Kein Netz für Offshore-Windstrom So verspielt Deutschland die Energiewende
12.06.2016, 09:51 Uhr
Der Hochseewindpark Bard Offshore 1 nordwestlich von Borkum
(Foto: picture alliance / dpa)
In der Nordsee entsteht ein Windpark für dessen riesige Strommengen der Betreiber einen Garantiepreis erhält. Dass die Energie ohne Stromnetz für Jahre ungenutzt bleibt, ist egal. So zahlt der Verbraucher für eine Energiewende, die nicht passiert.
"Emden-Ost" wird den meisten nichts sagen. Aber wenn der CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs diesen Ausdruck hört, gehen die Emotionen schnell hoch. "Wir sind dabei den größten Schildbürgerstreich in der EEG-Geschichte zu fabrizieren", wettert der Bundestagsabgeordnete, der für die Union gerade die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) mitverhandelt hat.
Denn im Meer entstehen nördlich von Borkum riesige Offshore-Windparks, die Deutschland mit umweltfreundlicher Energie versorgen sollen. Doch leider gibt es ein kleines Problem: "Emden-Ost". Die Windräder mit einer Kapazität von 900 Megawatt werden sich zwar spätestens ab 2019 drehen. Und auch die Umspann-Plattform im Meer wird dann fertig sein. Es wird sogar ein Kabel geben, um den Strom in Emden-Ost an Land zu bringen - aber dort geht es leider vorerst nicht weiter.
Denn die nötige Leitung für den Weitertransport wird wohl erst 2021 fertig werden. Das wird auch in Kreisen der Netz- und Windparkbetreiber eingeräumt. Grotesker Effekt: Weil der Betreiber eine Zusage über die Stromproduktion hat und die neuen Offshore-Windparks sehr effizient sind, werden laut Fuchs pro Jahr bis zu 900 Millionen Euro für Strom fällig, der gar nicht in das Stromnetz eingespeist werden kann - also umsonst produziert wird.
Auch Betreiber erwarten Milliarden-Kosten
"Wenn es bis zu drei Jahren keine inländische Leitung geben wird, wovon ich ausgehe, werden also bis zu 2,7 Milliarden Euro sprichwörtlich in den Sand gesetzt", kritisierte Fuchs. Die Zahl mag hoch gegriffen sein, da zumindest ein Teil des Stroms über bestehende Leitung aus Emden-Ost abtransportiert werden könnte. Aber dass über drei Jahre tatsächlich eine Milliarden-Summe zusammenkommen könnte, wird aus den Kreisen von Netz- und Windparkbetreibern keinesfalls bestritten.
Der Fall zeigt ein Grundproblem in der Art und Weise, wie im föderalen Deutschland angesichts vieler unterschiedlicher politischer und regionaler Interessen der Ausbau der Erneuerbaren Energie vorangeht: Schon weil die EU-Kommission mit dem "unbundling" wolle, dass unterschiedliche Akteure für die Erzeugung und den Transport des Stroms zuständig sein sollen, fehle die Sychronisation, räumte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag ein.
Einer produziert Strom, der andere liefert das Netz
Nach dem alten Regime planen etwa die Unternehmen Windparks, die Netzbetreiber müssen dann nach diesen Planungen entsprechende Leitungen bauen. Dass die Stromkunden dafür zahlen, dass Ökostrom zwar produziert, aber nicht genutzt werden kann, ist deshalb nicht selten.
Weil der Leitungsbau wegen vieler lokaler und regionaler Sonderwünsche dem Ausbau etwa von Windanlagen hinterherhinkt, werden Windmühlen im Norden schon heute an stürmischen Tagen "abgeregelt", also aus dem Wind gedreht. Teilweise wird Strom wortwörtlich in den Sand gesetzt, also in die Erde geleitet.
Den Besitzern kann dies egal sein: Sie werden auch ohne Netzeinspeisung praktisch voll entschädigt. Dieser "Redispatching" genannte Vorgang kostet die Stromkunden bereits heute rund eine Milliarde Euro im Jahr. Die Tendenz ist aber stark steigend, weil die neuen Windräder immer leistungsfähiger werden, fehlende Stromtrassen also immer höhere Kosten für die Stromkunden produzieren.
Berlin strebt mehr Effizienz an
Bei der Reform des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) war man sich des Problems durchaus bewusst. "Wir können nicht beliebig hohe Kosten im Erneuerbaren-Energien-Gesetz erzeugen, wo der Strom praktisch überhaupt nicht benutzt wird", warnte Merkel am Mittwoch. Deshalb sollen Bau von Windparks und Leitungen künftig stärker synchronisiert werden.
Denn eigentlich hatten sowohl Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als auch Merkel die EEG-Reform gerade damit begründet, den Kostenanstieg beim Ausbau der Erneuerbaren Energie begrenzen zu wollen. Immerhin werden schon heute bereits 24 Milliarden Euro über die Ökostromumlage von den Stromkunden zu den Produzenten von Ökostrom umverteilt - obwohl dessen Produktion immer billiger wird.
Solange der Leitungsbau so hinterherhinkt, soll es nun eine Bremse beim Zubau der eigentlich erwünschten Windenergie im Norden geben. Ab 2021 soll es das Problem nicht mehr geben, weil der Bau von Windparks dann vom Bund ausgeschrieben werden soll: Dann wird der Ausbau stärker in die Regionen gelenkt, in denen auch tatsächlich nötige Leitungen vorhanden sind, um den Strom aufzunehmen. In der Übergangsphase werden die Stromkunden die extrem hohen Kosten für das "Redispatching" wohl weiter tragen müssen.
Quelle: ntv.de, rts, Andreas Rinke und Markus Wacket