Wirtschaft

Ego, Einfluss, Boni Das steckt hinter dem Bahn-Streik

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Gestreikt wird bis Montag.

Gestreikt wird bis Montag.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zum vierten Mal im laufenden Bahn-Tarifstreit streikt die Lokführergewerkschaft GDL. Fahrgäste und Unternehmen sind zunehmend genervt. Doch GDL-Chef Weselsky bleibt hart. Es geht für ihn um mehr als bessere Bezahlung und kürzere Arbeitszeiten.

Der längste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn hat begonnen. Sechs Tage legt die Lokführergewerkschaft GDL den Personen- und Güterverkehr weitgehend lahm. GDL-Chef Claus Weselsky setzt auf maximale Eskalation. Das Verhältnis im laufenden Tarifkonflikt von Gesprächsrunden zu Streiks: 2 zu 4. Die Bahn hat ein verbessertes Angebot vorgelegt, doch die GDL will darüber nicht einmal reden. Da stellt sich die Frage: Was läuft da eigentlich schief?

Vordergründig handelt es sich um hart geführte Tarifverhandlungen, in denen die Spartengewerkschaft für höhere Löhne und eine Reduzierung der Arbeitszeit für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich kämpft. Das ist ebenso legitim wie normal. Doch die Verbissenheit, mit der die GDL den Konflikt führt und eskaliert, lässt sich damit nicht allein erklären. Deren Ursachen reichen tiefer.

Einer der Gründe ist Weselsky selbst, ein Machtmensch mit ausgeprägtem Ego. Er will für seine Gewerkschaft so viel herausholen wie möglich – ohne Rücksicht auf Verluste. Dass durch die GDL-Streiks mal eben das ganze Land in Mitleidenschaft gezogen wird, ärgert nicht nur zahllose Pendler und verhinderte Bahn-Reisende. Unter dem Streik im Güterverkehr leidet auch die deutsche Industrie. Je länger der Ausstand dauert, umso größer der dort angerichtete Schaden. Genau das ist für Weselsky aber ein Glücksfall. Er hat den perfekten Hebel, um den Bahn-Vorstand unter Druck zu setzen. Dass Streiks das letzte Mittel in einer Tarifauseinandersetzung sein müssen, ignoriert Weselsky.

Auch dass es in einem Tarifkonflikt darum gehen sollte, einen fairen Kompromiss zu finden, spielt für den GDL-Chef offensichtlich keine Rolle. Er eskaliert deshalb auch rhetorisch schnell. Er unterstellt dem Bahn-Vorstand eine "Veralberungstaktik" und kündigte zu Beginn der Tarifverhandlungen an: Die Beschäftigten der Bahn "haben die Messer schon gewetzt". Der Wortwahl des Gewerkschaftsfunktionärs hängt ein Geschmack von Klassenkampf an, wenn er gegen "Nieten in Nadelstreifen" wettert und den Bahn-Vorstand auffordert, vom "hohen Ross" herunterzukommen.

Boni für den Vorstand

Der Bahn-Vorstand macht es dem GDL-Chef allerdings auch leicht. Weselskys Feststellung, dass das Unternehmen seit Jahren "hart an der Grenze zum Chaos" operiere, ist durchaus zutreffend. Die Infrastruktur ist marode, die Schweiz stoppt wegen notorischer Verspätungen deutsche Züge an der Grenze. Und obwohl die Bahn ihre Pünktlichkeits- und Kundenzufriedenheitsziele verfehlt hat, bekommt der Vorstand für 2022 Boni von fast fünf Millionen Euro ausgezahlt. Dass eine Gewerkschaft vor diesem Hintergrund Maximalforderungen mit der Brechstange durchsetzen will, passt in diese Konzernkultur.

Zum radikalen Kurs Weselskys trägt wahrscheinlich auch bei, dass diese Tarifauseinandersetzung seine letzte sein wird. Er geht bald in Rente und wird seine Laufbahn nicht nur mit einem Rekordstreik, sondern wahrscheinlich auch mit einem Triumph im Tarifstreit beenden. Der Bahn ist der GDL schon weit entgegengekommen und wird sich wohl noch weiter bewegen.

All das geschieht vor dem Hintergrund eines weiteren Konflikts, den die GDL austrägt. Sie kämpft darum, ihren Einfluss bei der Bahn auszuweiten. Der viel größere Teil der Bahn-Beschäftigten ist bei der Gewerkschaft EVG organisiert. Im Kampf um Mitglieder will die GDL unbedingt mehr als die Konkurrenz herausholen. Dieser Überbietungswettbewerb liegt auch am Tarifeinheitsgesetz, das für die Existenz kleiner Gewerkschaften eine Bedrohung ist. Denn dadurch wird in einem Betrieb mit mehreren Gewerkschaften nur der Tarifvertrag der größeren Arbeitnehmervertretung angewendet. In den meisten Bahn-Betrieben ist das die EVG, die sich mit der Bahn bereits auf einen Tarifabschluss geeinigt hat.

Ein weiterer Grund für Weselskys Konfliktbereitschaft: Die GDL kann sich den Streik leisten. Wer streikt, bekommt zwar keinen Lohn. Doch Gewerkschaften füllen mit den Mitgliedsbeiträgen ihre Streikkasse. Aus dieser wird dann ein Streikgeld bezahlt. Obwohl das in der Regel nur einen Teil der Lohn- und Gehaltseinbußen ausgleicht, die Streikenden entstehen, ist das für Gewerkschaften teuer. Die GDL hat den großen Vorteil, dass sie Mitglied im Deutschen Beamtenbund DBB ist. Dieser erstattet der GDL 50 Euro für jeden Streikenden pro Streiktag. Die anderen 40 Mitgliedsgewerkschaften sponsern so den Eskalationskurs Weselskys und stellen sicher, dass die GDL das Streikgeld auch bei einem längeren Arbeitskampf zahlen kann.

"Gelebte Solidarität"

Die Unterstützung der Partnergesellschaften für die GDL ist teuer und bestimmt nicht grenzenlos. DBB-Chef Ulrich Silberbach hatte sich zwar vor zwei Wochen hinter Weselsky gestellt und von "gelebter Solidarität" gesprochen. "Aktuell ist es für eine Schlichtung definitiv zu früh", sagte er der "Wirtschaftswoche". Die Erfahrung zeige, "dass der Bahn-Vorstand sich nicht wirklich bewegt, bevor es nicht einmal richtig gescheppert hat." Am Ende müsse aber muss ein Kompromiss stehen, mit dem beide Seiten leben können.

Mittlerweile scheppert es gewaltig. Und Silberbach dürfte danach auf Weselsky einwirken, einen Schlichtungsversuch zu akzeptieren. Die Vergangenheit zeigt: Ohne Schlichtung ist eine Einigung zwischen GDL und Bahn unmöglich. Die Fronten sind allerdings diesmal so verhärtet, dass es vielleicht noch mindestens einen weiteren Streik braucht, bis Weselsky zu einer Schlichtung bereit ist.

Quelle: ntv.de

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