Wirtschaft

Experte über Verstaatlichung "Das Stromnetz ist prädestiniert für Investoren"

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Tennet will sein deutsches Netz loswerden.

(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)

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Der flächenmäßig größte Teil des deutschen Stromnetzes gehört den Niederländern. Die Bundesregierung signalisiert nun Kaufinteresse. Strommarkt-Experte Mirko Schlossarczyk vom Beratungsunternehmen Enervis erklärt im Interview mit ntv.de, was das für die Versorgungssicherheit und den Strompreis bedeutet.

ntv.de: Mitten in der Energiekrise will der Bund den Teil des deutschen Stromnetzes kaufen, der bisher Tennet, also dem niederländischen Staat gehört. Was halten Sie davon?

Mirko Schlossarczyk: Bei der Stromversorgung handelt es sich um kritische Infrastruktur, die durch die Entwicklung der letzten zwölf Monate natürlich noch einmal deutlich an Relevanz gewonnen hat. Der Staat versucht, sich bei dieser Infrastruktur zunehmend Mitspracherechte und Einfluss zu sichern. Das betrifft nicht nur die Energiewirtschaft, sondern zum Beispiel auch die Mobilfunknetze, wie das aktuelle Beispiel Huawei zeigt. Allerdings ist der Verkauf des deutschen Tennet-Netzes nicht primär durch den deutschen Staat getrieben, sondern durch Tennet. Das ist der niederländische Netzbetreiber, der selbst dem niederländischen Staat gehört. Der Anstoß zum Verkaufsprozess hat schon vor Jahren begonnen, weil Tennet nicht bereit ist, die nötigen massiven Investitionen ins deutsche Netz zu stecken.

Das heißt, der Verkauf an den deutschen Staat ergibt Sinn?

Aus Marktsicht ist eine Verstaatlichung grundsätzlich kritisch zu hinterfragen. Dort wo der Staat als Unternehmer tätig wird, wird es in der Regel ineffizienter und teurer. Ein Argument der Befürworter ist, dass sich Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen. Das sehe ich nicht so. Wenn das so wäre, hätten wir ein Problem im System. Es gibt einen Rechtsrahmen, der für alle Marktteilnehmer gilt. Falls die Regeln problematisch sind, dürfen sie nicht plötzlich einfacher werden, weil der Staat beteiligt ist.

Trotzdem ist ein Trend zur Verstaatlichung zu erkennen: Der KfW gehört bereits ein Fünftel des ostdeutschen Netzbetreibers 50Hertz. Zudem greift die KfW Insidern zufolge nach einer Minderheitsbeteiligung an TransnetBW. Hat das Folgen für die Versorgungssicherheit?

Aus energiewirtschaftlicher Sicht macht das keinen Unterschied, weil unabhängig vom Eigentümer dieselben Spielregeln gelten und sich generelle Marktentwicklungen nicht grundsätzlich verändern. Aber bei 50Hertz hat die KfW 2018 den Einstieg eines chinesischen Konzerns verhindert. Das war ein klares Signal, die kritische Infrastruktur gegen eine chinesische Beteiligung abzusichern. Sicherheitspolitisch kann das sinnvoll sein. Ob es energiewirtschaftlich sinnvoll ist, sei dahingestellt. Das Übertragungsnetz ist ein natürliches Monopol, in dem Wettbewerb nur eingeschränkt wirkt, daher ist es stark reguliert. Die Erlöse und die Eigenkapitalverzinsung der Netzbetreiber sind regulatorisch festgelegt. Damit ist es prädestiniert für Investoren und institutionelle Anleger. Die beiden großen deutschen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz und Amprion gehören ja auch teilweise börsennotierten Unternehmen beziehungsweise privaten Investoren. Daher ist es aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht notwendig, dass der Staat übernimmt.

Sinkt oder steigt mit der Verstaatlichung die Gefahr von Blackouts?

