Wirtschaft

"VW wird bluten müssen" Geht Wolfsburg ein wie Detroit, Andreas Knie?

"Es ist nicht so, als ob die in Wolfsburg alle blöd wären."

"Es ist nicht so, als ob die in Wolfsburg alle blöd wären."

(Foto: picture alliance/dpa)

Detroit war einst das Herz der amerikanischen Automobilindustrie. Dann folgte der Absturz. Erst waren die Autobauer insolvent, nach der Finanzkrise die ganze Stadt. Mobilitätsforscher Andreas Knie ist überzeugt: VW und Wolfsburg droht dasselbe Schicksal. Schuld hat ihm zufolge das "arrogante Management", klare Signale aus China wurden ignoriert. Lässt sich der Niedergang vermeiden? Mit Demut und der Einsicht, strategische Fehler gemacht zu haben. "Der Kunde will was anderes? Dann baue ich was anderes", beschreibt Knie im "Klima-Labor" von ntv den notwendigen Pragmatismus. Doch auch wenn die Belegschaft ihren Konzernchef bei den Tarifverhandlungen ausbuht, die ganz großen Einschnitte werden sich nicht mehr stoppen lassen: "VW und Wolfsburg werden bluten und die Zahl der Beschäftigten halbieren müssen", prophezeit er.

ntv.de: Sie sagen, Wolfsburg wird das deutsche Detroit. Wirklich?

Andreas Knie: Es wäre ein weiter Weg für Wolfsburg, aber der Niedergang kommt mit Ansage. Detroit war ja nicht nur Autostadt, sondern auch Motown. Schwarze Musik kommt aus Detroit. Es gab unglaubliche Armut, aber die Stadt war schillernd und vielfältig und der Vorort Grosse Point der reichste Ort der USA. Der Niedergang ging nach den Aufständen 1967/68 los. Als ich in den frühen 90er-Jahren in Detroit war, konnte man die Depression intensiv spüren. Es war nichts mehr da vom alten Glanz.

Prof. Dr. Andreas Knie leitet die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Prof. Dr. Andreas Knie leitet die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

(Foto: Bernhard Ludewig)

Und Wolfsburg?

Der kommende Niedergang hat sich seit den Nullerjahren abgezeichnet. Der mit Abstand größte Markt, den Volkswagen bedient, ist China, und der schwindet. Zwischenzeitlich wurden fast 60 Prozent aller Autos dort verkauft. China hat schon 2006 klipp und klar gesagt, wo es hinwill: Batterieelektrisch ist die Zukunft. Dafür werden wir alles tun. VW hat stattdessen gesagt: Das wollen wir nicht. Wir fahren unseren eigenen Weg. Ich war live dabei, als VW damals in Shanghai sein Programm vorgestellt und den Chinesen mit den Kollegen von Audi erklärt hat, dass die gar nicht wissen, was sie tun und auf die völlig falsche Technologie setzen.

VW ist nach China gegangen und hat gesagt, E-Autos sind Quatsch?

Ja. VW hat die Arroganz besessen, den Chinesen zu erklären, wo die Welt langläuft: Kauft Dieselmotoren, die haben eine bessere Performance, sind effizienter und besser für die Umwelt. Das rächt sich jetzt bitterlich. Man muss die Ursache der Krise klar benennen, das ist seit 15 oder 20 Jahren andauerndes Managementversagen. Erst wenn man das versteht und akzeptiert, kann man über die Rettung reden.

Lassen sich VW und Wolfsburg denn retten? Das klingt bei Ihnen nicht so.

Volkswagen war Ende der 60er-Jahre in einer ähnlichen Situation: Es gab nur ein Auto, den Käfer. Der Boxermotor war überholt, aber man hatte schlicht nichts, um ihn abzulösen. Als 1968 plötzlich der oberste VW-Chef Heinrich Nordhoff starb, stand VW vor dem Nichts. Schlauerweise hat man dann mit der damaligen NSU Auto Union gekauft. Das spätere Audi lieferte VW wassergekühlte Verbrennungsmotoren. Daraus ist der Golf entstanden. Damals konnte sich VW retten, weil man erkannte hatte, dass man auf dem falschen Dampfer unterwegs war.

Dann gibt es doch eine Blaupause für die Rückkehr an die Spitze der Automobilwirtschaft, denn VW paktiert jetzt mit Rivian. Die liefern die Technologie für E-Autos.

