Gruselige Italien-Bilanz der DFB-Elf Fürs erste Mal übt Löw sich in Demut

Ratlos: Joachim Löw während des EM-Halbfinals 2012 gegen überraschend übermächtige Italiener.

Ratlos: Joachim Löw während des EM-Halbfinals 2012 gegen überraschend übermächtige Italiener.

(Foto: imago/Annegret Hilse)

Mit einer Kampfansage beraubt Joachim Löw seine DFB-Elf bei der EM 2012 ihrer Stärke. Nun geht es wieder gegen Italien. Und nicht nur der Bundestrainer will zeigen, dass er in den vier Jahren dazugelernt hat. Aber: hat er?

Vor dem Spiel zeigte sich Joachim Löw von seiner forschen Seite. Um nicht zu sagen, er nahm den Mund ganz schön voll: "Dieses Mal werden wir als Sieger vom Platz gehen." Das ist mal eine Ansage, schließlich sagte der Bundestrainer das vor dem Spiel gegen Italien. Das ist die Mannschaft, gegen die deutsche Fußballer bei einem Turnier noch nie gewonnen haben, sei es bei einer Welt-, oder einer Europameisterschaft.

Das Zitat ist allerdings fast auf den Tag genau vier Jahre alt. Er hat es bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine gesagt. Die DFB-Elf hatte nach drei guten, erfolgreichen Gruppenspielen gegen Portugal, die Niederlande und Dänemark im Viertelfinale gegen Griechenland 4:2 gewonnen. Nun ging es in Warschau im Halbfinale gegen Italien. Löw wollte den Sieg erzwingen - und wurde bezwungen.

Wie sich die Zeiten doch ändern. Nun, bei dieser EM in Frankreich, vor dem Viertelfinale am Samstag in Bordeaux (ab 21 Uhr im Liveticker bei n-tv.de), wollen Löw und sein Team immer noch siegen. Aber der Bundestrainer hält sich zurück. In dieser Woche gab er in Évian, dort, wo der DFB logiert, das Motto vor: "Bescheidenheit und Demut ist das Gebot der Stunde." Er sagte das ganz ruhig, nippte an seinem Espresso und betonte, er habe ein gutes Gefühl. "Ich freue mich wahnsinnig auf dieses Spiel." Ob diese Zurückhaltung und diese Lockerheit echt oder vorgespielt sind, wird sein Geheimnis bleiben. Aber sie stehen ihm besser als ein Versprechen, das er womöglich nicht halten kann.

Eins hat sich nicht geändert: Die DFB-Elf wartet immer noch auf das erste Mal. Vor vier Jahren in Warschau verlor sie mit 1:2. Zweimal hatte Mario Balotelli getroffen, der nun nicht mehr dabei ist, bevor Mesut Özil in der Nachspielzeit noch ein Elfmetertor gelang. Spät, viel zu spät, sodass dieser Treffer in der Erinnerung oft verschwindet, überdeckt von dem Foto, das den Jubel Balotellis nach dem 2:0 neun Minuten vor der Pause zeigt. Es zeigt den Italiener mit nackten Oberkörper in imposanter Bodybuilderpose. Ein Foto, das um die Welt ging und seither als Symbol für die Entzauberung einer deutschen Mannschaft stand, die sich nach dem Weltrekord von 15 Pflichtspielsiegen hintereinander auf dem Weg ins Finale nach Kiew wähnte.

Verzockt? "Solche Dinge passieren"

Neben dem Schmerz ist die Pose von Italiens Doppeltorschütze Mario Balotelli vom Löw-Trauma in Warschau geblieben.

Neben dem Schmerz ist die Pose von Italiens Doppeltorschütze Mario Balotelli vom Löw-Trauma in Warschau geblieben.

(Foto: imago sportfotodienst)

Diese Niederlage war die bitterste in der nun zehn Jahre währenden Amtszeit Löws. Das hat er inzwischen mehrmals eingestanden. Während nach dem Halbfinal-Aus noch Schlagzeilen wie "Löw hat sich verzockt" für Unmut beim Verband und seinem obersten Trainer sorgten, spricht er mittlerweile selbst davon, dass es keine gute Idee war, Toni Kroos eigens darauf anzusetzen, Italiens Spielmacher Andrea Pirlo aus dem Spiel zu nehmen. Verzockt? "Solche Dinge passieren. Auch ein Trainer macht Fehler." Doch der Bundestrainer ist keiner, der einen Fehler zweimal macht. Nach der Schmach von Warschau war er für vier Wochen abgetaucht und meldete sich erst im August vor dem Testspiel gegen Argentinien in Frankfurt mit einer Grundsatzrede zurück. Sein Credo: "Unser Weg stimmt. Es gibt keinen Grund, völlig von unserem Konzept abzuweichen."

Zwei Jahre später, im goldenen Sommer 2014, wurde er mit der Mannschaft Weltmeister. In Brasilien leitete er die Mannschaft pragmatischer an, als er es zuvor getan hatte. So ließ der Freund des schönen Spiels in den ersten Partien vier Innenverteidiger auflaufen. Als sich Shkodran Mustafi im Achtelfinale gegen Algerien verletzte, beorderte er seinen Kapitän Philipp Lahm vom Mittelfeld zurück auf die Position des rechten Außenverteidigers - wohl auf dringenden Rat der Mannschaft. Auch nun in Frankreich zeigt er sich flexibel, gegen Nordirland im letzten Gruppenspiel ließ er Mario Gomez spielen, einen Mittelstürmer, wie er ihn eigentlich nicht mehr haben wollte in seiner Auswahl der hochtalentierten Techniker.

Und wer schoss das Tor zum 1:0? Genau. Löw lobte Gomez explizit dafür, dass der meist im Strafraum lauert, um seine Chance kämpft, so zwei Abwehrspieler beschäftigt und Platz schafft für die Kollegen. Löw war vor zwei Jahren schon nicht mehr der Trainer, der seine Ideen durchsetzt, ohne sie mit der Wirklichkeit abzugleichen. Also anders als in Warschau, als er dachte, sein Kniff mit Kroos und Pirlo müsse einfach greifen. Und sich doch untreu wurde, weil er seine Aufstellung zu sehr an den Stärken des Gegners ausrichtete.

Fast auf den Tag genau vier Jahre später sagt er über diese schmerzliche Niederlage: "Im Nachhinein hat sie uns allen geholfen. Sie hat auch mir als Trainer geholfen." Dazu passte auch seine Warnung nach dem 3:0 im Achtelfinale gegen die Slowakei, als Gomez das erste Tor erzielte und die DFB-Elf in Lille ihre bisher beste Leistung bei dieser zähen EM in Frankreich zeigte. "Ich stimme jetzt nicht in den Chor derer ein, die uns jetzt zum absoluten Favoriten erklären. Diese Leistung alleine reicht nicht, um dieses Turnier zu gewinnen." Bei aller Demut - Europameister werden will der selbstbewusste Weltmeistertrainer dann schon.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen