6 Dinge, gelernt am 30. Spieltag Tuchel gluckst, Robben macht den Motzki
24.04.2017, 06:31 Uhr
Der HSV hat in der Tabelle nur noch einen Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz.
(Foto: imago/Claus Bergmann)
Die Bayern gönnen sich und dem Schiri am 30. Spieltag der Fußball-Bundesliga eine Verschnaufpause. Nun wartet ein wiedererstarkter BVB mit einem Trainer, der eine Mission hat. Und der HSV? Greift zum falschen Til-Schweiger-Drehbuch.
1. Kasalla gibt’s nur für Kassai
Die Mainzer werden die Trotzreaktion der Bayern zu spüren bekommen - das hatte n-tv-Experte Philipp Köster vor dem Wochenende orakelt. Nun, es kann ja keiner ahnen, dass Viktor Kassai auch in der Bundesliga Schule macht und Schiedsrichter Frank Willenborg sich allen Ernstes erdreistet, den ersten Elfmeter der Saison gegen den großen FC Bayern zu pfeifen. So stand es in Minute 41 plötzlich 2:1 für den abstiegsbedrohten FSV, der zehn Kilometer mehr rannte und die Punkte auch sonst viel dringender mitnehmen wollte als der Gastgeber. Und so kam noch ein Hauch von Dringlichkeit in ein Match, das für die Bayern nur eine Etappe zum Ausrollen darstellte zwischen zwei Schlüsselspielen der Saison gegen Real und Dortmund. Immerhin reichte es für den Rekordmeister noch für das 2:2 durch Thiago - und es ehrt die Bayern, dass sie trotz zweier elfmeterwürdiger Fouls an Robert Lewandowski, die Willenborg geflissentlich übersah, keine Schlägertruppe Richtung Referee-Kabine schickten. Stattdessen suchten sie die Schuld bei sich, stellvertretend sei Torschütze Arjen Robben zitiert, der in Matthias-Sammer-Gedächtnis-Laune aus der Arena stampfte. „Wir können heute die Bundesliga entscheiden, haben wir aber nicht gemacht“, sagte der Niederländer. „Wir sind Profis, da muss es auch gehen, dass wir gegen Mainz voll da sind.“ Im Prinzip richtig, angesichts der Tabellensituation und der kommenden Aufgabe am Mittwoch im Pokal aber vor allem ein klein wenig: wurscht.
2. Der BVB hat noch was vor
Natürlich haben sie gespielt.
Am Freitag hatten Spieler und Betreuer endlich Klarheit darüber bekommen, warum sie sterben sollten am 11. April: Weil der Täter Geld machen wollte. Je mehr tote Spieler, desto mehr Geld, so die brutale Rechnung. Habgier also, und das ist vielleicht auch gar kein so schlechter Begriff für das, was danach geschah: Wer auch immer dafür sorgte, dass die Mannschaft am Tag und in der Woche danach auflief, die Entscheidung sicherte den reibungslosen Ablauf der Millionen-Maschine Champions League und die Teilnahme der Dortmunder in der nächsten Saison. Vielleicht ist es zu viel verlangt von der DFL, nach dieser neuen Erkenntnis am Freitag das Topspiel in Gladbach am Samstag Abend abzusagen, vielleicht wäre das Zeichen ohnehin zu spät gekommen, vielleicht hätten es die Dortmunder selber nicht einmal gewollt. Jedenfalls liefen sie ab 18.30 Uhr wieder über den Rasen, statt in Ruhe alles sacken zu lassen. Sie taten das so professionell wie stets in den letzten zwölf Tagen – und spielerisch sogar um einiges besser. Die schmeichelhafte 2:1-Führung der Hausherren glich Luxus-Joker Pierre-Emerick Aubameyang 108 Sekunden nach seiner Einwechslung aus, kurz vor Schluss köpfte Raphaël Guerreiro den Siegtreffer. Ein sichtlich gelöster Thomas Tuchel berichtete im ZDF von ausgelassener Stimmung und lauter Musik in der Kabine. Und gluckste bei der Frage nach dem Pokalknaller gegen Bayern so ausgelassen, als hätte er sich im Überschwang ein Glas Cola gegönnt und den Zuckerschock noch nicht überwunden. „Wir können denen die Saison vermiesen.“ Sie haben also noch was vor in Dortmund.
3. Der HSV ist wieder da
HSV-Bashing, das ist in etwa so originell, wie über Til Schweigers „Tatort“ zu lästern. Andererseits: Warum müssen sie denn auch immer so schlecht sein? Mit Darmstadt kam am Samstag ein Team ins Volksparkstadion, das de facto schon abgestiegen ist – vor allem, weil es auswärts in dieser Saison noch keinen einzigen Punkt geholt hatte. Es hätte ein actionreicher Befreiungsschlag in Nick-Tschiller-Manier werden können, es wurde: ein Keinpunktdino. Das blamable 1:2 der Hamburger war die dritte Niederlage in den letzten vier Spielen, der Relegationsplatz 16 liegt einen Punkt entfernt – dort stehen die Augsburger, die ihrerseits mit 1:3 in Frankfurt verloren und den HSV kommenden Sonntag zum Abstiegsgipfel empfangen. Viele Gründe für Optimismus durften die Hamburger Fans der Pleite gegen Darmstadt nicht entnehmen, im Gegenteil: Trainer Markus Gisdol ortete ein „Kopfproblem“, als fehlte es noch an der richtigen Einstellung zum Abstiegskampf, der sich an den letzten vier Spieltagen zuspitzen wird, mit dem HSV in der Hauptrolle: Die Hanseaten müssen nach Augsburg (16./32 Punkte) noch gegen Mainz (13./33), Schalke (11./38) und Wolfsburg (14./33) ran. Zu allem Überfluss verletzte sich auch noch Torhüter Christian Mathenia, Filip Kostic wird in Augsburg wegen der Fünften Gelben Karte nicht dabei sein. Hat da jemand Relegation gesagt?