Volkswagen ist sozusagen das korporatistische Modell Deutschlands, bei dem man alle Interessen integriert und gleichschaltet: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, die Stadt - das ist ein großes Konglomerat oder auch Kombinat. Das wird natürlich nicht Insolvenz anmelden, aber VW und Wolfsburg werden bluten und die Zahl der Beschäftigten halbieren müssen. Die Wertschöpfung wird niedergehen, es wird sicherlich Werkschließungen geben. Aber wenn man VW retten will, sollte das Management vielleicht Demut zeigen und sagen: Wir haben falsch gehandelt. Das wäre der erste Schritt.

Man muss die Belegschaft halbieren, um VW wieder in die Spur zu bekommen?

Mich beeindruckt, dass Volkswagen so offensichtlich jegliche Flexibilität vermissen lässt. Der größte Markt ist immer noch China, aber dort gehen die Zulassungen der Verbrenner deutlich zurück und ziehen bei den elektrischen Fahrzeugen an. Die chinesischen Käufer wünschen sich E-Autos, aber andere, als VW produziert. Selbst für den europäischen und amerikanischen Markt hat VW falsche, viel zu teure Produkte. Und zwar nicht, weil die Löhne so hoch sind, sondern weil man wie früher nur dicke Kisten baut - mit fettem Blech und schweren Türen, die beim Schließen wummern. Jeder soll sofort wissen, das ist ein Wolfsburger.

Das ist bei modernen E-Autos nicht so?

Die sind gut, aber die Qualität wird immer wieder belächelt. E-Autos sind wie Smartphones. Die Hardware ist langlebiger, wird aber weniger beachtet. Was das Auto für Kunden interessant macht, sind die Softwarefeatures, die immer wieder aufgespielt werden - und zwar über Luftschnittstellen. Man muss für das Update nicht in die Werkstatt fahren. Das Auto ist ein Computer, den man hoch- und runterfahren kann. Das war für deutsche Autobauer undenkbar.

Aber ist das wirklich ein reines Managementproblem? Gerade in Deutschland wollen doch viele Menschen Verbrenner fahren, weil sie dem E-Auto nicht vertrauen. Wenn ich damit in den Urlaub nach Italien fahre, wo soll ich tanken? Wie lange soll das dauern? Diese Fragen werden gestellt.

Die Leute sind pragmatisch, wir untersuchen das seit 15 Jahren und diese Unwilligkeit können wir nicht erkennen. Die Menschen wissen sehr genau, die Zukunft ist batterieelektrisch. Und wer schon mal E-Auto gefahren ist, wird das auch nie wieder ändern wollen. Aber nehmen wir meine jüngere Schwester. Die ist dieses Jahr zu einem Händler gegangen, um ein elektrisches Auto zu kaufen. Was hat der Händler gesagt? Auf keinen Fall. Warten Sie lieber ab.

Weil er dann beim Service in der Werkstatt kein Geld verdienen kann?

Ja, er hat nichts mehr zu tun. Elektrische Autos fahren praktisch Service-frei. Meine Studenten und ich machen seit zehn Jahren Testkäufe, das deutsche Händlernetz möchte keine elektrischen Autos verkaufen. Es gibt auch keine Antworten auf Fragen: Wo kann man die laden? Lässt sich der Stromverbrauch einstellen oder reduzieren? Der Händler hat meiner Schwester ein 500-seitiges Handbuch in die Hand gedrückt und gesagt: Wenn Sie das lesen, wissen Sie es. Meine Schwester hat trotzdem ein E-Auto gekauft, zahlt aber fast das Doppelte, als wenn sie einen Verbrenner genommen hätte. Es gibt keine E-Autos unter 30.000 Euro. Und weil der E-Auto-Markt auch kein Mengenmarkt ist, gibt es auch keinen Gebrauchtmarkt. Wer in Deutschland ein E-Auto kauft, leistet echte Pionierarbeit.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Halten Sie Deutschland für eine staatliche Verbrenner-Wirtschaft? Diese These wird bereits aufgestellt, weil die Politik zuerst immer eine Abwrackprämie oder Auto-Kaufprämie beschließt, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln.

Sie müssen sich doch nur den Dieselskandal anschauen. Man findet noch heute Autos mit manipulierter Software. Das Kraftfahrtbundesamt tut sich schwer, die von der Straße zu holen. Das wird aber wie ein Kavaliersdelikt gehandhabt. Stellen Sie sich das in der Lebensmittelindustrie vor: Hier ist ein Joghurt, in dem nicht drin ist, was draufsteht. Das wäre ein Riesenskandal.

