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"Haben Komplexität unterschätzt" Traum vom autonomen Fahren wohl vorerst geplatzt

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Mit dem neuen 7er ermöglicht BMW hochautomatisiertes Fahren. Das heißt, bis 60 km/h kann man die Hände vom Lenkrad lassen und sich mit anderen Dingen beschäftigen.

Mit dem neuen 7er ermöglicht BMW hochautomatisiertes Fahren. Das heißt, bis 60 km/h kann man die Hände vom Lenkrad lassen und sich mit anderen Dingen beschäftigen.

(Foto: BMW)

So schnell wird es wahrscheinlich keine wirklich autonom fahrenden Autos in Deutschland geben. Denn was in der Theorie brillant funktioniert, scheitert in der Realität kläglich. Ilja Radusch von der TU Berlin zieht eine ernüchternde Zwischenbilanz und sagt: "Wir haben die Komplexität unterschätzt."

Im Juli 2021 trat das Gesetz zum autonomen Fahren in Kraft. Ziel war es laut Bundesverkehrsministerium, bis zum Jahr 2022 "Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen in den Regelbetrieb zu bringen", wodurch Deutschland "der erste Staat weltweit, der Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holt" werden sollte. Jetzt ist bereits 2024 und nach wie vor gehören voll automatisierte Autos nicht zum deutschen Straßen-Alltag.

Der ADAC zitiert aus einer Prognos-Studie, wonach sich die Technik erst ab 2040 durchsetzen wird. Die Übergangsphase werde geprägt von hochautomatisierten Fahrsituationen: beim Abstellen von Autos in Parkgaragen, in Stausituationen und Kolonnenfahrten auf der Autobahn, schreibt der Automobilclub.

Dabei handelt es sich um die dritte Stufe in einem fünfstufigen Plan zum autonomen Fahren. Die jetzt angestrebte Stufe 4 ist voll automatisiertes Fahren, bei dem das System zwar die komplette Fahrzeugführung übernimmt, aber im Notfall ein Mensch oder eine externe technische Aufsicht übernehmen kann.

Pikanterweise sind Unfälle ein Grund dafür, die sich in jüngster Zeit mit autonomen Fahrzeugen ereigneten, dass Stufe 4 wohl noch etliche Jahre nicht erreicht wird. Denn bis heute wird noch regelmäßig eine McKinsey-Studie aus dem Jahr 2015 in der Argumentation pro autonomes Fahren herangezogen, wonach die Technik bis zu 90 Prozent aller Unfälle vermeiden könnte.

90 Prozent weniger Unfälle möglich

Die Logik ist klar, denn wie das Verkehrsministerium auf Runter vom Gas angibt, sind 91 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Dazu gehören überhöhte Geschwindigkeit, zu geringer Abstand, missachtete Vorfahrt oder andere Fahrfehler wie falsches Abbiegen. Man kann also sagen, je geringer der menschliche Faktor, desto größer die Sicherheit.

Die Rechnung geht aber nur auf, wenn Künstliche Intelligenz (KI) in Zusammenarbeit mit Sensoren und anderer Technik fehlerfrei arbeitet. Denn selbst wenn sie vielleicht 85 Prozent der Unfälle vermeiden könnte, erhielte sie keine Zulassung. Dazu müsste man ihr praktisch zu 100 Prozent trauen können. Wie einige Ereignisse in den vergangenen Monaten gezeigt haben, ist dies offensichtlich bisher nicht der Fall. Unter anderem musste die Robotaxi-Firma Cruise ihren Fahrbetrieb in San Francisco im vergangenen November nach mehreren Vorfällen einstellen.

Im August 2023 blockierten selbstfahrende Autos des Unternehmens eine Straße, nachdem vermutlich das Mobilfunknetz überlastet war. Ein Wagen blieb im frischen Beton einer Baustelle stecken, ein anderer hatte einen Unfall mit einem Feuerwehrwagen. Noch schlimmer kam es im Oktober, als ein Cruise-Auto eine Fußgängerin mehrere Meter mitschleifte, nachdem sie von einem anderen Auto angefahren und vor das autonome Fahrzeug geschleudert worden war. Wie es "gelernt" hatte, fuhr es zur Seite, um nicht im Weg zu stehen, statt sofort zu stoppen.

"Müssen das Abseitige und kaum Mögliche in Betracht ziehen"

"Aus Sicht von uns Forschenden ist dieses Unfallgeschehen insofern ernüchternd, weil wir bislang nicht auf die Idee gekommen wären, eine solche Situation zu programmieren", sagt Ilja Radusch, Leiter des Daimler Center for Automotive IT Innovations (DCAITI) an der TU Berlin. Es zeige sich, "dass wir das vermeintlich Abseitige oder kaum Mögliche doch in Betracht ziehen müssen."

Man habe die Komplexität besonders des städtischen Straßenverkehrs unterschätzt, sagt der Wissenschaftler. Er erinnert an 2013, als ein autonomes Fahrzeug die Strecke "ziemlich problemlos" nachfuhr, die Bertha Benz 1888 mit dem von ihrem Mann entwickelten Automobil zurückgelegt hatte.

