Politische Luftschlösser Verkehrswende in der Sackgasse
30.01.2022, 14:54 Uhr
Verkehrswende via Ampel: Es dauert noch.
(Foto: dpa)
Die neue Bundesregierung hat sich der Rettung des Klimas verschrieben. Klimaneutralität geht aber nicht ohne den Verkehrssektor. Doch was heißt das für die Autofahrer?
Die neue Bundesregierung folgt in der Klimapolitik den Vorgaben der Großen Koalition. Diese hat den Weg Deutschlands zur Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts im Klimaschutzgesetz verankert. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 in Europas größter Volkswirtschaft bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 verringert werden, bis 2040 um mindestens 88 Prozent. 2045 will Deutschland Klimaneutralität erreichen, also nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen wie wieder gebunden werden können. Die neue Bundesregierung hat diese ehrgeizigen Ziele weiter verschärft. Jede Veränderung müsse demnach jetzt "ganz, ganz schnell gehen", so Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock.
Gesellschaftliche Einigkeit besteht darüber, dass ohne den Verkehrssektor die mittel- und langfristig verschärften Klimaziele nicht zu erreichen sind. "Ein zentraler Pfeiler unserer Klimapolitik ist die Verkehrswende", so Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner ersten Regierungserklärung. Mobilität müsse klimafreundlicher werden, der Schwerpunkt werde auf dem Ausbau der Schiene liegen. Der Klimaplan der neuen Bundesregierung zielt klar auf weniger Individualverkehr ab, der dann aber umso grüner sein soll. Im Klartext: Weniger Benziner und Dieselfahrzeuge und mehr Elektroautos, Stärkung und Ausbau der Schiene, bessere Vernetzung der einzelnen öffentlichen Verkehrsmittel.
Unmut macht sich breit
Um mit Faust zu sprechen: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!" Unter den heutigen gesellschaftspolitischen Bedingungen ist diese klimafreundliche Wende im Verkehr nicht erreichbar. Dagegen sprechen gleich mehrere Argumente: Der Autokunde will bzw. kann auf sein eigenes Auto mangels Alternativen nicht verzichten. Er will umweltfreundlich fahren, aber bis dato nicht elektrisch.
Die wachsenden sozialen Verteilungsungleichheiten durch die einseitige staatliche Förderung der betuchten Käufer von Elektroautos - hohe Kaufprämien und hohe öffentliche Investitionen in den Aufbau der Tankinfrastruktur -, bei gleichzeitiger Verteuerung des Fahrens von Verbrennerautos durch die "CO2-Spritpreisbremse".
Unmut macht sich breit. Zwei empirische Tatbestände lassen erkennen, dass das eigene Auto für die Bürger unverzichtbar ist, sei es, dass sie aus persönlichen Gründen nicht darauf verzichten wollen, sei es, dass sie der Arbeit wegen nicht auf das eigene Automobil verzichten können.
Verdammte Statistiken
Eine alle vier Jahre durchgeführte Pendlererhebung des Statistischen Bundesamtes von Mitte 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass für Deutschlands Pendler das Auto auf dem Weg zur Arbeit das Verkehrsmittel Nummer eins ist und bleibt. Trotz aller Verkehrswendewünsche gibt es dazu absehbar keine Alternativen.
Nach Aussagen der Statistiker fahren zwei Drittel der Erwerbstätigen (68 Prozent) mit dem Pkw in die Firma oder ins Büro. Sogar auf kürzeren Strecken benutzen nur gut 13 Prozent regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, Straßenbahnen, U-Bahnen oder Züge für den Arbeitsweg. Fast die Hälfte aller Erwerbstätigen (48 Prozent) hat nach eigenen Angaben weniger als 10 Kilometer zum Arbeitsplatz zurückzulegen, für 29 Prozent ist der Weg zur Arbeit 10 bis 25 Kilometer lang, 14 Prozent legen 25 bis 50 Kilometer zurück. Dagegen setzt sich nur jeder zehnte Erwerbstätige für die Fahrt zum Arbeitsplatz regelmäßig aufs Fahrrad; dies steht in krassem Widerspruch zu den hohen öffentlichen Investitionen in den Ausbau Nah- und Fern-Radwegenetz. Statt sich zu entspannen, nimmt die Stau-Intensität auf dem für Pkws verengten innerstädtischen Straßennetz also zu.
Dabei ist wesentlich: Diese Ergebnisse sind keine Momentaufnahme, sondern ein Trend, denn im Vergleich zur letzten Erhebung von 2016 sind die Prozentanteile der einzelnen Verkehrsmittel nahezu unverändert geblieben.
