Die Lehren des 17. Spieltags Dummheit, Dusel, Druck. Und Klinsmann
23.12.2019, 10:47 Uhr
Jürgen Klinsmann hat richtig Spaß auf der Bühne Bundesliga.
(Foto: imago images/Camera 4)
Womöglich darf sich die Bundesliga doch an Jürgen Klinsmann gewöhnen. Zu geschmeidig läuft es für den Trainer bei der Hertha. Der FC Bayern muss bald ein bizarres Personalrätsel lösen. Das ist indes weniger kompliziert als die Entschlüsselung des BVB-Mysteriums.
1. Wenn morgen Bundesliga wäre ...
... hätte der FC Bayern ein Problem. Elf Profis zu finden, die nicht angeschlagen, verletzt oder gesperrt sind - unmöglich. Auf dem ohnehin schon vollgeschriebenen Papier der Nichtigen wurden am Samstag noch die Namen Joshua Kimmich (Gelbsperre), Robert Lewandowski (geplante Leisten-OP) und Javi Martinez (etwas Schweres mit dem Muskel) notiert. Nun, wäre, wäre Fahrradkette, Bundesliga ist (für den FC Bayern) erst wieder am 19. Januar. Und bis dahin kann sich am Krankenstand noch etwas zum Guten verändern oder aber Sportdirektor Hasan Salihamidzic Quantitätsversäumnisse im Kader korrigieren. Zwar eierte der Klub erfolgreich in die Winterpause, mit neun Punkten aus drei Spielen in acht Tagen. Aber nach dem Torfest gegen Werder Bremen (6:1) trat der Substanzverlust beim SC Freiburg (3:1) und gegen den VfL Wolfsburg (2:0) offen zutage. Kaschiert wurden das Mühsal und der Dusel des ausgelaugten und dezimierten Aufgebots lediglich durch die phänomenale Geschichte von Erstkontakt-Erlöser Joshua Zirkzee. Bei Sky wurde er zugleich von Dietmar Hamann zum "Didi-Man" erhoben (wir finden, das sollten Sie wissen). Nun, bei aller Euphorie und allem Hansi-Hype - der erfolgreiche Hansemann bleibt wie erwartet mindestens bis Saisonende Cheftrainer - ist aber noch nichts gewonnen. In der Bundesliga steht die Mannschaft nach dem 17. Spieltag auf Rang drei und hat mindestens mit RB Leipzig einen gierigen und konstanten Konkurrenten. In der Champions League wartet im Achtelfinale die durchaus unangenehme Aufgabe FC Chelsea und im Pokal kommt die TSG Hoffenheim, die in der Liga ja bereits in München gewonnen hat. Mit Dusel wird's da kaum reichen.
2. Wenn morgen Bundesliga wäre (II) ...
... dann könnte Borussia Dortmund eine unliebsame Frage beantworten. Nämlich die nach der eigenen Dummheit. Die hatte Lucien Favre zum großen Thema gemacht, nachdem seine Mannschaft bei der TSG Hoffenheim den nächsten unerklärlichen Leistungsabfall erlitten hatte. Nun ist aber Pause und die Frage nach der eigenen Dummheit schleppt sich wie zäher Ballast mit durch die nächsten vier Wochen. In denen haben die Dortmunder ohnehin genug zu tun. Sie müssen (und wollen das freilich auch) unter anderem ihre Kader-Fehleinschätzung - ein zweiter klassischer Stürmer fehlt - korrigieren. Sie müssen der fehlenden Konstanz ihres Spektakel-Kaders auf die Schliche kommen und vielleicht auch noch mal über die beiden großen Hinrunden-Themen Konzentration und Mentalität reden. Elf verschenkte Punkte aus vier Spielen sind trotz vier beeindruckend gewendeter Partien zu wenig für den eigenen Anspruch. Und der lautet ja immer noch: Deutscher Meister werden.
3. Der Titelfavorit kommt aus Leipzig
RB Leipzig kann noch viel mehr. Das sagt Timo Werner. Um zu wissen, was das bedeutet, muss man kein Chef-Analytiker bei einer Denkfabrik sein. Denn wenn der Herbstmeister, das sind die Leipziger, noch viel mehr kann als Herbstmeister zu werden, dann ist das einzig richtige Resultat dieser Gleichung: Deutscher Meister. Und es gibt sehr viel belastbares Material zur Beweisführung: (1) die taktische Flexibilität und Reife durch Trainer Julian Nagelsmann, (2) der aberwitzige Druck, mit dem die in Tiefe und Breite bestens bestückte Power-Offensive ihre Gegner zermürbt und (3) die Moral, mit der selbst gurkige Halbzeiten noch in Punkte gedreht werden.