Der deutsche Staat hat erfahrungsgemäß sehr, sehr tiefe Taschen. Mit staatlichem Geld ist es auf den ersten Blick vielleicht einfacher, die nötigen massiven Investitionen zu stemmen als mit privatem. Andererseits wird Staatsunternehmen oft eine gewisse Trägheit, Ineffizienz und Intransparenz nachgesagt. Die Regeln und Rahmenbedingungen auf dem Energiemarkt sind allerdings für alle Marktteilnehmer die gleichen. Vor diesem Hintergrund sollte die Wahrscheinlichkeit von Blackouts nicht unmittelbar an der Eigentümerstruktur der Unternehmen hängen.

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Mirko Schlossarczyk

(Foto: Enervis)

Die im Tennet-Netz geplante Trasse Suedlink, die Strom aus Windenergie im Norden nach Süddeutschland leiten soll, zieht sich seit Jahren hin. Mit dem deutschen Staat als Eigner ginge es also auch nicht schneller?

Nein, das sollte nicht der Fall sein, weil es hieße, dass Dinge verschleppt worden wären. Aus der Stellung eines staatlichen Unternehmens darf kein Wettbewerbsvorteil gegenüber einem anderen Unternehmen entstehen.

Das heißt, die Verzögerung lag nicht an Tennets fehlendem Investitionswillen oder anderem, sondern zum Beispiel an Genehmigungsprozessen?

Planung, Genehmigung, Rechtsrahmen, Einspruchsmöglichkeiten - ja, und das ist durch den Gesetzgeber durchaus auch so gewollt. Und der Netzausbau hat natürlich auch technische Aspekte. Die benötigten Komponenten und Materialien hängen an globalen Lieferketten und unterliegen in den letzten Jahren massiven Kostensteigerungen. Mit all diesen Problemen hätte auch der deutsche Staat als Eigentümer zu kämpfen.

Eine Verstaatlichung der Übertragungsnetze wirkt sich somit auch nicht auf den Strompreis aus?

Sie sollte sich überhaupt nicht auf den Preis auswirken, weil unabhängig vom Eigentümer dieselben Marktregeln gelten. Investitionen ins Netz wirken sich zwar auf die Netzentgelte aus, wodurch der Verbraucherpreis steigen dürfte. Aber das liegt ja nicht an der Eigentümerstruktur, da das Netzgeschäft stark reguliert ist. Im Gegenteil, ein hocheffizienter Netzbetrieb könnte sogar zu sinkenden Netzentgelten führen.

Warum gehört der flächenmäßig größte Teil des deutschen Stromnetzes, das sich von Schleswig-Holstein bis Bayern erstreckt, überhaupt den Niederländern?

Das deutsche Tennet-Netz ist quasi die Achillesferse der Energiewende, dort sollen die großen Leitungen gebaut werden, um die Windenergie aus dem Norden nach Süddeutschland zu bringen. Nach der Jahrtausendwende mussten die Energieversorger im Zuge der Liberalisierung und Neuordnung des Strommarkts ihre Netze vom sonstigen Geschäft abspalten. Stromerzeugung, Netzbetrieb und Handel wurden getrennt. Deshalb wurden die Netzgesellschaften damals ausgegliedert. Der belgische Netzbetreiber Elia hat zum Beispiel 50Hertz übernommen. Und das Eon-Netz ging an Tennet. Damals wurde übrigens darüber nachgedacht, eine deutsche Netzgesellschaft zu gründen und dort die vier deutschen Netzbetreiber zu vereinigen. Dafür hätten allerdings massive Steuergelder aufgewendet werden müssen. Heute beziffert allein Tennet die aktuell nötigen Investitionen für den Ausbau seines deutschen Netzes auf 15 Milliarden Euro.

Wem sollten das deutsche Stromnetz also idealerweise gehören?

