DFB-Elf in der EM-Einzelkritik Müller platt, Boateng mosert, Neuer ohne Job

In der Offensive läuft es bei den Deutschen derzeit nicht rund.

In der Offensive läuft es bei den Deutschen derzeit nicht rund.

(Foto: picture alliance / dpa)

Dass Joachim Löw es geahnt hat, dürfte den Bundestrainer kaum trösten. Beim 0:0 gegen Polen im zweiten EM-Spiel enttäuscht die Offensive doch arg. Und der Chef der Abwehr wird hinterher glatt ein wenig pampig.

Jetzt wissen wir, was Joachim Löw gemeint hat. Der Bundestrainer hatte vor dem Turnier davon gesprochen, diese Fußball-Europameisterschaft werde ein Abnutzungskampf. Das 0:0 der deutschen Mannschaft am zweiten Spieltag der Gruppe C vor 80.000 Zuschauern im Stade de France war der Beweis, dass Löw so falsch nicht lag. Am Ende stand das erste torlose Spiel dieser EM und für Löw die Erkenntnis, dass es mit den Offensivkünsten seiner Mannschaft derzeit nicht so weit her ist: "War nicht das, was wir von unserer Mannschaft normalerweise erwarten können."

Es bleibt also bei dem Fluch des zweiten Spiels, der auf der DFB-Elf  lastet. Seit Joachim Löw der Bundestrainer ist, gewann sie zwar zweimal bei einer Weltmeisterschaft und dreimal bei einer EM ihre Auftaktpartien. Danach aber folgte regelmäßig ein Hänger. Bei der EM 2008 verlor sie mit 1:2 gegen Kroatien; bei der WM 2010 mit 0:1 gegen Serbien; bei der EM 2012 gewann sie dann mit 2:1 gegen die Niederlande, bei der WM 2014 reichte es immerhin zu einem 2:2 gegen Ghana. Und nun das 0:0 gegen Polen. Sagen wir es so: Ruhmreich war das nicht. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik:

Manu, der Libero, war gegen Polen nicht gefragt.

Manu, der Libero, war gegen Polen nicht gefragt.

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Manuel Neuer: Gegen die Ukraine zum Auftakt war es der 30 Jahre alte Torhüter des FC Bayern, der seiner Mannschaft mit einer titanesken Leistung den Sieg rettete. Die französische Zeitung "Le Monde" konstatierte: "Deutschland konnte sich auf einen gigantischen Neuer verlassen." Nun, in der Partie gegen Polen tat das nicht not, er verbrachte einen weitgehend ruhigen Abend. Und wenn es aus deutscher Sicht eine gute Nachricht gibt, dann war sie das. Ansonsten lief Neuer in seinem 67. Länderspiel wieder als Kapitän auf. Doch im Gespräch mit dem "Kicker" hatte er brav betont, dass er, was dieses Amt betrifft, nur der Ersatzmann Bastian Schweinsteigers sei: "Basti ist unser Kapitän, wenn er zurückkehrt. Er muss es mir nachsehen, dass ich ihm in den letzten drei Minuten gegen die Ukraine die Binde nicht gab." Gegen Polen tat auch das nicht not. Schweinsteiger blieb das gesamte Spiel auf der Bank. Zufrieden war Neuer letztlich nicht: "Das war nicht einfach. Polen hat es gut gemacht. Wir müssen uns was einfallen lassen gegen Mannschaften, die defensiv gut stehen. Wir hatten kaum zwingende Torchancen. Wir sind stark, wenn wir Räume haben und schnell spielen."

Benedikt Höwedes: Der 28 Jahre alte Schalker durfte auch im zweiten Turnier- und seinem 36. Länderspiel am rechten Ende der Viererkette verteidigen. Er ist so etwas wie der Glücksbringer der DFB-Elf: In seinen 16 Pflichtspielen gewann er 15 Mal - nur beim 2:2 gegen Ghana in der Vorrunde der WM 2014 einmal nicht. Na ja, und jetzt gegen Polen halt. Er machte seine Sache in der Defensive durchaus ordentlich, packte sogar einige Male die Grätsche aus. Aber wenn es darum ging, das Spiel seiner Mannschaft über die Flügel anzukurbeln, war er so gut wie nie dabei. Wenn etwas ging im deutschen Spiel, dann über die linke Seite. Es bleibt bei dem Fazit, das bereits nach dem Auftaktspiel galt: Höwedes spielt solide, aus dem Duell mit Kamil Grosicki ging er als Punktsieger hervor. Aber er bleibt auf dem Weg nach vorne limitiert. Allerdings: Die Kollegen haben ihn auch nicht gerade gesucht. Vielleicht wäre es ja mal einen Versuch wert, ihm doch bisweilen den Ball zuzuspielen, auf dass er nach vorne stürmt.

