Claudia Kemfert über Strompreis "Preisdeckel ist der denkbar schlechteste Weg"
31.08.2022, 20:35 Uhr
Die Strompreise an der Börse explodieren derzeit.
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Neben dem rasant steigenden Gaspreis schießt nun auch der Strompreis in die Höhe. Verantwortlich dafür ist zum großen Teil die Stromflaute in Frankreich. Doch ein Preisdeckel wie im Nachbarland ist nicht die Lösung - sondern die Ursache des Problems, sagt Energieökonomin Claudia Kemfert im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Strom aus Gaskraftwerken macht weniger als 15 Prozent der gesamten deutschen Stromproduktion aus. Und doch zieht der Gaspreis den Strompreis mit in neue Dimensionen. Warum?
Claudia Kemfert: Die Strompreise an der Börse explodieren derzeit, auch weil wir das sogenannte Merit-Order-Prinzip haben. Das teuerste Grenz-Kraftwerk bestimmt den Preis. Zurzeit sind es die Gaskraftwerke, die den Strompreis an der Börse nach oben treiben. Der explodierende Strompreis ist aber auch ein Ausdruck eines funktionierenden Marktes. Denn der Preis wird durch Angebot und Nachfrage gebildet.

Claudia Kemfert ist Energieökonomin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
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Aber im Moment gibt es keine Stromknappheit, sondern nur eine Gasknappheit, oder?
In der Tat haben wir in Deutschland derzeit keine Engpässe, wohl aber in Frankreich. Dort sind mehr als die Hälfte der Kernkraftwerke aufgrund mangelnder Wartung und des Klimawandels nicht an das Netz angeschlossen. Die Knappheit wird verschärft durch die hohe Stromnachfrage, weil Strompreis durch Subventionen künstlich billig gehalten wird. Eine fatale Situation, die schnell geändert werden muss.
Warum beeinflusst Frankreich den deutschen Strompreis?
Wir würden in Deutschland nicht so viel Gas verstromen, wenn Frankreich nicht die Stromprobleme hätte. Weil sie im Moment einen Engpass haben, importieren sie unseren Strom, der zwar auch aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, aber derzeit hauptsächlich aus Gas. Und das sorgt dafür, dass der Preis auch hier durch die Decke geht.
Warum wird überhaupt noch mit Gas Strom erzeugt?
Weil wir noch immer nicht genügend erneuerbare Energien haben, um auf sie zu großen Teilen bei der Stromerzeugung zu verzichten. Häufig wird mit Gaskraftwerken neben Strom aber auch Wärme hergestellt. Hätten wir die Energiewende nicht ausgebremst, dann würden wir nur mit unseren erneuerbaren Energien Frankreich helfen.
Preisschwankungen an der Börse sind nicht ungewöhnlich. Wie wirkt sich das auf die Rechnungen der Verbraucher aus?
Der Börsenstrompreis ist nur eine Komponente des Endkundenpreises, er macht derzeit knapp 45 Prozent des Endkundenpreises aus, etwa 25 Prozent sind Netzentgelte, der Rest sind Steuern und Abgaben. Strompreissteigende Faktoren werden immer sofort weitergegeben, das ist schon immer so. Preissenkende werden - wenn überhaupt - zeitverzögert weitergegeben. Dabei werden derzeit sehr hohe Gewinne gemacht, vor allem von Unternehmen, die den Strom herstellen und teuer verkaufen können. Nur die wenigsten Unternehmen beziehen den verkauften Strom über den Strommarkt.
Einige Unternehmen lassen sich also von den Verbrauchern extreme Gewinnsteigerungen bezahlen?
