Wirtschaft

Warum fielen Anleger auf Windkraft-Wunder rein? Das Prokon-Märchen

Über 75.000 Anleger stiegen bei Prokon ein. Warum?

Über 75.000 Anleger stiegen bei Prokon ein. Warum?

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn sie nicht gestorben sind, investieren sie noch heute: Zehntausende vertrauen Prokon - einer Firma, die Wunderzinsen verspricht, mit Pleite droht und keine Zahlen veröffentlicht. Warum? Weil die Story zu gut ist, um nicht wahr zu sein.

Wer regelmäßig U-Bahn fährt, kannte Prokon schon lange bevor die "Skandalisierungswelle" begann. Unübersehbar prangte in Berlin, Hamburg und anderen deutschen Städten an den Scheiben und Türen im Nahverkehr auffällige Werbung: Ein Strahlenwarnzeichen, das sich langsam in ein Windrad verwandelt, darüber ein Name: Prokon. Und eine Botschaft: "Es ist Zeit etwas zu verändern…und das lohnt sich!"

Mehr als 75.000 Anleger glaubten dem Versprechen und investierten rund 1,4 Milliarden Euro. Prokon baute hunderte Windparks, Biomasseanlagen, produzierte tonnenweise Biodiesel. Nun kämpft das Unternehmen mit der Pleite - und es ist unklar, wie viel die Anleger je von ihrem Geld wiedersehen werden: Wenn mehr als fünf Prozent der Anleger ihr Geld abziehen, droht die Insolvenz, hat die Firma selbst gesagt. Die Erpressung zeigte Wirkung: Nur rund 7,4 Prozent haben laut Prokon gekündigt. Die selbstgesetzte Latte hat Prokon zwar gerissen, aber noch immer ist unklar, wie es weitergeht.

Wieso vertrauen tausende Menschen einer Firma, die mit ihnen und ihrem Geld derart Schlitten fährt? Für die einen ist Prokon kein Unternehmen, sondern eine Religion, und Firmengründer Carsten Rodbertus ihr Guru. Für die anderen ist Prokon ein durchaus zweifelhafter Konzern: Ein kaum überwachtes Finanzprodukt und gutgläubige Investoren vermischen sich darin zu einem hochriskanten Anlage-Cocktail. Alle Warnsignale wurden ausgeblendet. Denn Prokon erzählt einfach eine Geschichte, die zu gut ist, um nicht wahr zu sein.

Gutgläubige Kleinanleger

Mitte der 90er Jahre hat Prokon-Gründer Carsten Rodbertus, ein heute 53-jähriger Mann, der sein weißes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt, eine Idee: "Möglichst vielen Menschen aus der Mitte der Gesellschaft eine Beteiligung am Erfolg der Erneuerbaren Energien zu ermöglichen". Zwei Windräder hatte er damals schon auf seinem eigenen Acker aufgestellt. Um seine PROjekte und KONzepte im größeren Maßstab zu verfolgen, gründet er eine Firma: Prokon.

Die Idee klingt ehrlich und hat Charme: Bei Prokon muss niemand die üblichen horrenden Provisionen oder Ausgabeaufschläge zahlen, nicht einmal Depotgebühren. Anlegen kann man schon ab 100 Euro. Die Beteiligung soll fair sein: Niemand darf mehr als das Hundertfache des Durchschnittsanlegers investieren, damit kein Großinvestor die Oberhand gewinnt.

Doch Rodbertus' Idee hat Schattenseiten. Seine Firma wirbt auf Abendveranstaltungen, in U-Bahnen, die Einstiegshürden sind gering: Investiert haben vor allem ahnungslose, gutgläubige Kleinanleger. Ihr Geschrei ist nicht so groß, falls das Geld futsch ist. Denn wer hundert Euro verliert, beschwert sich weniger als jemand, der eine Million in den Sand setzt. Auch das gehört womöglich zum Prokon-Konzept.

Prokon-Rechte sind kaum ein Genuss

Ebenso wie die Anlageform, die alles andere als ein Genuss für die Anleger ist. Die wenigsten dürften sich klar gemacht haben, was hinter den Genussrechten steckt, für die Prokon durch die ganze Republik tingelt: Sie werden zu einer Art Eigentümer von Rodbertus' Firma - allerdings ohne jegliche Stimmrechte. Anders als bei einer Aktie dürfen die Käufer von Prokon-Genussrechten nicht mitbestimmen, was mit ihrem Geld passiert. Sondern müssen stillhalten und die Verluste tragen, egal was Rodbertus mit ihrem Geld anstellt.

Prokon hat sich nach eigenen Angaben "für dieses Geschäftsmodell entschieden, weil direkte Beteiligungen und formale Mitspracherechte einen enormen Verwaltungs- und Kostenaufwand bedeutet hätten". Mitreden könnten die Anleger ja auch anderswo schon genug, zum Beispiel auf den Info-Veranstaltungen oder beim Tag der offenen Tür in den Windparks, findet Prokon.

Kontrollen für Rodbertus' Experiment gibt es nicht: Für die genaue Ausgestaltung von Genussrechten existieren keine gesetzlichen Bestimmungen. Die Bafin prüft auch nicht die inhaltliche Richtigkeit der Prokon-Werbeprospekte, sondern nur, ob die formalen Vorgaben vollständig eingehalten wurden. Anders als Anleihen oder Aktien können die Anleger die Papiere auch nicht an der Börse verkaufen. Mit ihrer Unterschrift ketten sie sich auf Gedeih und Verderb an Rodbertus' Versprechen.