Jérôme Boateng: Der 27 Jahre alte Tatortreiniger vom FC Bayern gilt als kritischer Geist. Und so hatte er vor seinem 61. Länderspiel seinen Kollegen eine Mahnung mit auf den Weg gegeben: Sie sollten doch bitte alle in der Defensive mitarbeiten. "Das Problem geht vorne los, da wird der Gegner vielleicht nicht mehr richtig angelaufen, und dann fällt es automatisch auch dem Mittelfeld schwer, aggressiv dagegen zu gehen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung." Und prophezeite: "Wenn das im weiteren Verlauf des Turniers gegen andere Mannschaften passiert, dann klingelt's ein-, zweimal." Das war gegen Polen nicht das Problem. Boateng war wieder einmal einer der Besten seines Teams, er räumte ab, was es abzuräumen gab. Er ist über jeden Zweifel erhaben und entschied die meisten Duelle mit Robert Lewandowski für sich. Besonders stark war die Szene in der 59. Minute, als er mit einer Grätsche an der Strafraumgrenze seinen Münchner Klubkollegen abblockte, als der just im Begriff war, den Ball aus aussichtsreicher Position aufs Tor zu schießen. Zusammen mit dem Kollegen Hummels hatte er auch Lewandowskis Sturmkompagnon Arkadiusz Milik im Griff. Nur einmal war er nicht auf der Höhe, als er sich kurz nach der Pause doch arg verschätzte und am Fünfmeterraum den Ball durchrutschen ließ. Besagter Milik war davon allerdings so überrascht, dass er das Spielgerät ebenfalls verpasste. Wie erwähnt: Die Defensive war stark. Das Problem war nur, dass die Kollegen im Angriff an diesem Abend enttäuschten. Und so moserte Boateng: "Wir können froh sein, dass wir 0:0 gespielt haben. Wir haben kein Eins-zu-Eins-Duell in der Offensive gewonnen. Wir haben uns als Mannschaft gut defensiv verhalten, besser als gegen die Ukraine. Aber offensiv hat viel gefehlt."

Mats Hummels: Er ist wieder da. Und das mit einer guten Leistung. Am Anfang wackelte er zwar ein wenig, wirkte mitunter verwirrt. Spätestens aber, als er nach 22 Minuten gegen Milik rettete, war er im Spiel und kam immer besser hinein - er ist und bleibt ein starker Zweikämpfer. Seit dem Pokalfinale am 21. Mai, das der 27 Jahre alte Innenverteidiger mit Borussia Dortmund gegen seinen künftigen Verein, den FC Bayern, im Elfmeterschießen verlor, hat er nicht mehr unter Wettkampfbedingungen Fußball gespielt. Beim Endspiel hatte er sich nach 78 Minuten auswechseln lassen, seitdem plagte ihn ein Muskelfaserriss. Nun hatte er in seinem 47. Länderspiel, seinem ersten seit dem 4:1 im Testspiel gegen Italien Ende März, den Kaltstart an der Seite des Kollegen Boateng gewagt. Seine Stärkste Szene hatte er, als er kurz vor dem Ende der Partie gegen Milik rettete. Da applaudierte sogar Toni Kroos. Hinterher sagte Hummels:  "Wir haben es nicht geschafft, das Spiel zu kontrollieren. Die Polen haben uns mit Kontern oft in Schwierigkeiten gebracht, in der zweiten Halbzeit hatten wir Glück. Polen ist ein schwieriger Gegner, aber wir müssen einen drauflegen."

Jonas Hector: Der 26 Jahre alte Kölner gilt im deutschen Kader als einzig ernsthafte Option für den Posten des Linkverteidigers, wie in jeder Partie der Jahre 2015 und 2016 stand er also auch gegen Polen in der Startelf - wie gegen die Ukraine als einziger Nicht-Weltmeister. Und er machte seine Sache in seinem 16. Länderspiel wirklich gut - im Gegensatz zu seinem Pendant auf der rechten Seite. Nur das mit den Flanken könnte er noch ein wenig trainieren. Dabei wurde Hector übrigens oft vom Kollegen Boateng angespielt, der - wir hatten versäumt, das zu erwähnen - durchaus noch die Muße, und das Können sowieso, hatte, sich mit seinen präzisen Diagonalpässen um den Spielaufbau zu kümmern.