Ja, bei den meisten Unternehmen ist es derzeit so. Hier muss entweder eine Übergewinnsteuer eingeführt werden, die an die betroffenen Haushalte und Unternehmen zurückgezahlt wird. Oder die Stromkonzerne müssen durch öffentlichen Druck gezwungen werden, die Preiserhöhung nicht in voller Höhe weiterzugeben - vor allem, wenn sie den Strom selbst herstellen und nicht teuer einkaufen müssen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck will den Strommarkt grundlegend reformieren und den Gaspreis vom Strompreis abkoppeln. Würde das die teuren Strompreise senken?
Faktisch gibt es keine Kopplung zwischen Gas- und Strompreisen, sondern einen Marktpreismechanismus an der Börse. Eigentlich funktioniert der Strommarkt gut. Derzeit ist das teuerste Kraftwerk das Gaskraftwerk und bestimmt den Strompreis. Das muss aber nicht so sein. Wenn wir genügend Kapazitäten auf dem Markt haben und die Gaskraftwerke nicht so stark zur Deckung der Nachfrage eingesetzt werden, würde die Merit-Order-Kurve wieder in Richtung billige Energieangebote wandern.
In Frankreich ist der Strompreis gedeckelt, damit die hohen Preise nicht an die Verbraucher weitergegeben werden. Wäre das auch eine Lösung für Deutschland?
Ein Preisdeckel ist im Moment der denkbar schlechteste Weg. Eine Deckelung bedeutet, dass die Haushalte mit niedrigen Strompreisen subventioniert werden, sodass es keinen Anreiz gibt, Energie zu sparen. Deshalb geht die Nachfrage nicht zurück. Das wäre aber gerade jetzt, wo es weniger Angebot gibt, dringend nötig. Außerdem ist es extrem teuer, weil der französische Staat diese hohen Preise mit Subventionen ausgleichen muss.
Eine Alternative, die in Deutschland diskutiert wird, ist eine Obergrenze, aber nur für die Grundversorgung. Wäre das eine realistische Alternative zum französischen Modell?
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, die Grundversorgung für Gas und Strom zu deckeln. Denn im Moment haben wir diese Engpässe, sowohl bei Gas als auch bei Strom. Und deshalb ist es wichtig, dass wir Preissignale bekommen. Wir müssen an anderer Stelle gegensteuern. Das können wir nur, indem wir die Haushalte und Unternehmen finanziell entlasten, durch Zahlungen, Anreize und Möglichkeiten, vom hohen Verbrauch wegzukommen. Nicht Preise müssen gedeckelt werden, sondern die Kosten.
Eine solche finanzielle Entlastung durch Direktzahlungen hat die Regierung nach ihrer Klausur heute angekündigt. Ist das also eine vernünftige Lösung?
Sie ist sinnvoller als den Strompreis zu deckeln. Direktzahlungen sind vernünftig, vor allem für Bedürftige, für Geringverdiener, für Menschen oder Haushalte, Unternehmen, die es tatsächlich brauchen.
Das hilft dem Endverbraucher, aber es löst nicht die derzeitige Stromknappheit.
Da hilft nur der Ausbau der erneuerbaren Energien.
Ist das nicht eine langfristige Lösung?
Nein. Kurzfristig gibt es in Deutschland ein Potenzial an erneuerbaren Energien, das wir nicht ausschöpfen. Nur ein Beispiel: 500 Megawatt an Solaranlagen sind in Deutschland nicht am Netz, weil die Zertifizierungen und Genehmigungen fehlen. Warum regeln für Solaranlagen bei 70 Prozent ab? Auch Windenergie und Biomasse kann mehr produzieren. Das geht sofort! Und: wenn Genehmigungsverfahren und die Prozesse nicht so kompliziert wären, könnte alles ganz schnell gehen. Wir können ein Flüssiggasterminal in Deutschland in vier Monaten bauen. Wenn wir das können, brauchen wir nicht sieben Jahre für eine Windkraftanlage, sondern maximal sieben Monate. Wenn man will, gibt es Wege. Wenn man nicht will, gibt es Gründe.
Mit Claudia Kemfert sprach Clara Suchy
Quelle: ntv.de