Kollege Fortschritt ist rüde OECD: Niedrige Löhne steigen nicht
13.06.2017, 15:08 Uhr
Industriearbeiter gehören zu denen, deren Jobs laut OECD durch technischen Fortschritt gefährdet sind.
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Die Konjunktur brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt: Doch der Aufschwung erreicht nicht alle. Laut OECD sinkt die Nachfrage nach mittleren Qualifikationen. Für Deutschland hat die Organisation zudem zwei Ratschläge.
Viele deutsche Arbeitnehmer profitieren nach Ansicht der OECD zu wenig von der guten Konjuktur. "Das Lohnwachstum ist verhalten geblieben, trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit und der wachsenden Zahl freier Stellen", heißt es im Beschäftigungsausblick der Organisation. "Einstiegslöhne für Zuwanderer sind niedrig, und eine hohe Zahl älterer Arbeitnehmer und Zweitverdiener haben gering entlohnte Stellen angenommen." Insgesamt erholten sich im OECD-Raum die Arbeitsmärkte. Allerdings gehe die Nachfrage nach mittleren Qualifikationen zurück.
In Deutschland stiegen im vergangenen Jahr die Löhne um zwei Prozent. 2018 dürften es 2,5 Prozent werden, während die Arbeitslosigkeit weiter sinke. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sagte: "Die Entwicklung im unteren Einkommensbereich ist ein Problem." Während es dort nach Abzug der Inflation in den vergangenen Jahren keinen Anstieg gegeben habe, sei dieser bei den oberen 60 Prozent umso stärker gewesen. Ende 2016 erreichte die Beschäftigung laut OECD in Deutschland 66 Prozent der Bevölkerung im Alter von 15 bis 74 Jahren.
Deutscher Arbeitsmarkt mit Schwächen
Für verbesserungswürdig hält OECD-Generalsekretär Angel Gurria noch andere Dinge. "Zwei Schwächen der Entwicklung in Deutschland sind der höhere Anteil von Arbeitsplätzen mit starkem arbeitsbedingtem Stress und eine große Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern", erklärte er. "Letztere rührt vor allem daher, dass Frauen weniger Arbeitsstunden aufweisen als Männer." Dies ließe sich durch eine niedrigere Besteuerung von Zweitverdienern sowie durch flächendeckende Angebote für Ganztagsbetreuung von Kindern und Ganztagsschulen ändern.
Nahles sagte, sie werde sich weiter für ein Rückkehrrecht von Eltern auf eine Vollzeitstelle einsetzen, was gerade Frauen helfen würde. Dieses Vorhaben hatte die SPD-Politikerin kürzlich aufgegeben, nachdem in der Koalition und bei den Arbeitgebern für ihre Pläne keine Unterstützung kam.
Die OECD sieht den deutschen Arbeitsmarkt insgesamt aber in einer guten Verfassung. Gurria führte dies auch auf das Zusammenspiel von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften zurück. Bis Ende 2018 werde die nach internationalen Standards berechnete Arbeitslosenquote auf 3,7 Prozent sinken. Das sei weniger als die Hälfte des Niveaus von 2007, als die weltweite Finanzkrise ihren Lauf nahm. Der Schnitt der 35 OECD-Länder liegt derzeit bei 6,2 Prozent.
Technischer Wandel produziert Verlierer
Der Bericht bescheinigt dem gesamten OECD-Raum eine weitere Erholung der Arbeitsmärkte. Die Beschäftigung erreiche langsam wieder das Niveau vor der Weltwirtschaftskrise. Allerdings stagnierten untere und mittlere Löhne. Gleichzeitig gehe die Nachfrage nach mittleren Qualifikationen zurück. Mit Blick auf die Kritik an der Globalisierung heißt es, der Beschäftigungsbericht habe gezeigt, "dass der technologische Wandel eine weit stärkere Triebkraft hinter der Polarisierung der Arbeitsmärkte" sei "als offene Märkte".
Die Polarisierung der Arbeitsmärkte im OECD-Raum sei etwa zu einem Drittel auf eine Verlagerung der Beschäftigung vom verarbeitenden Gewerbe hin zu Dienstleistungen zurückzuführen. So fänden Fachkräfte aus der Industrie nach einem Jobverlust oft nur schlechter bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor. Zwei Drittel der Polarisierung seien auf eine Verlagerung der Nachfrage hin zu Tätigkeiten mit entweder niedriger oder hoher Qualifikation innerhalb der Branchen zurückzuführen.
Quelle: ntv.de, jwu/rts/AFP