Sami Khedira: Auch der 29 Jahre alte Mittelfeldspieler von Juventus Turin hatte sich mit dem Fluch der zweiten Turnierpartie beschäftigt. Viel dazu eingefallen ist ihm aber nicht: "Wenn es eine Formel dafür geben würde, hätten wir es längst abgestellt." Und mutmaßte: "Vielleicht waren wir nach dem guten ersten Spiel zu zufrieden." Kassierte in seinem 62. Länderspiel gleich nach drei Minute für ein taktisches Foul im Mittelfeld die erste Gelbe Karte des Spiels, was seiner bisweilen rustikalen Spielweise als kämpferischer Teil der Doppelsechs vor der Abwehrkette nicht unbedingt entgegenkam. Ob es daran lag, dass er mitunter doch etwas zurückhaltend im Zweikampf wirkte? Ansonsten kümmerte er sich redlich darum, dem Spiel seines Teams etwas Zug nach vorne zu verleihen. Und weil das nicht ganz so gut klappte, probierte er mehrmals, aus der Distanz ein Tor zu erzielen - letztlich auch vergeblich. Dennoch wird er wohl auch am Dienstag im letzten Gruppenspiel gegen Nordirland wieder seinen Platz in der Startelf bekommen.

Der "Fixpunkt" im deutschen Spiel: Toni Kroos. Auch er konnte nicht dafür sorgen, dass die DFB-Elf ein Tor gegen Polen schießt.

Der "Fixpunkt" im deutschen Spiel: Toni Kroos. Auch er konnte nicht dafür sorgen, dass die DFB-Elf ein Tor gegen Polen schießt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Toni Kroos: Der Bundestrainer hat den 26 Jahre alten Denker und Lenker des deutschen Spiels in dieser Woche als "Fixpunkt" der Mannschaft bezeichnet. Und in der Tat war der Madrilene bei 2:0 gegen die Ukraine der beste Spieler seines Teams, als der Mann fürs Konstruktive im zentralen Mittelfeld, mal auf einer Linie mit den Innenverteidigern, mal weiter vorne, fast wie ein klassischer Spielmacher. In seinem 67. Länderspiel nun machten es ihm die Polen sehr schwer, sein traumhaft sicheres Passspiel aufzuziehen. Und er kümmerte sich aufopferungsvoll um seine Defensivaufgaben, war oft sogar hinter Khedira und sich für nichts zu schade. Die Frage ist nur, ob ihn seine Mannschaft etwas weiter vorne nicht noch besser gebrauchen kann. Sein Fazit: "Es hat einfach ein bisschen was gefehlt, die Bälle waren zu einfach weg. Wir haben defensiv ordentlich gespielt, die Polen hatten vielleicht eine große Chance. Aber vorn fehlte einfach was. Wir müssen jetzt das letzte Gruppenspiel gewinnen und als Erster durchkommen."

Thomas Müller stolpert seiner WM-Form noch hinterher.

Thomas Müller stolpert seiner WM-Form noch hinterher.

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Thomas Müller: Der 26 Jahre alte Flügelspieler des FC Bayern hat vor seinem 73. Länderspiel dem "Stern" erklärt, wie er den Begriff Führungsspieler definiert: "Ich zähle jetzt auch zu denen, die dafür sorgen müssen, dass sich hier ein Drive in eine Richtung entwickelt. Und ich zähle jetzt ja auch zum Kreis derjenigen, denen man einen Misserfolg ankreiden würde." Ansonsten sei es so: "Generell bin ich nicht der Typ, der schnell zweifelt: Wenn ich viermal nicht gewonnen habe, wird schließlich die statistische Wahrscheinlichkeit größer, dass es klappt." Stellt sich trotzdem die Frage, was mit Müller los ist. Schon gegen die Ukraine erwischte er einen gebrauchten Abend. Und nun im Stade de France lief es auch nicht viel besser. Er rackerte zwar, aber die Leichtigkeit, die zündenden Ideen und auch die Torgefährlichkeit gehen ihm derzeit ab. Ob er erschöpft ist von einer langen und anstrengenden Saison in München? Den Eindruck macht er. Aber wer weiß: Wenn einer für eine Überraschung gut ist, dann doch der Müllerthomas.

