Freihandel nein, Demokratie ja Das sind die Kläger gegen Ceta
12.10.2016, 16:20 Uhr
Die Ceta-Gegner müssen sich den Fragen der Verfassungsrichter stellen.
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Mehr als 130 bilaterale Freihandelsabkommen hat Deutschland in der Vergangenheit unterzeichnet. Aber das zwischen Europa und Kanada soll das Bundesverfassungsgericht stoppen. Wer oder was steckt dahinter?
Der Protest gegen das Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kanada setzt neue Maßstäbe. Zwei der vier Verfassungsbeschwerden gegen Ceta sind die größten jemals eingereichten Bürgerklagen in der Geschichte der Bundesrepublik: Allein das Bündnis "Nein zu Ceta", initiiert von der Verbraucherorganisation Foodwatch und den Vereinen Campact und Mehr Demokratie, mobilisierte mehr als 125.000 Mitkläger.
Die Kampagne einer 70-jährigen pensionierten Musiklehrerin aus Nordrhein-Westfalen fand ebenfalls eine stattliche Schar von Unterstützern. Marianne Grimmenstein-Balas trug Kartons mit 68.000 Vollmachten nach Karlsruhe. Zwei weitere Klagen stammen von 60 Bundestagsabgeordneten der Linken sowie dem Europaparlamentarier Klaus Buchner (ÖDP). Die Fraktion der Linken reichte zusätzlich noch ein Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung ein - damit macht sie einen Verlust eigener Rechte geltend.
Eine Freihandelszone für 544 Millionen Menschen mit eigenen Schiedsgerichten und einem EU-Hauptausschuss, der Ceta alleine auslegt, ohne die Mitgliedsstaaten zu befragen: Die Kläger finden, dass so ein Abkommen nicht nur demokratische Prinzipien untergräbt, sondern auch den Umwelt- und Verbraucherschutz gefährdet.
"Kein von mir gewähltes Parlament - weder der Bundestag noch das EU-Parlament - hat das Verhandlungsmandat für Ceta beschlossen", sagt Roman Huber vom Verein Mehr Demokratie. Damit trifft er grundsätzlich den Nerv. Was einfach scheint, ist im Detail jedoch wesentlich komplizierter. Was die Kläger konkret nach Karlsruhe treibt, sind komplexe Sachverhalte.
Einer betrifft das sogenannte Vorsorgeprinzip. In Europa gilt bisher, dass jedes Produkt, das auf den Markt kommt, für Mensch und Umwelt bewiesenermaßen sicher sein muss. Nur wird im Vertrag explizit die "Förderung effizienter, wissenschaftsbasierter Zulassungsverfahren für Biotechnologieerzeugnisse" zum Ziel erklärt. Kritiker befürchten, dass Ceta dieses Prinzip aushebelt. Sollen Produkte verboten werden, weil sie Schaden anrichten könnten - so wie bisher? Oder soll man in Zukunft mit einem Verbot warten, bis Schaden angerichtet wurde, wie es der nordamerikanische Ansatz ist? Das ist die Frage. Beispiele in Nordamerika haben gezeigt, dass es lange dauern kann, bis Produkte wieder vom Markt genommen werden.
Vorsorgeprinzip und Schiedsgerichte
Für Protest sorgen auch die neuen geplanten Behörden und Institutionen, denen Entscheidungsbefugnisse übertragen werden sollen, die die EU-Parlamente zur Tatenlosigkeit verdammt. Sogenannte Investitionsgerichte sollen im Streit zwischen internationalen Konzernen und einer nationalen Regierung entscheiden, wenn es etwa um investitionshemmende Umwelt- oder Verbraucherschutzstandards geht. Kritiker befürchten, dass hier eine Paralleljustiz für Investoren entsteht. Auch Thilo Bode, Gründer von Foodwatch, sieht die Gefahr, dass öffentliche Belange wie Umweltschutz, Verbraucherschutz oder Gesundheit vor so einem Gericht zwangsläufig zweitrangig sein werden.

Aktivisten protestieren in Berlin vor dem Bundeskanzleramt gegen das geplante Freihandelsabkommen Ceta.
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Den Kritikern ein Dorn im Auge ist auch die große Machtbefugnis für den geplanten Ceta-Ausschuss, der mit Vertretern der EU und Kanadas und nicht mit Parlamentariern aus den EU-Staaten besetzt werden soll. Hier wird derzeit zumindest noch um eine Zusatzvereinbarung gerungen.
Geschürt hat die Ablehnung auch die Tatsache, dass das Abkommen mehr oder weniger hinter verschlossenen Türen entstanden ist. Die Öffentlichkeit habe kaum die Chance gehabt, Einsicht und damit Einfluss auf den Prozess zu nehmen, heißt es. Dies sei ein Verstoß gegen die einfachsten Regeln der Demokratie. Das findet auch die Musiklehrerin aus Nordrheinwestfalen. Nach einem Stopp könne man "vernünftige Verbesserungen durchsetzen, die der Allgemeinheit dienen", sagte die Klägerin Grimmenstein-Balas vor Verhandlungsbeginn.
Letztlich geht es ums Prinzip
Alle demokratischen Einwände erklären jedoch noch nicht, warum ausgerechnet die Ceta-Verhandlungen so einen Proteststurm ausgelöst haben. Die Bundesrepublik hat in der Vergangenheit insgesamt über 130 bilaterale Abkommen zum Freihandel unerschrieben. Dem mehrmaligen Export-Weltmeister hat es nicht geschadet. Im Gegenteil.
Die Ablehnung ist nur mit prinzipiellen Überlegungen zu erklären. Die Bürger lehnen nicht den Freihandel an sich ab, sondern eine Globalisierung auf Gedeih und Verderb. Die Menschen sind skeptischer geworden. Immer mehr fragen sich, ob eine globalisierte Welt mit einem Handel ohne Grenzen wirklich allen Menschen dient. Das Misstrauen der Kläger richtet sich dabei nicht mehr nur gegen profitorientierte Unternehmen, sondern auch gegen die Politik. "Ceta beschleunigt die Globalisierung, statt sie vernünftig zu regulieren", sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Das sollte die "Bundesregierung endlich klar und deutlich sagen und einen Schlussstrich ziehen".
Letztlich fürchten die Gegner mit der Ceta-Vereinbarung auch einen Wegbereiter für das umstrittene TTIP-Abkommen mit den USA. Im Eilverfahren soll deshalb verhindert werden, dass das Abkommen in Teilen vorläufig in Kraft treten kann, noch bevor der Bundestag zugestimmt hat. Das Verfassungsgericht soll die Vertreter der Bundesregierung gewissenmaßen verpflichten, im EU-Ministerrat am 18. Oktober mit Nein zu stimmen.
Klarheit, wie es weiter geht, haben die Gegner des Abkommens bereits morgen Früh. Der straffe Zeitplan sieht vor, dass die Richter am Abend beraten und am Donnerstagvormittag ihre Entscheidung verkünden. Auch wenn die Kläger unterliegen, hoffen sie, dass ihre Klagen Signalwirkung für Berlin haben: "Die Bundesregierung muss die massiven Proteste zur Kenntnis nehmen", sagte die Linken-Chefin Katja Kipping dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Regierung dürfe Ceta nicht zustimmen.
Quelle: ntv.de