Wirtschaft

Angeblicher Skandal um Bas Beitragsbemessungswas?!

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(Foto: picture alliance)

Planen die SPD und Bärbel Bas einen "Beitragshammer" für Gutverdienende? Berichte über eine geplante Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze legen das nahe. Der Skandal entpuppt sich als Routinevorgang - und wirft dennoch interessante Fragen auf.

Für die Beamten des Sozialministeriums war es ein Routinevorgang. Wie jedes Jahr berechneten sie, um welchen Faktor verschiedene Grenzwerte für die Sozialversicherungen mit sperrigen Namen wie Jahresarbeitsentgeltgrenze oder Beitragsbemessungsgrenze angepasst werden müssen. Das Interesse von Politik und Öffentlichkeit an dem Ergebnis war in der Vergangenheit meist gering. Das ist diesmal anders. Medien, von denen einige die Berechnungen schon vor der offiziellen Veröffentlichung erhalten hatten, berichteten in den vergangenen Tagen über das Ergebnis wie über einen Skandal. Von [Arbeitsministerin Bärbel] "Bas' Beitragshammer" war etwa die Rede oder von "SPD-Plänen", Gutverdiener stärker zu belasten. Der Chef des Steuerzahlerbunds Reiner Holznagel ließ sich mit dem Satz zitieren: "Die Idee von Bärbel Bas ist Bullshit" - unter Anspielung auf eine Aussage der Ministerin, die Debatte um die Tragfähigkeit des Sozialstaats sei ebendies: "Bullshit".

Was ist dran an der Empörung und was ist irreführend? ntv.de erklärt die Fakten.

Was ist die Beitragsbemessungsgrenze und wie wirkt sie?

Die Beiträge zur Sozialversicherung werden bei den meisten Arbeitnehmern vom Lohn abgezogen wie Einkommen- oder Kirchensteuer. Die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie Arbeitslosen- und Rentenversicherung werden aber auf ganz anderer Grundlage berechnet: Es gibt keinen Freibetrag wie bei der Steuer, die Beiträge werden bei sozialversicherungspflichtigen Jobs vom ersten Euro an erhoben. Es gibt auch keine Progression wie bei der Einkommensteuer, also ansteigende Sätze, sodass Menschen mit höheren Einkommen stärker belastet würden, sondern je Versicherung einen gleichbleibenden Satz. Der gilt bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Auf alles, was darüber hinaus verdient wird, werden keine Beiträge fällig.

Die Folge ist, dass die prozentuale Belastung des Einkommens durch die Sozialversicherungsbeiträge ab dieser Grenze abnimmt, je mehr jemand verdient. Ein konkretes Beispiel: Aktuell liegt die Beitragsbemessungsgrenze für die Kranken- und die Pflegeversicherung bei 5512,50 Euro, für die Renten- und die Arbeitslosenversicherung bei 8050 Euro im Monat. Einem Arbeitnehmer, der 3500 Euro netto verdient, wird der Arbeitnehmeranteil des vollen Beitragssatzes der gesetzlichen Krankenversicherung plus Zusatzbeitrag vom Gehalt abgezogen. Das sind je nach Krankenkasse etwa 8,8 Prozent oder 308 Euro. Ein Arbeitnehmer, der mit 7000 Euro netto das Doppelte verdient, zahlt nicht etwa den doppelten Betrag und damit auch 8,8 Prozent auf sein Gehalt. Ihm werden nur 8,8 Prozent von 5512,50 Euro, also 485,10 Euro abgezogen. Der Rest seines Einkommens bleibt beitragsfrei. Auf sein gesamtes Monatseinkommen bezogen liegt die Belastung seines Einkommens damit nur bei 0,69 Prozent.

Nicht zu verwechseln ist die Beitragsbemessungsgrenze mit der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG), der sogenannten Versicherungspflichtgrenze. Diese liegt aktuell bei 6.150 Euro monatlich. Wer dauerhaft mehr verdient, darf die gesetzliche Krankenversicherung verlassen und sich privat versichern. Ob und wann sich das lohnt, lesen Sie hier.

Wer hat denn sowas eingeführt und warum?

Das System der Beitragsbemessungsgrenzen und der Versicherungspflichtgrenze gibt es in dieser Form schon seit Einführung der ersten Sozialversicherungen durch Reichskanzler Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert. Hintergrund war damals die Verelendung der Arbeiter, die zuvor bei Krankheit, Unfällen oder im Alter nicht abgesichert waren. Eine Belastung wohlhabender Schichten daran, im Rahmen der Sozialversicherung die Situation der Arbeiter zu verbessern, war nicht vorgesehen.