Ilja Radusch, Leiter des Daimler Center for Automotive IT Innovations (DCAITI) an der TU Berlin

Ilja Radusch, Leiter des Daimler Center for Automotive IT Innovations (DCAITI) an der TU Berlin

(Foto: Philipp Plum, Fraunhofer FOKUS)

"Herausforderungen, ob ein Computer es schafft, das Lenkrad fein genug zu steuern oder weit genug zu 'sehen' auch bei Regen und Schnee wurden gut bewältigt. Ebenfalls das den Anforderungen entsprechende Betätigen von Gas- und Bremspedal", sagt Radusch. "Und weil das damals alles so gut funktionierte, dachten wir, in fünf Jahren muss kein Mensch mehr das Autofahren lernen. Aber zehn Jahre später sehen wir uns mit ständig neuen Detailproblemen und den 'berühmten' 'unkown Unkowns', also den unbekannten Unbekannten konfrontiert – siehe Unfall."

Computer muss intuitives Handeln lernen

Man habe nicht bedacht, dass das Fahren auch von tausenden intuitiven Handlungen begleitet werde, erklärt er. Man stehe vor der Frage, wie man den Computer zu diesem intuitiven Handeln befähigt. Als Beispiele nennt er spontanes Hupen, wenn jemand ohne Blinken abbiegt. "Oder wie der beschriebene Unfall zeigt, sofort anzuhalten und nicht erst an die Seite zu fahren und dann zu stoppen."

In einer Stadt, in der ausschließlich autonome Fahrzeuge unterwegs seien, wäre es einfacher, da man weniger schwer Vorhersehbares erwarten müsse, so Radusch. "Zudem könnte man mit überschaubaren 20 bis 30 Kilometern pro Stunde unterwegs sein. Das erhöht die Sicherheit, denn bei dieser Geschwindigkeit ist problemlos eine Vollbremsung möglich. Schwere und tödliche Unfälle könnten vermieden werden."

Offen sei die Frage, ob die Transportkapazitäten bei einer solchen Geschwindigkeit ausreichten, gibt der Experte zu bedenken. "Nur maximal 20 bis 30 Kilometer pro Stunde bedeutet zum Beispiel für ein Taxiunternehmen am Ende weniger Kunden pro Stunde. Tram oder U-Bahn sind in einem solchen Szenario gegebenenfalls wirtschaftlicher."

Ohne Wirtschaftlichkeit keine Zukunft

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Aktuell ist autonomes Fahren jedenfalls alles andere als wirtschaftlich. Bei der Analyse des Cruise-Unfalls habe sich herausgestellt, dass für den Betrieb eines fahrerlosen Taxis 1,5 Vollzeitkräfte notwendig gewesen seien. "Aber da wir – gerade auch in Deutschland –die Hoffnung hegten, mit dem autonomen Fahren dem Arbeitskräftemangel zum Beispiel bei Busfahrerinnen und -fahrern entgegenwirken zu können, war diese Zahl von Cruise ein brutaler Einbruch der Wirklichkeit in unsere Forschungswelt", erklärt Radusch.

"Wir Forschenden waren davon ausgegangen, dass in der technischen Aufsicht eine Person sitzt, die zehn Fahrzeuge überwacht." Ohne Wirtschaftlichkeit wäre autonomes Fahren nicht die erste Forschungsidee, die sich draußen in der wirklichen Welt nicht durchsetze.

Aus den ernüchternden Fakten und Erkenntnissen schließt der Wissenschaftler, dass "der große Wurf aus einem Guss offensichtlich nicht möglich ist" und man eine Brückentechnologie wie das teleoperierte Fahren benötige. Dabei sitze der Mensch nicht im Auto, sondern in einem Kontrollzentrum in das Sensoren die Daten aus dem Umfeld des Fahrzeugs per Mobilfunknetz übertragen.

Teleoperiertes Fahren als Brückentechnologie

"In einer Situation zum Beispiel, in der das automatisierte Auto überfordert ist, erarbeitet der Operator im Kontrollzentrum anhand der übermittelten Daten eine Lösung, sodass das automatisierte Fahrzeug weiterfahren kann", erklärt Radusch. "Das könnte auch für LKW-Fahrer eine Alternative sein, die Brummis teleoperiert quer durch Europa zu steuern. Der LKW-Fahrer könnte dann abends immer bei seiner Familie und Freunden sein. Und wir müssen die Frage nach der Wirtschaftlichkeit dieser neuen Technologie viel stärker ins Visier nehmen."

Der Experte erinnert außerdem daran, dass man nicht nur autonomes Fahren mit Autos erforsche. Das größte Potenzial sieht er aktuell im Regionalverkehr bei U- und S-Bahn. Dort seien die schnellsten Fortschritte möglich, da sie nicht die Komplexität wie der städtische Straßenverkehr aufwiesen.

Quelle: ntv.de

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