Märchenhafte Wette auf die Windkraft

Doch die sind einfach zu verlockend: Legen die Anleger ihr Geld aufs Sparbuch, bekommen sie dank Euro-Krise nur noch Minizinsen. Geben sie es Rodbertus, verdienen sie Traumrenditen: 7,25 Prozent und mehr zahlte Prokon für seine Genussrechte seit 2003 jedes Jahr. Das ist rund doppelt so viel, wie die Firma Gewinn erwirtschaftete. Irgendwo muss das zusätzliche Geld herkommen.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Rodbertus den Stein der Weisen gefunden und kann sich den Geldregen leisten, weil er mit Windanlagen mehr verdient als jeder andere Anbieter. Oder er zahlt alte Anleger mit dem Geld neuer Investoren aus. Ist Prokon größenwahnsinnig oder kriminell? Die Frage müssen womöglich bald Staatsanwälte in Lübeck klären: Sie prüfen mehrere Anzeigen gegen Prokon wegen Betrug und Insolvenzverschleppung.

Schlimmstenfalls steckt hinter Prokon eine äußerst clevere Masche und Rodbertus ist ein gerissener Betrüger. Bestenfalls haben er und seine Firma sich einfach nur übernommen. Denn außer den versprochenen Wunderzinsen nährt auch ein anderer Konstruktionsfehler Zweifel am Geschäftsmodell: Die Firma hat ihre langfristigen Investitionen in Windanlagen mit extrem kurzfristigem Geld finanziert. Innerhalb von nur vier Wochen konnten die Anleger ihre Genussrechte kündigen.

Wenn zu viele Investoren kalte Füße bekommen, mussten Rodbertus' windige Anlagen ins Wanken geraten. Genau deswegen finanziert solche Geschäfte normalerweise eine Bank: Sie investiert eben nicht nur langfristig in eine einzige Sache. Zumindest diesen Fehler hat Prokon nun teilweise korrigiert. Etwas mehr als die Hälfte der Anleger haben zugestimmt, ihr Kapital bis Ende Oktober in der Firma zu lassen. Danach gilt nun eine deutlich längere Kündigungsfrist von 12 Monaten.

Zahlenzauber mit Wunderzinsen

Prokon betreibe kein Schneeballsystem, sagt die Firma. Vielmehr hätte man die hohen Zinsen aus den sogenannten stillen Reserven bezahlt: Der tatsächliche Marktwert der Windanlagen sei gestiegen, aus diesen Zuwächsen stamme das Geld. Nur: Die Wertsteigerungen existieren nur auf dem Papier. Wie viel die Anlagen wirklich wert sind weiß keiner. Das ist vor allem Prokons eigene Schuld.

Denn mit der Transparenz, die Prokon immer von den großen Energiekonzernen einforderte, nimmt es das Unternehmen selbst nicht so genau. Das ist das deutlichste Warnsignal, bei dem Anleger hellhörig werden müssten. Bis 2011 war Prokon eine Kommanditgesellschaft und musste daher überhaupt keine Zahlen veröffentlichen. Dann wandelte sich Rodbertus' Firma in eine GmbH um.

Die letzte gültige Bilanz hat Prokon, eine Firma mit mehr als tausend Mitarbeitern, allerdings für das Jahr 2011 vorgelegt, und auch das nur mit rund einem Monat Verspätung. Den Jahresabschluss für 2012 hat Prokon bislang nicht veröffentlicht. Und selbst die vorläufigen Zahlen, die Prokon Anfang des Jahres erst auf Druck der Öffentlichkeit ins Internet stellte, traute sich bislang kein Wirtschaftsprüfer zu bestätigen.

Weltenretter können keine Betrüger sein

Doch selbst daran scheinen sich die meisten Prokon-Investoren nicht zu stören. Kein Wunder: Sie begreifen sich nicht einfach als Anleger, sondern Anhänger einer Bewegung. Die Welt verbessern und dabei auch noch acht Prozent Zinsen verdienen, das ist das gute Gefühl, das Prokon ihnen verkaufte. Wer die Umwelt retten will, kann kein Betrüger sein, glauben sie deshalb. Prokon hat das Image genährt: Außer Windanlagen in Deutschland finanzierte die Firma auch Hilfsprojekte für Straßenkinder in Burkina Faso und Rumänien, unterstützte Bauern in Tansania.

Die Vision von einer besseren Welt schmiedet Rodbertus und seine Anleger zusammen. Schuld sind immer die anderen: Die großen Banken, die Prokon seine Unabhängigkeit missgönnen. Die großen Energiekonzerne, die das Windkraft-Wunder aus Profitgier zerstören wollen. Und die Journalisten, die das Experiment aus Sensationslust angreifen: Dem "Diktat der Medienmaschinerie" unterwirft sich Prokon seit Mai 2013 nicht mehr. Und reagiert einfach nicht auf Anfragen.

In dieser Bunkermentalität konnte die Firma bisher jede Kritik an ihrem Geschäftsmodell als Hetzkampagne abtun. Und berechtigte Fragen ignorieren: Zum Beispiel warum sie von einem Tag auf den anderen Bilanzzahlen auf ihrer Website ändert. Doch im Dezember waren es zum ersten Mal nicht etwa die Medien, die Zweifel an Prokons Zahlungsfähigkeit auslösten, sondern das Unternehmen selbst: Rodbertus' Firma bat ihre Anleger, die Zinsen für das zweite Halbjahr nicht auszahlen zu müssen. Als immer mehr Investoren ihr Geld abzogen, setzte Prokon seinen Investoren die Pistole auf die Brust und drohte ihnen offen mit der Pleite, wenn sie ihr Geld abziehen. Wie die märchenhafte Geschichte für die Anleger ausgeht, wird sich wohl bald zeigen. Womöglich heißt es ja am Ende doch noch: Und wenn sie nicht gestorben sind, investieren sie noch heute.

Quelle: ntv.de

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