4. Klinsmann läuft so richtig heiß
Ach komm, in Zeiten wo Fallon Sherrock Geschichte schreibt, wo der FC Liverpool Geschichte schreibt und auch RB Leipzig, da schadet es sicher nicht, wenn wir den ganzen Wahnsinn noch mit ein wenig Hertha-Historie anreichern. Gegen die Hinrunden-Überraschung aus Mönchengladbach sind die Berliner zum dritten Mal nacheinander ohne Gegentor geblieben - mehr waren es in der Bundesliga nie zuvor. Diese schöne Statistik ist eng mit Jürgen Klinsmann verknüpft, denn seit vier Spielen ist er für das Team verantwortlich. Dass diese Bilanz auf schnöder Stabilität fußt und der Trainer mitunter auf den Fußball pfeift, wird gerne toleriert, denn die mittelfristigen Ziele sind von Klinsmann ja bereits euphorisch formuliert. Europa League, Champions League, Titel! Alles kann, vieles soll! Wer diesen Weg als sportlicher Anleiter begleitet, das ist nicht klar! Klinsmanns Engagement ist vorerst bis Sommer begrenzt! Aber vermutlich hätte er gar nichts dagegen, wenn die zeitliche Befristung bald aufgekündigt wird: Big City Klinsi! (Den üppigen Gebrauch von Ausrufezeichen haben wir uns von seinem Twitter-Account abgeschaut!)
5. Werder Bremen wird nicht absteigen
Oh, noch ein Stückchen Geschichte: Am Ende einer Hinrunde stand Werder Bremen noch nie so schlecht da wie im Winter 2019. Mickrige 14 Zähler lautet die Ausbeute aus 17 Spielen, mehr Abstiegskandidat geht nicht. In der Fremdwahrnehmung. In der Binnensicht ist das ganz anders. Da ist der Glaube an den Klassenerhalt riesengroß. Trainer Florian Kohfeldt, der trotz des Zähler-Minimums nicht zur Debatte steht, sagte nach der 0:1-Pleite beim 1. FC Köln: Diese Situation "tut scheiße weh. Aber wir werden das wieder hinbekommen. Ich glaube an die Mannschaft, ich glaube an unsere Arbeit und den Zusammenhalt. Wir werden nicht absteigen." Woher das Gottvertrauen kommt? Sicher nicht aus den Fakten der halben Serie: In allen 17 Spielen kassierte Bremen mindestens einen Gegentreffer, vorne fehlten Durchschlagskraft und Effektivität, um die defensive Anfälligkeit auszugleichen. Nun, was auch zur Wahrheit gehört: Mehr als 20 schwerwiegende Verletzungen beklagte der Verein eigenen Angaben zufolge. Ein Anker. Mehr nicht.
6. Beim Effzeh werden wieder die richtigen Fragen gestellt
Effzeh-Weihnachtsfeier, aber wo war Dominick Drexler, fragte der "Express" am Sonntagmittag. Nach neun Punkten aus den vergangenen drei Spielen werden in Köln wieder die wirklich wichtigen Fragen gestellt. Nun, bevor wir uns im Plappern verlieren, er kam etwas später, musste nach dem Sieg gegen Bremen erst noch zur Dopingprobe. Ein Problem? Eher nicht. Die liegen in Köln ohnehin seit jeher woanders. "Wir wären nicht in Köln, wenn einige nicht schon wieder das Träumen anfangen würden. Ich kann nur sagen: Ganz ruhig bleiben", mahnt Coach Markus Gisdol. Und wer hätte gedacht, dass ausgerechnet er, mit dem so viele Fans als neuem Mann gefremdelt haben, die Stimmung radikal verändert hat. Innerhalb von nur einer Woche hat der Aufsteiger mit Siegen gegen Bayer Leverkusen (2:0), bei Eintracht Frankfurt (4:2) und eben Bremen mehr Punkte geholt als in den vier Monaten davor. Das sei "schon kurios", sagte Torhüter Timo Horn: "Man darf den Glauben an sich selbst nie verlieren, auch wenn den niemand mehr hat." Frohe Weihnachten.
Quelle: ntv.de