Mesut Özil: Am 27 Jahre alten Zauberfuß vom FC Arsenal scheiden sich die Geister. Allzu oft bemängeln seine Kritiker, er sei während des Spiels abgetaucht, so eine häufige Formulierung auch nach der Partie gegen die Ukraine. Das sah er anders: "Ich habe eine gute Leistung gebracht mit einem tollen Assist." In der Tat hatte er die Vorlage zu Bastian Schweinsteigers 2:0 gegeben. Und in seinem 75. Länderspiel an diesem Donnerstag gegen Polen? Nun, wenn die deutsche Offensive so enttäuschte, dann lag das auch an ihm. Auch er bemühte sich, auch er half in der Defensive mit und bekam dort für ein Foul nach einer guten halben Stunde die Gelbe Karte. Aber auch er rannte sich allzu oft in der polnischen Abwehr fest und verlor dabei den Ball. Und auch ihm fehlten die Leichtigkeit und der Elan, dem Angriffsspiel seiner Mannschaft zumindest so etwas Ähnliches wie Durchschlagskraft zu verleihen. Auch er versuchte es vergeblich mit einem Schuss aus der Distanz. Die Diskussion um ihn wird jedenfalls weitergehen. Und dann spielt der beste Vorlagengeber der englischen Premier League am Dienstag (ab 18 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) im Pariser Prinzenpark gegen die Nordiren doch wieder von Beginn an. Auch, weil kaum einer in der Mannschaft so ein Potential hat wie er.

Julian Draxler: Der 22 Jahre alte Wolfsburger gewann zwar wieder das Duell mit seinem Teamkollegen André Schürrle um den Platz auf der linken Seite im Mittelfeld. In sein 21. Länderspiel startete er durchaus schwungvoll und mit einigen guten Aktionen, dann aber merkte man ihm doch an, dass er keine gute Saison hinter sich hat. Nachhaltig genutzt haben dürfte er seine Chance letztlich kaum. Sich stets nur zu bemühen, das reicht dann irgendwann nicht mehr. Zumal bei ihm nie die Gefahr zu bestehen schien, dass er irgendwann einmal ein Tor schießt. Aber auch für ihn gilt: In der Defensive war das besser als gegen die Ukraine. Für ihn kam nach 72 Minuten der 30 Jahre alte Mario Gomez von Besikas zu seinem ersten Einsatz bei dieser EM und somit zu seinem 64. Länderspiel. Die deutschen Fans, die ihn sonst doch so oft ausgepfiffen hatten, feierten ihn, als er den Rasen betrat. Endlich ein echter Angreifer, mögen sie gedacht haben. Doch auch ihm gelang es nicht, die polnische Abwehr zu knacken, er blieb ohne eine Chance. So muss er weiter auf seinen 28. Treffer für die DFB-Elf warten.

Mario Götze: Er ist 24 Jahre jung - und offensichtlich begehrt. Während sie ihn beim FC Bayern offenbar nicht mehr brauchen, soll nun der FC Arsenal um ihn buhlen. Jedenfalls behauptet das englische Boulevardblatt "The Sun", die Gunners böten den Münchnern 34 Millionen Euro, um sich die Dienste des nun 54fachen Nationalspielers zu sichern. Gegen Polen hatte er wieder den Vorzug vor Mario Gomez bekommen, weil der Bundestrainer im Sturmzentrum einen kleinen, wendigen und trickreichen Mann haben wollte. Allein: Viel gelang Götze nicht. Und als er dann zwei Minuten nach der Pause seine Chance bekam und nach einem Steilpass des Kollegen Kroos frei vor Lukasz Fabianski stand, schoss der den Ball mit dem rechten Fuß genau auf den polnischen Torhüter. Danach musste er sich anhören, wie die Zuschauer nach Gomez riefen. Nach 66 Minuten nahm der Bundestrainer Götze aus dem Spiel - und brachte André Schürrle vom VfL Wolfsburg. Der kam so mit seinen 25 Jahren zu seinem 54. Länderspiel, bemühte sich stets und wird doch in der Nationalmannschaft der ewige Joker bleiben.

Quelle: ntv.de

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