Es gab ja den Pferdefleischskandal.

Ja. Es gibt sehr offensichtlich eine emotionale Nähe zum Verbrennungsmotor. Das ist deutsches Kulturgut. Das sind auch wirklich ausgeklügelte Maschinen. Wir bauen die besten Verbrenner der Welt. Dieselfahrzeuge sind hocheffiziente, fahrende Chemiefabriken. Aber die kauft keiner mehr, schon gar nicht zu den Preisen. Das gilt nicht nur für China, Europa oder die USA, sondern auch für Afrika. Dort ist die Zukunft auch batterieelektrisch. Aber der deutschen Automobilindustrie fehlt die Demut und der amerikanische Pragmatismus, auf Märkte und Signale zu gucken und zu sagen: Der Kunde will was anderes? Dann baue ich was anderes. Solange sich daran nichts ändert, werden wir wie Detroit Schiffbruch erleiden.

Lässt sich das Ruder denn noch herumreißen?

Leute wie Herbert Diess haben es ja versucht. Es ist nicht so, als ob die in Wolfsburg alle blöd wären.

Zu dieser Zeit war Elon Musk Stammgast bei VW.

Genau. Diess hat sich Musk zum Vorbild genommen und sich ein bisschen zu sehr in ihn verliebt. Dabei hat er das Vertrauen der großen Familien Porsche und Piech verloren. Die regieren den Konzern immer noch mit und haben das Experiment dann beendet. Jetzt braucht es wieder einen Menschen, der sagt: Wir müssen bei VW anders arbeiten, die Software über die Hardware setzen, Produkte bauen, die die Leute sich auch leisten können und flexibler bei den Technologiepfaden werden.

Bei VW gibt es aber noch zwei weitere wichtige Akteure, das Land Niedersachsen und den mächtigsten Betriebsrat Deutschlands. Müssen die sich angesichts der Krise nicht auch an die eigene Nase fassen? Sie sagen, man muss die Belegschaft halbieren. Genau das wird doch aber abgelehnt. Stellenabbau ist in Deutschland ein Totschlagargument.

Auch die IG Metall und der neue Betriebsrat wissen, dass sich etwas verändern muss. In der IG Metall haben sogar schon sehr früh Leute gesagt, wir müssen eine andere Art von Auto bauen, aber die waren in der Minderheit. Aber gerade der alte Betriebsrat hat sehr eng mit dem Management zusammengearbeitet und zu allem Ja und Amen gesagt. Auch dort war es Teil der Kultur, zu denken, dass VW die beste Technologie hat. Mit der neuen Betriebsratschefin etabliert sich hoffentlich eine andere Kultur und ein Gegengewicht zum Management.

Aber wird nicht gerade dort aktuell gefordert, so weiterzumachen wie bisher? Wenn die Werke nicht ausgelastet sind und man niemanden entlässt, bezahlt man die Leute doch letztlich fürs Nichtstun. Muss man nicht akzeptieren, dass Stellenabbau in einer Krise dazugehört und man diese Menschen, wenn anderswo Fachkräfte fehlen, damit sogar für Zukunftsbranchen freigeben kann?

In der Tat wollen wir in Deutschland keine Veränderung und nichts riskieren. Trial-and-Error? Das wollen wir nicht. Bloß keine Experimente wagen.

Sehr wahrscheinlich wird im Februar ein neuer Bundeskanzler gewählt. Wird die Lage in Deutschland damit besser oder kehren wir zurück zum Verwalten der Merkel-Zeit?

Ehrlicherweise muss man sagen, dass es mit der Großen Koalition besser voranging als mit der Ampel, auch wenn man im Nachhinein weiß, das lag vor allem an der FDP. Inzwischen wissen aber auch alle Parteien, dass man Industriepolitik heute anders macht, nämlich aktiv, auch bei Gegenwind. Man kann nicht alles retten, sondern muss eine Art wirtschaftliche Sterbeordnung zulassen. So etwas kennen wir in Deutschland bisher nicht. Deswegen haben wir auch Kohle und Stahl viel zu lange am Leben gehalten. Die Leute können und wollen sich ändern, aber sie brauchen auch die Möglichkeiten dafür.

Mit Andreas Knie sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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Quelle: ntv.de

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