4. Fans will be Fans
Da sind sie wieder, die bösen Ultras. In Köln stellen ein paar Idioten widerliche Banner gegen Dietmar Hopp zur Schau, in Hamburg bringen Pyrotechnik-Romantiker das Spiel zum Stillstand und die eigenen Mannschaft gegen sich auf sich („Eine sehr unglückliche Aktion. Du kommst strukturiert aus der Kabine, willst Vollgas geben und stehst dann ein paar Minuten nur rum. Das hat uns geschadet“, wetterte Torwart Christian Mathenia). Und schon fordert selbst die besonnene „Süddeutsche“ eine Distanzierung von den Ultras, die sie hinter allem wittert, was an bösen Dingen im und am Stadion so passiert. Dabei beruft die Zeitung sich auf Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann. Der 29-Jährige, „so jung, dass er Ultra sein könnte“ (SZ), hat sich nach dem Spießrutenlauf in Köln mal so richtig Luft gemacht. Peinlich und dumm seien die Gesänge, unerträglich der Hass. „Diese Leute müssen mal nachdenken, ob ihnen der Helm brennt." So richtig die Wortwahl, so falsch sind simple Schuldzuweisungen.
Festzuhalten ist: Teile des Kölner Anhangs pfiffen die eigenen Leute für ihre dumpfen Sprechchöre aus. Der Stadionsprecher forderte die Fans auf, die beleidigenden Gesänge zu unterlassen. Der Fußball, zumindest in den oberen Ligen, ist viel sensibilisierter als noch vor wenigen Jahren. Und wenn doch mal Becher fliegen oder Mittelfinger geschwenkt werden, müssen die Übeltäter nicht zwingend Ultras ein. Viele dieser Gruppierungen reflektieren ihr Verhalten gründlicher als so mancher Mecker-Opa in der Sitzschale. Vor dem Spiel in Köln zeigten Ultras Banner gegen die AfD, oft genug sind sie es, die den Fortschritt in die Kurven bringen, mit Aktionen gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie. Angesichts der mal wieder aufkommenden Diskussion muss also eine Banalität wiederholt werden: In Fußballstadien sitzen und stehen faire Sportsmänner und -frauen, Choleriker, Rassisten, Eventfans, Krawallos, Normalos, Vollpfosten. Manche sind sogar alles auf einmal, weil Menschen nun einmal ziemlich widersprüchlich sein können. Die Gleichung Ultras = böse ist jedenfalls nicht viel klüger als die Anti-Hopp-Banner einiger Kölner Fans am Wochenende.
5. (16+3)/2=5
Bevor sich gleich ein paar erboste Mathematiker zu einem „Science March“ vor der Redaktion versammeln: Es gibt einen Beweis für diese Gleichung. Er heißt Hertha BSC. Die Berliner haben beim 0:1 im Mainz am 29. Spieltag die achte Auswärtsniederlage in Folge kassiert und liegen damit auf Rang 16 in der Auswärtstabelle. Zuhause aber läuft und läuft und läuft es, das etwas glückliche 1:0 gegen Wolfsburg bedeutete Sieg Nummer zwölf im eigenen Stadion und die drittbeste Heimbilanz. In der Gesamttabelle ergibt das nicht etwa Mittelmaß, sondern Europapokalrang 5. Dicht gefolgt werden die Hauptstädter vom Aufsteiger aus Freiburg, der kurz vor Schluss gegen Leverkusen den 2:1-Sieg sicherstellte. Langsam aus der Konversation verabschieden sich die lange Zeit so stabilen Kölner, die ein Ausrutscher des Japaners Yuya Osako in allerletzter Minute den Sieg gegen Hoffenheim kostete. Kerem Demirbay schoss das 1:1 und damit die TSG sicher in den Europapokal – aber nun soll es schon die Champions League sein in Hoffenheim, der Relegationsplatz ist ihnen nicht mehr zu nehmen, das Finale um Platz drei gegen die einen Punkt besseren Dortmunder steigt in zwei Wochen.
6. Max Kruse hat im Sommer noch Zeit
In Richtung Europa bewegen sich auch die Serientäter von Werder Bremen, die dank der Vier-Tore-Gala von Max Kruse in Ingolstadt seit zehn Spieltagen ungeschlagen sind und dabei 26 von 30 Punkten holten. Als „Ein-Mann-Pressing-Maschine“ lobte die „SZ“ den Stürmer, der noch zu Beginn der Saison eher nach Presswurst-Maschine aussah. Mittlerweile wird Kruse sogar wieder gefragt, ob Joachim Löw nicht bald anruft. 13 Saisontore in nur 19 Spielen (mehr als der derzeit beste deutsche Stürmer Sandro Wagner) sind eine nachdrückliche Bewerbung für den Confederations Cup im Sommer. Aber: „Bis jetzt gehe ich davon aus, dass ich Urlaub habe.“
Quelle: ntv.de