Zudem waren damals durch die Bemessungsgrenze nicht nur die Beiträge, sondern auch die Leistungen weitgehend gedeckelt. Die Ausgaben der Krankenversicherung etwa bestanden in der Anfangszeit hauptsächlich aus der Auszahlung von Krankentagegeld als Lohnersatz. Dessen Höhe richtete sich nach den gezahlten Beiträgen, die durch die Bemessungsgrenze gedeckelt waren. Dies ist heute nur noch bei der Rentenversicherung relevant.

Was spricht heute noch für dieses System?

Im Falle der Renten- und Arbeitslosenversicherung spricht heute wie vor über 100 Jahren für die Begrenzung der Beiträge, dass damit auch die Auszahlungen begrenzt werden. Es sind Versicherungen mit einem individuellen Anspruch: Die Höhe von Rente und Arbeitslosengeld richtet sich weitgehend nach der Höhe der zuvor gezahlten Beiträge. Fiele die Beitragsbemessungsgrenze weg oder läge sie viel höher, würden in diesem System auch die Ansprüche entsprechend steigen.

Anders ist die Situation in der Kranken- und der Pflegeversicherung. Den Löwenanteil der Ausgaben machen heute Kosten für Medikamente, Behandlungen und Pflege aus. Hier steht heute ganz unterschiedlichen Belastungen durch die Beiträge ein Anspruch auf weitgehend gleiche Leistungen gegenüber. Befürworter der Beitragsbemessungsgrenze argumentieren oft, dass Gutverdiener bei der Einkommensteuer stärker belastet würden und eine Entlastung bei den Sozialbeiträgen daher gerecht sei.

Welche Alternativvorschläge gibt es?

Zuletzt forderte die Linken-Chefin Ines Schwerdtner: "Vor allem Reiche und Vermögende müssen deutlich mehr tragen als bisher" in der Sozialversicherung. "Deswegen muss die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung deutlich erhöht werden und bei der Krankenversicherung wegfallen", sagte sie der "taz". Es könne nicht sein, dass der Handwerker auf sein komplettes Einkommen Sozialabgaben zahle, ein Manager hingegen nur auf einen Teil. Dies liefe auf eine Bürgerversicherung hinaus, in der alle Menschen in Deutschland unabhängig von Beschäftigungsart und Einkommenshöhe den gleichen Beitragssatz zahlen. Als Forderung fand oder findet sich das unter anderem in Parteiprogrammen der SPD, Grünen und Linken.

Was hat Arbeitsministerin Bärbel Bas nun getan?

Gar nichts. Die Beitragsbemessungsgrenze wird jährlich nach einer gesetzlich vorgegebenen Formal angepasst. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Ministerin in diesen Prozess eingegriffen hat. Nach allem, was bislang bekannt ist, sind die Beamten im Arbeitsministerium auch dieses Jahr genauso vorgegangen, wie sie es seit Jahrzehnten tun. Entsprechend soll dem Entwurf zufolge die Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung von derzeit 8.050 Euro im Monat ab dem 1. Januar 2026 auf 8.450 Euro steigen. In der gesetzlichen Krankenversicherung soll die Bemessungsgrenze demnach von monatlich 5.512,50 Euro in diesem Jahr auf 5.812,50 Euro im kommenden Jahr angehoben werden. Die Versicherungspflichtgrenze soll von aktuell 6.150 Euro auf dann 6.450 Euro pro Monat steigen. Ein politischer Eingriff wäre es dagegen, wenn sich die Bundesregierung in diesem Jahr gegen eine Anpassung entscheiden sollte, wie es etwa der Steuerzahlerbund fordert.

Gibt es einen "SPD-Plan", die Bemessungsgrenze zu verschieben?

Zuletzt hatte SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis im Juni in einem Interview für eine drastische Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze um rund 2.500 Euro plädiert, um die angespannte Finanzlage der Versicherungen zu stabilisieren. Mit dem aktuellen Plan des Arbeitsministeriums hat das allerdings nichts zu tun. Die SPD hat auch bislang keinerlei Initiative ergriffen, die Beitragsbemessungsgrenzen in der schwarz-roten Koalition zum Thema zu machen. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, plädierte neben Strukturreformen ebenfalls für eine Anhebung "stufenweise auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung".

Wie argumentiert der Steuerzahlerbund?

Steuerzahlerbund-Chef Holznagel bemängelt einerseits, dass Gutverdiener schon steuerlich hoch belastet seien in Deutschland. Zudem kritisiert er, dass die Beitragsbemessungsgrenze und damit die Belastung für die Betroffenen jährlich steige, vergleichbare Entlastungen etwa durch eine Anpassung der Steuerfreibeträge an die Inflation nur unregelmäßig erfolgten.

Quelle: ntv.de

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