Schmetterling auf dem Daumen Apple Vision Pro ausprobiert
08.06.2023, 14:22 Uhr Artikel anhören
Die Frage ist, ob Menschen wirklich stundenlang ein schickes, aber doch großes und relativ schweres Headset tragen möchten.
(Foto: Apple/dpa-tmn)
Ein erster Test von Apples Computerbrille ist sehr beeindruckend und erinnert ein bisschen an die Premiere des ersten iPhone. Die Vision Pro macht vieles besser als andere AR-/VR-Headsets, ob sie aber "das nächste große Ding" wird, bleibt abzuwarten.
Für Apple-Chef Tim Cook bricht mit der neuen Computerbrille Vision Pro ein neues Zeitalter an: "Wir glauben, dass die Apple Vision Pro ein revolutionäres Produkt ist", sagte er zur Premiere des Headsets auf der Entwicklerkonferenz WWDC. Das Gerät werde die Art und Weise verändern, wie Menschen kommunizieren und zusammenarbeiten.
Ob die Brille tatsächlich wie das iPhone vor gut 15 Jahren die Welt verändern kann, wird sich allerdings erst in etlichen Monaten herausstellen, zumal die Vision Pro erst "Anfang 2024" auf den Markt kommen wird - und zunächst auch nur in den USA. Hier die Erfahrungen eines ersten Tests:
Gescannt und vermessen
Vor der eigentlichen Demo standen zwei Vorbereitungen an. Zum einen wurde mithilfe einer App der Kopf vermessen, ähnlich wie beim Einrichten von Face ID zum Entsperren des iPhones: Ein Scan erfasst den Kopf von vorne, ein zweiter die Ohren, damit die Brille selbst und das Audiosystem an die Kopfform angepasst werden können.
Bei Brillenträgern wird noch kurz die Sehhilfe analysiert, damit während der Demo die richtigen Korrekturlinsen von Zeiss in der Vision Pro etwa eine Kurzsichtigkeit ausgleichen können. Dieses Setup dauerte rund 15 Minuten.
Die Apple Vision Pro ist wie jede herkömmliche VR-Brille undurchsichtig, denn vor jedem Auge befindet sich ein hochauflösender Bildschirm, durch den man nicht hindurchschauen kann.
Bedienung wie in "Minority Report"
Durch die Kameras in der Brille wird aber der Raum, in dem man sich befindet, dennoch sichtbar gemacht. Und im Gegensatz zum "Passthrough-Modus" der Quest 2 aus dem Facebook-Konzern Meta erscheint das Bild der Umgebung nicht getrübt, sondern hell und scharf. Wenn man den Kopf schnell hin und her bewegt, entstehen allerdings auch bei der Vision Pro Bewegungsunschärfen.
Die Bedienoberfläche erinnert an den Science-Fiction-Film "Minority Report" aus dem Jahr 2002, der im Jahr 2054 spielt. In dem Thriller von Steven Spielberg steht Hauptdarsteller Tom Cruise oft vor virtuellen holografischen Bildschirmen im Raum, um die Jagd auf potenzielle Verbrecher von dort aus zu steuern.
In dem Film kommen auch wirklich autonom fahrende Autos vor, auf die wir bislang immer noch warten müssen. Doch in Sachen Computertechnik kommt die Brille von Apple der Vision auf dem Hollywood-Streifen schon sehr nahe: Mit einem längeren Druck auf den Drehknopf an der rechten Gehäuseseite der Brille kann man sich solche virtuellen Bildschirmfenster vor die Augen zaubern.
Steuern mit Augen und Gesten
Ausgangspunkt ist eine Icon-Übersicht der verfügbaren Apps, ähnlich wie auf der Startseite eines iPads. Um eine App auszuwählen, muss man sie nur mit den Augen ins Visier nehmen und sie mit einer Fingergeste wie mit einem Mausklick starten. Es dauerte nicht mal eine halbe Minute, bis die Bedienung mit ihrer Mischung aus dem Anvisieren von Menüpunkten und der Auswahl durch Finger- und Handbewegungen rund lief.
Um die exzellente Qualität der Bildschirme unmittelbar zu erfahren, reichte es dann schon aus, in der Foto-App ein Panorama-Bild auszuwählen, das mit einem iPhone aufgenommen wurde. Man steht quasi mitten in der Aufnahme und kann sich sämtliche Details anschauen, die man auf einem herkömmlichen Bildschirm oder gar auf dem iPhone-Display kaum erkennen würde.
