Faktencheck zum Bürgergeld Familien mit oder ohne Arbeit: Wer bekommt mehr Geld?
01.09.2023, 15:06 Uhr Artikel anhören
Lohnt sich da arbeiten noch?
(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Illus)
Lohnt sich Arbeit überhaupt noch? CDU-Politiker Jens Spahn hat jüngst Bürgergeld-Empfänger und Durchschnittsverdiener gleichgestellt. Doch wie sieht es bei vierköpfigen Familien tatsächlich aus?
Ab 2024 sollen Bürgergeld-Empfänger statt bisher 502 dann 563 Euro im Monat bekommen. Volljährige Partner in Bedarfsgemeinschaften sollen dann 506 Euro monatlich (bisher 451 Euro) erhalten. Für Jugendliche vom 15. Lebensjahr bis unter 18 Jahre sollen künftig 471 statt 420 Euro fließen. Für Kinder vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres werden 390 statt 348 Euro gezahlt. Für Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres soll es dann 357 statt 318 Euro geben.
Das sorgt für Unruhe. So hat der CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn die Erhöhung jüngst als "falsches Signal" bezeichnet. Nach seinen Worten soll eine vierköpfige Familie, die Bürgergeld bezieht, schon jetzt genauso viel Geld zur Verfügung haben wie eine Familie mit Durchschnittsverdienern.
Die Behauptung: "Nach heutiger Rechtslage (vor der Bürgergelderhöhung) erhält eine vierköpfige Familie im Schnitt 2311 Euro an Bürgergeld. Damit hat sie faktisch so viel zur Verfügung wie eine Durchschnittsverdiener-Familie in Deutschland", sagte Spahn in der "Bild"-Zeitung.
Die Bewertung: Falsch
Fakten: Die von Spahn genannte Zahl findet sich zwar tatsächlich in einer Tabelle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Stand: 1. Januar 2023). Dort sind zur Einführung des Bürgergelds in diesem Jahr exemplarische Berechnungen dargestellt. In einem der Szenarien ist die Rede von einem "(Ehe-)Paar", das zwei Kinder im Alter von 4 und 12 Jahren hat - und 2311 Euro erhält. Berücksichtigt wurden bei der Berechnung die aktuellen Sätze - also die vor der geplanten Erhöhung zum nächsten Jahr.
Die vier Personen erhalten der Tabelle zufolge aktuell zusammen 1568 Euro an Bürgergeld. Dazu kommen 743 Euro für laufende und einmalige Kosten der Unterkunft. Addiert sind das genau die 2311 Euro, von denen Spahn sprach. Der übliche Kindergeldanspruch von 250 Euro je Kind ist im Bürgergeld enthalten.
Doch wie sieht es bei Durchschnittsverdienern aus?
Ein Paar mit mindestens einem Kind hat im Schnitt (Stand: 2021) in Deutschland ein Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 5809 Euro. Das geht aus den 2022 veröffentlichten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervor.
Sind beide Arbeitnehmer verheiratet und verdienen in etwa das Gleiche, kommt das Paar gemeinsam auf etwa 4000 Euro netto. Dazu erhält die Familie monatlich Kindergeld in Höhe von 500 Euro bei zwei Kindern. Für Wohnen und Energie gibt das Statistische Bundesamt für Paare mit einem Kind und mehr 1226 Euro im Monat an. Nach Abzug dieser Kosten blieben der vierköpfigen Familie mehr als 3200 Euro übrig.
Wie sieht es bei Geringverdienern aus?
Bei Geringverdienern sieht es wie folgt aus. Szenario: eine vierköpfige Familie mit Alleinverdiener, der nur den Mindestlohn von derzeit 12 Euro pro Stunde bekommt. Was einem Bruttojahresgehalt von 23.800 Euro entspricht und netto um die 1450 Euro einbringt. Hinzu kommen hier allerdings 500 Euro Kindergeld. Also landet die Familie bei 1950 Euro monatlich.
Auf den ersten Blick hat solch eine Familie scheinbar einen finanziellen Nachteil im Vergleich zu Bürgergeldempfängern. Allerdings können Menschen mit geringem Einkommen und dabei insbesondere Familien verschiedene staatliche Zuwendungen von jeweils mehreren Hundert Euro erhalten. Dazu gehören etwa Wohngeld oder Kinderzuschlag in Höhe von bis zu 250 Euro pro Kind im Jahr 2023.
Das Wohngeld wurde zum Jahresanfang deutlich erhöht, um durchschnittlich rund 190 Euro pro Monat. Die konkrete Summe hängt aber von Einkommen, Miete und Wohnort ab und ist individuell sehr unterschiedlich. Vor der Erhöhung lag das durchschnittliche Wohngeld bei etwa 177 Euro pro Monat, dieser Durchschnittswert könnte nun auf 370 Euro steigen. Kosten für Heizung und Warmwasser werden inzwischen bei der Wohngeldberechnung berücksichtigt.
Angenommen, die Geringverdienerfamilie hätte im Jahr 2022 nur das durchschnittliche Wohngeld in Höhe von 177 Euro erhalten und bekäme zudem den maximalen Kinderzuschlag von 458 Euro (229 Euro x 2), würde die Familie auf insgesamt 2585 netto pro Monat kommen.
Fazit
Rein rechnerisch lohnt sich Arbeiten für Geringverdiener mit einem finanziellen Vorteil von 274 Euro monatlich (2585 minus 2311 Euro) in dem genannten Beispiel kaum. Ob sich das Bürgergeld unter den genannten Annahmen als die bessere Variante entpuppt, kann nicht pauschal beantwortet werden, da dies von dem individuellen Lebensentwurf abhängt. Beachtet werden sollte aber immer, dass wer einen Job ausübt, Teil des Arbeitsmarktes ist. Mit allen daraus resultierenden Möglichkeiten und Chancen. Zudem gilt es wie immer, auch an die Rente zu denken. Wer in die Rentenkasse einzahlt, erhöht damit seinen Rentenanspruch. Wer hingegen Bürgergeld erhält, für den führt das Jobcenter keine Beiträge an die Rentenversicherung ab.
Quelle: ntv.de, awi/dpa