Aus wirtschaftlicher Sicht war der Staat in der Vergangenheit sehr oft der schlechtere Unternehmer, nicht nur in der Energiewirtschaft. Sofern es allerdings um die kritische Infrastruktur geht, kann es natürlich ein übergeordnetes Interesse geben. Dann ist es aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus nicht egal, wer der Eigentümer ist.

Im Zuge des russischen Gaslieferstopps hatte der Bund im vergangenen Jahr auch den Energieversorger Uniper und den Gashändler Sefe, die frühere Gazprom Germania, verstaatlicht. Zeigen sich dort Folgen für Energieversorgung oder Preise?

Beim Gas interessanterweise schon. Der Gashändler Trading Hub Europe (THE) kauft seit 2022 im Auftrag der Bundesregierung große Mengen Gas ein, um die Versorgung zu sichern und die Speicher zu füllen. Das war möglicherweise nicht ganz so effizient, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Durch die große Einkaufsmenge wurde der Gasmarkt weiter verknappt, wodurch die Preise zusätzlich in die Höhe getrieben wurden. Das hätte man möglicherweise anders lösen können. Was uns wieder dazu führt, dass der Staat nicht der effizienteste Unternehmer ist. Vor dem Hintergrund des befürchteten Gasmangels war diese Einkaufsstrategie aber auch nicht vollkommen falsch.

In der Finanzkrise hatte sich der Staat an der Commerzbank, in der Corona-Krise an der Lufthansa beteiligt und bei Letzterer großen Gewinn gemacht. Nach relativ kurzer Zeit zog sich der Staat größtenteils wieder aus der Beteiligung zurück. Ist das kein Erfolgsmodell für die Energiewirtschaft?

Bei Uniper und Sefe ist schwer absehbar, dass der Staat schnell aussteigen kann, weil sich deren Geschäftsmodelle mit dem Ukraine-Krieg verändert haben. Normalerweise sollte eine Verstaatlichung nur ein Zwischenschritt sein, um ein Unternehmen wieder in die Privatwirtschaft zu entlassen, wenn eine Krise vorbei ist. In diesem Fall kann sich der Staat nicht einfach wieder entziehen. Allerdings gehörte Uniper zuvor auch einem Staat, dem finnischen, und Gazprom Germania war in russischer Hand. In der Energiewirtschaft sind die kritische Infrastruktur und Versorgungsstrukturen auch historisch gewachsen. Der Staat hatte hier immer ein großes Interesse und eine Reihe von Beteiligungen. In Deutschland hat die Liberalisierung des Strommarktes vor 25 Jahren das richtigerweise aufgebrochen.

Wird unser Stromnetz dann bei einer Verstaatlichung auch nicht mehr so schnell privatisiert?

Beim Stromnetz ist es durch den stark regulierten Charakter und gesicherte Erlöse anders. Für institutionelle Anleger wie Banken, Versicherungen und Fonds ist es nach wie vor sehr attraktiv, dort zu investieren. Deshalb sollte auch in Zukunft grundsätzliches Interesse der Privatwirtschaft vorhanden sein.

Das heißt, die Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs führt nicht zu einer Rückverstaatlichung der Energieversorgung?

Zurzeit wird plötzlich vieles als kritische Infrastruktur gesehen, was dem Staat Tür und Tor öffnet, sich zu beteiligen. Aktuell wird darüber nachgedacht, ein Wasserstoffnetz mit staatlicher Beteiligung aufzubauen. Dabei hat die Deutsche Energie-Agentur (DENA) in einer Studie festgestellt, dass eine staatliche Beteiligung nicht nötig ist, weil genug private Investoren zur Verfügung stehen und der Markt inzwischen deutlich flexibler agiert, als es der Staat jemals könnte. Eine Grundsatzfrage ist immer, ob Dinge mit Steuergeldern finanziert werden müssen, die der Markt beziehungsweise private Investoren besser finanzieren beziehungsweise effizienter regeln und betreiben können.

Mit Mirko Schlossarczyk sprach Christina Lohner

Quelle: ntv.de

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