Formel1

Verstappen kämpft gegen Hamilton Schumachers Idee darf nicht das Vorbild sein

Beim Crash in Monza rettete der Cockpitschutz Halo Hamilton vor schweren Verletzungen.

Beim Crash in Monza rettete der Cockpitschutz Halo Hamilton vor schweren Verletzungen.

(Foto: imago images/PanoramiC)

Dreimal schon sind Max Verstappen und Lewis Hamilton in dieser Saison kollidiert. Bei der WM-Entscheidung im letzten Rennen droht ein Skandal, der den spannenden Kampf um den Formel-1-Titel nachhaltig beschädigen könnte. Wenn Verstappen es nämlich so angeht wie Michael Schumacher 1997.

Jerez, ein Sonntag im Oktober 1997. Die Formel 1 hat sich für ihr Saisonfinale in Andalusien eingefunden, Michael Schumacher geht mit einem Punkt Vorsprung auf Jacques Villeneuve in den Großen Preis von Europa. Der Kanadier sichert sich zwar in einem bis heute einzigartigen Qualifying - Villeneuve, Schumacher und Heinz-Harald Frentzen fahren auf die Tausendstelsekunde exakt dieselbe Zeit - die Pole Position, verliert aber den Rennstart und fällt schon auf dem Weg in die erste Kurve auf Platz zwei hinter Schumacher zurück.

In der 48. von 69 Runden schließt Villeneuve zum Ferrari-Piloten auf, versucht in einer Rechtskurve innen zu überholen. Schumacher lenkt plötzlich ruckartig nach rechts, trifft mit seinem rechten Vorderreifen die linke Seite des Williams, rutscht ins Kiesbett und scheidet aus. Villeneuve steuert seinen beschädigten Boliden auf Platz drei ins Ziel und ist Weltmeister. Der Weltverband FIA urteilt kurz darauf, Schumacher habe die Kollision absichtlich verursacht und disqualifiziert ihn aus der Fahrerwertung. Eine britische Zeitung schreibt stellvertretend für die öffentliche Wahrnehmung Schumachers, dieser habe im Finale der Saison 1997 "den letzten Rest seines Rufes als fairer Sportsmann" verspielt.

Jerez 1997.

Jerez 1997.

(Foto: imago images/Motorsport Images)

An die Ereignisse dieses denkwürdigen Sonntags vor 24 Jahren fühlen sich in dieser Woche viele Menschen erinnert, die es mit der Formel 1 halten. Nicht zum ersten Mal wird Max Verstappen dabei mit Schumacher verglichen, bisher ging es dabei zumeist um anerkennende Parallelen. Der unendlich erscheinende Ehrgeiz, alles aus dem Auto herauszuholen. Die Prophezeiung schon nach den ersten Rennen, da sitze ein "künftiger Weltmeister" im Cockpit. Die Fähigkeit, im Regen zu dominieren, wenn sich nach Meinung der Fachwelt die wahre Klasse eines Piloten zeigt.

Monza, Silverstone, Dschidda, Abu Dhabi?

Allerdings gehören zur einzigartigen und herausragenden Karriere Schumachers nicht nur die 68 Pole Positions, die 91 Rennsiege und die sieben Weltmeistertitel, sondern auch die Kontroversen. Die Kollision mit WM-Rivale Damon Hill in Adelaide 1994, die Rascasse-Affäre in Monaco 2006.

Jerez 1997 war ein Tiefpunkt, den Schumacher wenige Tage danach als "Fehler" bezeichnete. Er habe "einige Stunden lang die Wiederholungen angeschaut und dann erst verstanden, was da passiert ist". Eine Einsicht, die sich in diesen Tagen nach der Eskalation in Runde 37 des Großen Preises von Saudi-Arabien auch so mancher von Verstappen wünschen würde.

"Wo führt das noch hin?", fragte der "Telegraaf" aus der niederländischen Heimat des WM-Führenden angesichts des Bremsmanövers, durch das Lewis Hamilton ins Heck von Verstappens Red Bull krachte und sich den Frontflügel deutlich sichtbar beschädigte. Dass der britische Titelverteidiger anschließend trotz demoliertem Auto an Verstappen vorbei zum Sieg und zur schnellsten Rennrunde fuhr, war einerseits bemerkenswert und sorgte andererseits dafür, dass die beiden Rivalen jeweils mit 369,5 Punkten in den Großen Preis von Abu Dhabi (Sonntag, 15 Uhr/Sky und im Liveticker bei ntv.de) gehen. Mit leichtem Vorteil für Verstappen, der trotz Punktgleichheit als alleiniger Erster geführt wird, weil er neun Grands Prix des Jahres gewonnen hat und damit einen mehr als der Mercedes-Pilot.