Und dieser Trend wird sogar noch statistisch erhärtet. Die "ungebrochene Dominanz des Autos als Beförderungsmittel" spiegelt sich auch in den jüngsten Daten zum Kraftfahrzeugbestand des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Trotz aller politischen Beschwörungen und trotz der Corona-Krise kauften die Deutschen 2021 mehr Autos statt weniger, stieg der Bestand der zugelassenen Pkw in Deutschland selbst in der Pandemiekrise weiter an. So waren am 1. Oktober 2021 laut Kraftfahrzeug Bundesamt (KBA) in Deutschland 48,648 Millionen Pkw zugelassen, rund 400.000 Autos mehr als zu Jahresbeginn. Und 47 Millionen dieses Altbestands waren Verbrennerfahrzeuge.
Um- und Ausbau dauert Jahre
Fakt ist: So viele Autos wie aktuell gab es in Deutschland noch nie, ein neues Allzeithoch, das genaue Gegenteil von Autoabstinenz der Bürger und einer Verringerung des Verbrenner-Pkw- Bestands. Die im Wahlkampf allen Bürgern in Stadt und vor allem Land versprochene Mobilitätsgarantie durch einen wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr ist bisher nicht zu sehen.
Die Einlösung dieses Versprechens steht zudem in den Sternen. Zu Recht, denn der Netzausbau bei Bussen und Bahnen, gerade auf dem Land, dauert Jahre und kostet Milliarden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) kam laut "Automobilwoche" in einem Ende August 2021 veröffentlichten Gutachten zu dem Schluss, dass Nahverkehrsunternehmen in Deutschland bis zum Jahr 2030 etwa 48 Milliarden Euro zusätzlich benötigen, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Geld allein nur zur Sanierung der ÖPNV-Bestandsflotte, nicht zusätzliche Mittel für zusätzliche Busse und mehr Bahnen! Um auch noch zusätzlich die von der Bundesregierung vorgegebene Senkung des CO2-Ausstoßes zu schaffen, müsste dem VDV-Gutachten zufolge das Angebot an Bus- und Bahnverkehren in den Städten und auf dem Land um ein Viertel ausgebaut werden. Dadurch würden die Kosten bis zum Ende des Jahrzehnts um 89 Prozent gegenüber 2018 steigen.
Darüber hinaus steht auch die zweite Säule der politisch angestrebten Verkehrswende - die Elektromobilität - auf wackeligem Fundament. Ziel der alten Bundesregierung und ihres 2010 gegründeten Beratungsgremiums Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) war die grundsätzliche Ablösung der fossilen Diesel- und Benzin-Autos durch Elektroautos. Dazu sollten, mit hohen finanziellen Kaufanreizen sowie staatlichen Investitionen in den Aufbau einer Ladeinfrastruktur von jährlich bis zu vier Milliarden Euro, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straßen gebracht und Deutschland zum Leitmarkt und zum globalen Leitanbieter für Elektromobilität gemacht sowie 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.
Von arm nach grün
Das Ziel von einer Million Elektroautos hat die Bundesregierung per Stand 1. Juni 2021 zwar erreicht, darunter waren allerdings 494.000 als Plug-in-Hybrid (PHEV) mit Verbrennermotor unterwegs, die bis dato im Idealfall lediglich 50 Kilometer weit rein elektrisch mit Batterie fahren können. Auch die angepeilten 30.000 Arbeitsplätze wurden nicht geschaffen, sondern gingen bis dato verloren - überschlägig. Ungeachtet dessen sehen die Klimaziele der Bundesregierung vor, den Bestand an Elektroautos bis Anfang der 30er Jahre auf bis zu 10 Millionen und mehr hochzutreiben. Die Fördermaßnahmen wurden verlängert.
Und damit ist die dritte Schwachstelle der politischen Verkehrswende angesprochen: die negative Umverteilungswirkung der einseitigen Förderung der Elektromobilität zulasten der Autofahrer mit Verbrennerfahrzeugen. Die Elektroauto-Subventionen kommen vor allem wenigen Gutverdienern zugute, müssen aber von der Masse der Gering- und Durchschnittsverdiener bezahlt werden.
Eine Studie der Deutschen Bank vom Sommer 2021, die in der Hitze des Wahljahres kaum zur Kenntnis genommen worden ist, kommt zu dem Ergebnis, dass Elektromobilität nach deutscher Machart eine Umverteilung von arm nach grün ist.
Außer Zweifel steht der klimapolitische Zwang zur CO2-Reduktion im Verkehr. Eine Verkehrs- und Klimawende kann jedoch nur erreicht werden, wenn statt der bisher einseitigen Konzentration und Förderung nur der Elektromobilität der politische Fokus auf den großen Altbestand der fossilen Verbrennerfahrzeuge gerichtet wird. Dort spielt die Umwelt-Musik, nicht bei den geringen Neuzulassungen von reinen Stromern. Der Weiterbetrieb des Altbestands mit nicht-fossilem Treibstoff wäre für Deutschland ein großer Schritt zur Klimaneutralität.
Um die deutschen Klimaziele zu schaffen, kann es nach Lage der Dinge nur ein sowohl als auch geben, keine einseitige Festlegung auf eine fragwürdige Technologie.
Quelle: ntv.de