Europa zwischen den Supermächten "Während die EU das Formular sucht, baut China schon"
09.05.2023, 15:29 Uhr Artikel anhören
Im Wettbewerb mit China fordert Nicola Beer, dass sich europäische Werte, Normen und Standards durchsetzen.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
China und die USA dominieren die Weltwirtschaft. Wenn die EU ein "Global Player" bleiben will, muss sie innovativer und agiler werden. "In der Zeit, wo die EU das Formular sucht, haben die Chinesen die Brücke schon gebaut", sagt Nicola Beer, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, im Podcast "Wirtschaft Welt & Weit".
Am heutigen 9. Mai ist Europatag. Ein ehrwürdiges Ereignis, an dem die Entwicklung der Europäischen Union im Fokus steht. Ihren Platz auf der Weltbühne hat sich die EU über Jahrzehnte erarbeitet. Doch die Konkurrenz wächst und könnte die EU an den Seitenrand verdrängen. Europa müsse schlanker und schneller werden, um mithalten zu können, fordert Nicola Beer, die Vizepräsidentin des EU-Parlaments.
Seit dem Ukraine-Krieg muss sich die EU geopolitisch stärker positionieren als je zuvor. Für FDP-Politikerin Beer sind vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik schnelle und qualifizierte Entscheidungen vonnöten. Doch die Strukturen machen das schwierig: Im Europäischen Rat muss in solch sensiblen Fragen Einstimmigkeit erreicht werden, außerdem erschwert die Größe der Europäischen Kommission die Entscheidungsfindung. Aktuell sind alle 27 Mitgliedstaaten in der Kommission vertreten: "Wenn wir in den nächsten Erweiterungsrunden auf 30, 35 kommen, kann ich mir das schlicht nicht mehr vorstellen", warnt Nicola Beer im Podcast "Wirtschaft Welt & Weit".
Denn die Konkurrenz wird immer größer. Vor allem der globale Süden erfindet sich unter der Vorherrschaft Chinas zurzeit neu. Das Wirtschaftsbündnis BRICS, dem Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika angehören, ist stark auf Wachstumskurs. Das Bündnis wirbt seit Jahren um den Eintritt weiterer Partnerländer, um ein stärkeres Gegengewicht zu den G7-Staaten, den bedeutendsten Industriestaaten der westlichen Welt, zu bilden. Die Europäische Union befindet sich hierbei in einem Dilemma: Zum einen verbindet sie eine tiefe transatlantische Freundschaft mit den USA, gleichzeitig pflegt sie aber auch intensive Handelsbeziehungen zu China.
"Möchte, dass sich europäische Standards durchsetzen"
Aktuell kostet die Größe der EU vor allem Agilität. Gut zu beobachten ist das etwa auf dem afrikanischen Kontinent: So hat China dort im vergangenen Jahrzehnt im Zuge des Ausbaus der neuen Seidenstraße massiv investiert und längst wirtschaftliche Fakten geschaffen. Die EU dagegen hat bei ihrem Alternativprojekt "Global Gateway" bisher vor allem viel diskutiert. Nicola Beer bringt es selbstkritisch auf den Punkt: "In der Zeit, wo wir noch das Formular suchen, haben die Chinesen die Brücke schon gebaut."
Dabei sehen Experten deutliche Unterschiede zwischen europäischen und chinesischen Standards - etwa beim Datenschutz, aber auch bei Arbeitnehmerrechten und der Frage, ob bei Investitionsprojekten nicht nur die Geldgeber, sondern auch die Menschen im jeweiligen Land profitieren. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments hat deshalb eine klare Forderung: "Wenn europäische und chinesische Standards miteinander im Wettbewerb sind, möchte ich gern, dass sich der europäische durchsetzt." Durch Digitalisierung und Fortschritt bei der künstlichen Intelligenz wird es aus Sicht von Nicola Beer immer wichtiger, europäische Werte, europäische Normen und Standards in die Welt zu tragen.
Die EU besteht aus 27 Mitgliedstaaten, insgesamt leben jedoch nur rund 447 Millionen Menschen in der Europäischen Union. Im Vergleich zu anderen Teilen der Welt ist die Bevölkerungszahl der EU also klein. Zum Vergleich: In China und Indien leben jeweils über 1,4 Milliarden Menschen. Wenn die EU auch in Zukunft ein einflussreicher Akteur auf der Weltbühne bleiben möchte, muss sie mit Innovation und Schnelligkeit punkten.
Was muss Deutschland tun, um in der Wirtschaftswelt von morgen noch eine wichtige Rolle zu spielen? Von wem sind wir abhängig? Welche Länder profitieren von der neuen Weltlage? Das diskutiert Mary Abdelaziz-Ditzow im ntv-Podcast "Wirtschaft Welt & Weit" mit relevanten Expertinnen und Experten.
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Quelle: ntv.de