WWF nennt Reform "Katastrophe" EU-Länder erzielen umstrittenen Agrardeal
21.10.2020, 08:55 Uhr
Die Mitgliedsländer der EU haben festgelegt, in welche Richtung sich die Landwirtschaft in den kommenden Jahren bewegen soll.
(Foto: picture alliance/dpa)
Landwirtschaftsministerin Klöckner jubelt: Unter ihrem Vorsitz gelingt endlich eine Einigung, wie in den kommenden sieben Jahren 387 Milliarden Euro an die EU-Landwirte verteilt werden. Klöckner spricht von einem "Meilenstein" für die Umwelt. WWF und Greenpeace sind entsetzt.
Die EU-Staaten haben sich auf eine Reform der milliardenschweren Agrarpolitik verständigt. Nach fast zweitägigen Verhandlungen einigten sich die Agrarminister der Mitgliedstaaten in Luxemburg auf einen Kompromissvorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Da auch das Europaparlament in dieser Woche seine endgültige Linie festlegen will, können beide Seiten anschließend Verhandlungen miteinander aufnehmen. Die Umweltverbände WWF und Greenpeace kritisierten den Kompromiss der EU-Mitgliedstaaten scharf.
Weil Deutschland noch bis Ende des Jahres den Vorsitz der EU-Staaten innehat, leitete Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Verhandlungen. Nach stundenlangen Gesprächen in kleineren Formaten ging sie gegen Mitternacht mit einem neuen Kompromissvorschlag in das Plenum mit den anderen Ministern. Nach weiteren Nachbesserungen gelang am Morgen der Kompromiss. Die CDU-Politikerin sprach von einem "Meilenstein" für einen "Systemwechsel". Die Einigung sei wohl ausbalanciert zwischen Natur-, Umwelt- und Tierschutz und zu gewährleistender Ernährungssicherheit in Europa.
Strengere Auflagen, weniger Kontrollen
Bei der Agrarreform geht es um den größten Posten im EU-Budget. Die Agrarpolitik ist mit derzeit 387 Milliarden Euro über die nächsten sieben Jahre der größte Posten im EU-Haushalt. Deutschland stehen davon rund 42 Milliarden Euro zu. Viele Landwirte sind von den Direktzahlungen aus Brüssel abhängig, fürchten aber zugleich zu hohe Umweltauflagen. Die EU-Kommission hatte 2018 eine umfassende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Mittlerweile gilt für die nächsten zwei Jahre eine Übergangsphase, sodass neue Regeln erst ab 2023 in Kraft treten würden.
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen die Staaten unter anderem mehr Freiheiten bekommen, wie sie eine Reihe vorgegebener Ziele erreichen wollen - etwa die Erhaltung der Natur, den Klimaschutz und die Sicherung der Lebensmittelqualität. Dazu sollen sie jeweils nationale Pläne erstellen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssten.
Nach Angaben des Rates der Mitgliedstaaten sollen laut dem nun getroffenen Kompromiss künftig alle Landwirte an höhere Umweltstandards gebunden sein. Kleinbauern sollen demnach vereinfachten Kontrollen unterworfen werden, "wodurch der Verwaltungsaufwand verringert und gleichzeitig ihr Beitrag zu den Umwelt- und Klimazielen gesichert würde".
Verbände widersprechen Klöckner
Dagegen erklärte der WWF, die Reform werde "zur Katastrophe für Natur- und Klimaschutz". Die Landwirtschaftsminister der Union setzten die "zerstörerische Subventionspolitik zugunsten großer Agrarkonzerne fort". Auch Greenpeace monierte, die Minister betrieben "klassische Klientelpolitik für Großbetriebe und Agrarwirtschaft zu Lasten bäuerlicher Familienbetriebe und der Umwelt".
Klöckner unterstrich vor allem eine Einigung auf verpflichtende Öko-Regeln. Demnach soll jedes EU-Land einen Mindestanteil von 20 Prozent der Direktzahlungen an die Teilnahme der Landwirte an Umweltprogrammen knüpfen. Damit die Mitgliedstaaten keine EU-Mittel verlieren, wenn nicht genügend Landwirte an diesen Umweltprogrammen teilnehmen, ist laut Klöckner eine zweijährige "Lernphase" vorgesehen, während derer die für Umweltprogramme reservierten Mittel auch anders abgerufen werden können.
EU-Parlament will mehr
An beidem, der Quote und der Übergangsfrist, stören sich WWF und Greenpeace. Europas Natur befinde sich in einem miserablen Zustand, und das Artensterben auf Europas Wiesen und Feldern schreite weiter voran, erklärte der WWF. "Um ausreichende Wirkung zu entfalten, müssten es eigentlich verbindliche 50 Prozent sein, als minimaler Einstieg wären gerade noch mindestens 30 Prozent akzeptabel", erklärte WWF-Experte Christoph Heinrich. Auf diesen Wert hatte sich am späten Dienstagabend das Europaparlament verständigt.
Auch Greenpeace-Experte Lasse van Aken kritisierte, das Budget für die Öko-Regelungen sei mit 20 Prozent niedriger als vom EU-Parlament beschlossen. "Wie diese Regeln umgesetzt werden, und ob sie überhaupt wirken, ist fraglich." 390 Milliarden Euro Agrarsubventionen dagegen sollten weiterhin weitgehend bedingungslos verteilt werden, statt damit gezielt Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft zu fördern.
Das Thema ist unter den EU-Abgeordneten hochgradig umstritten. Wegen mehr als 2000 Änderungsanträgen werden sie sich wohl erst gegen Ende der Woche auf eine gemeinsame Position verständigen. Danach könnten die Verhandlungen zwischen den beiden EU-Institutionen über einen finalen Text beginnen.
Quelle: ntv.de, fzö/shu/dpa/AFP