sei gefährlich genug, und im Vorgehen gegen sie werde Erdogan ebenso gebraucht wie die türkischen Kurden. "Sollte es nicht gelingen, die innenpolitischen Spannungen in der Türkei einzudämmen, gibt es viele Verlierer."

Für eine Unterstützung der Deutschen und der Nato spricht sich Die Welt aus: "Entschlossen führt Erdogan nicht nur den Kampf gegen die Terroristen des IS, sondern nutzt mit kalter Wildheit auch die Krise, um seine Macht im Inneren auszubauen." Dennoch verdiene die Türkei aber bei allen Fehlern, die sie im Umgang mit dem IS begangen hat, den Beistand der Nato im Allgemeinen, die deutsche Unterstützung im Besonderen. "Zunächst zur Nato: Im Bündnis kommt der Türkei an der Südostflanke eine Schlüsselrolle zu, die von keinem anderen Land der Region übernommen werden könnte. Und die Deutschen? Sie mögen nicht vergessen, dass die Türkei ihr ältester Verbündeter ist."

Und die Aachener Zeitung resümiert: "So ist es zwar gut, dass die Nato der Türkei ihre Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus zusichert. Ebenso gut ist aber, dass das Bündnis die Angriffe gegen die Kurden ausdrücklich nicht erwähnt." Es sei die unausgesprochene Distanz zum Vorgehen Ankaras, vielleicht sogar mehr: eine dringende Mahnung. "Denn ohne Peschmerga, so die einhellige Meinung, wäre der IS nicht zurückzudrängen, geschweige denn zu besiegen. Das der Türkei zu vermitteln, dürfte zu den heiklen Aufgaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehören. Aber auf offene Ohren wird er wohl kaum stoßen. Denn die Chance auf Neuwahlen macht Erdogan kurzsichtig."

Zusammengestellt von Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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