Die Sorge, nicht nur beim "Telegraaf", ist jetzt, dass die herausragende Saison - fünfmal wechselte die Führung in der Fahrerwertung, erstmals seit 1974 sind zwei Piloten vor dem Finale nach Punkten gleichauf - ein unwürdiges Ende findet. Dann nämlich, wenn Verstappen in Abu Dhabi wieder "über dem Limit" fährt, wie es ihm Hamilton nach dem Unfall am vorigen Sonntag vorwarf. Es war die dritte Kollision der beiden Ausnahmefahrer in diesem Jahr. In Silverstone siegte Hamilton trotz einer daraus resultierenden Zehn-Sekunden-Strafe, während Verstappen mit fast 300 Kilometern pro Stunde in die Reifenstapel einschlug und kurzzeitig im Krankenhaus behandelt werden musste.

"Das kann sich niemand leisten"

In Monza schieden beide aus, auf Hamiltons Helm fanden sich Reifenspuren von Verstappens Red Bull und die Formel 1 atmete durch, dass seit der Saison 2018 das Halo-System den Kopf der Fahrer schützt. "Der Halo hat ihm das Leben gerettet", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff über Hamilton, auf dessen Mercedes Verstappens Auto zum Stillstand gekommen war. Beide schieden aus, für den Niederländer gab es als Verursacher eine Rückversetzung in der Startaufstellung für das nächste Rennen und Strafpunkte. In Dschidda kam Verstappen mit einer nachträglichen Zehn-Sekunden-Strafe davon, die am Rennergebnis nichts mehr änderte.

Schon vor der heftigen Berührung in Runde 37 waren die Widersacher sich sehr nahe gekommen, vor allem am Ende der Start-Ziel-Geraden. Dort hatte sich Verstappen auch eine Fünf-Sekunden-Strafe für ein zu hartes Manöver gegen Hamilton eingehandelt. Der wiederum sich für denjenigen hält, dessen Umsicht und Kompromissbereitschaft es zu verdanken sei, dass es bislang nur drei Zusammenstöße in dieser Saison gegeben hat. "Ich habe definitiv das Gefühl, dass es Situationen gab, in denen das der Fall war", sagte er in Saudi-Arabien, und lieferte auch eine Erklärung, warum: "Für ihn spielt es keine Rolle, wenn wir nicht ins Ziel kommen."

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Denn im nun folgenden WM-Finale muss Hamilton in die Punkte fahren und vor Verstappen ins Ziel kommen, um sich mit seiner achten Weltmeisterschaft zum alleinigen Rekordchampion zu machen. Ein Titel, den der 36-Jährige sich derzeit mit Michael Schumacher teilt. Dem zwölf Jahre jüngeren Verstappen dagegen würde es auch reichen, wenn das letzte Rennen für die beiden WM-Rivalen so endet wie der Grand Prix in Monza: mit einem gemeinsamen Ausfall. Dann wäre er der erste Niederländer auf dem Formel-1-Thron, der erste Nicht-Mercedes-Weltmeister in der Hybrid-Ära, der zweite Red-Bull-Champion nach Sebastian Vettels vierfachem Triumph zwischen 2010 und 2013.

Die Hoffnung ist, da herrscht seltene Einigkeit zwischen Red Bull und Mercedes, ein faires Saisonfinale. "Ich glaube, es wird nicht eskalieren", sagte Toto Wolff in Dschidda, "es kann sich niemand leisten, mit einem Ergebnis dazustehen, das nicht auf der Strecke aufgefahren worden ist." Und auch Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko betonte, das Team werde für den Titel "alles tun, aber keine unfairen Aktionen starten". Damit Abu Dhabi 2021 nicht endet wie Jerez 1997. Zumal Rennleiter Michael Masi in seinen Notizen an die Fahrer ungewohnt deutlich machte, dass auch eine nachträgliche Disqualifikation denkbar ist, wie sie Schumacher vor 24 Jahren ereilte.

Quelle: ntv.de

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