Das Eintauchen in die virtuelle Realität funktioniert auch deshalb so überzeugend, weil das Gesichtsfeld kaum eingeschränkt wird und nur ein schmaler schwarzer Bildschirmrand zu sehen ist. Eine Demo der TV+-App mit der 3D-Version ist überzeugender als jeder 3D-Film in einem Kino oder auf einem 3D-Fernseher. Nur der Sound könnte besser sein: Es fehlen satte Bässe, der Raumklang ist insgesamt zu leise.
In Deckung vor dem Nashorn
Noch eindrucksvoller kommen spezielle 3D-Filme rüber, die eigens für die Vision Pro produziert wurden. Wenn ein kleines Nashorn auf einen zugerannt kommt, sucht man intuitiv nach einer Deckung, obwohl es sich nur um ein virtuelles Abenteuer handelt.
Richtig spannend wird es, wenn die Filminhalte interaktiv werden. So kommt bei einer Demo aus einer Steinwüste ein bunter Schmetterling geflogen, der sich scheinbar auf der ausgestreckten Hand niederlässt.
Unterbrochen wird die Serie von Unterhaltungsanwendungen von einem Facetime-Videokonferenzanruf. Der Apple-Mitarbeiter auf der Gegenseite trägt ebenfalls eine Vision Pro, erscheint im Bild aber ohne Cyberbrille auf dem Kopf. Möglich macht das ein digitales 3D-Abbild, von Apple auch Persona genannt, das durch die Kameras der Brille erstellt wird. Das Abbild wirkt natürlich, auch weil die Mimik lebensecht simuliert wird.
Browsen und 3D-Videos drehen
Auch die Nutzung des Webbrowsers Safari mit der Vision Pro kann überzeugen. Beim Scrollen ruckelte nichts. Die Schrift erschien scharf und war gut zu lesen. Mit der Vision Pro kann man aber nicht nur Inhalte konsumieren, sondern auch Fotos und Videos aufnehmen. In der Demo wurde eine 3D-Videoaufnahme eines Kindergeburtstages gezeigt, die man mit einer herkömmlichen Kamera gar nicht erstellen könnte.
Es gibt aber auch Dinge, die in der Hands-on-Sitzung eher negativ auffallen. Die Brille ist mit schätzungsweise 500 Gramm kein Federgewicht, auch wenn andere populäre VR-Brillen wie die Oculus Quest 2 von Meta, die Index von Valve oder die Vive Pro 2 von HTC allesamt noch ein wenig schwerer sind.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch das Stromversorgungskonzept: Die Vision Pro wird mit einem externen Akku betrieben, der an einem langen Kabel hängt. Dieser Akku ist auch notwendig, wenn man die Brille direkt ans Stromnetz anschließen will, quasi wie ein Zwischenpuffer.
Office-Anwendungen noch mit Fragezeichen
Wie sehr sich die Vision Pro als mobiles Büro eignen wird, kann nach der Hands-on-Sitzung noch nicht beurteilt werden, auch weil Produktivitätsanwendungen nicht Teil der Demo waren.
Fest steht: Die erste Generation der Vision Pro richtet sich an Technik-Enthusiasten, die vermutlich ohne großen Aufhebens 3500 US-Dollar (rund 3270 Euro) auf den Tisch legen, um vom ersten Tag an zu den Nutzerinnen und Nutzern der neuen Apple-Technologie zählen zu können.
Kommt eine Vision ohne Pro?
Außerdem gehören Software-Entwickler zur Zielgruppe, die mit Apps für die Vision Pro neue Umsätze erzielen wollen. Technikinteressierte mit einem kleineren Budget müssen darauf hoffen, dass Apple auch eine Version der Vision ohne Pro auf den Markt bringen wird - zu einem niedrigeren Preis, um auch eine größere Kundengruppe anzusprechen.
Ein gutes halbes Jahr vor ihrem Marktstart wirkt die Vision Pro schon ziemlich ausgereift. Spannend dürfte noch werden, welche Beiträge unabhängige Softwarefirmen und Unterhaltungsstudios liefern werden, um das gesamte Öko-System der Apple Vision Pro zu bereichern.
Quelle: ntv.de, Christoph Dernbach, dpa