Tanker-Transfers vor Ceuta Wie Russland im Mittelmeer Öl-Sanktionen umgeht
13.03.2023, 14:56 Uhr
Russische Öltanker versuchen über verschiedene Wege, Sanktionen zu umgehen.
(Foto: REUTERS)
Die Sanktionen und das Öl-Embargo lassen Moskau kreativ werden: Russlands Tankerflotte nutzt die Ruhe im Mittelmeer, um Öl von kleinen auf große Tanker umzuladen und somit die Transportkosten zu senken. Besonders im Mittelpunkt stehen eine spanische Exklave und eine griechische Bucht.
Die kleine Stadt Ceuta an der Straße von Gibraltar gehört zu Spanien, liegt aber auf dem afrikanischen Kontinent. Sie gehört zur EU, aber nicht zum Schengen-Raum oder zur NATO. Dieses Arsenal an Sonderrechten und die besondere Lage machen Ceuta zu einem speziellen Ort. Bekannt ist die Exklave als Tor nach Europa. Genau wie Melilla, das etwa 200 Kilometer weiter westlich liegt - ebenfalls eine spanische Stadt, die von Marokko umgeben ist. Wenn über diese beiden sogenannten "autonomen Städte" berichtet wird, geht es in der Regel um illegale Einwanderung und Schmuggel in die Europäische Union. Dann werden meist die hohen Stacheldrahtzäune gezeigt, die das EU-Gebiet markieren.
Seit Ende vergangenen Jahres hat nun aber auch Russland die spanische Exklave für sich entdeckt. Moskaus Tankerflotte hat die Gewässer vor Ceuta zu einer Art Ölhandelszentrum gemacht. In der ruhigen See vor der Stadt führen die russischen Schiffe seit ein paar Monaten verstärkt sogenannte Schiff-zu-Schiff-Transfers durch. Dadurch werden Transportkosten gesenkt und Sanktionen umgangen. Ein weiterer Umschlagplatz für russisches Öl ist die Bucht vor Kalamata an der griechischen Küste.
"Sie pumpen Öl von einem russischen Tanker auf einen internationalen Tanker. Das machen die Russen vor allem deshalb, weil sie selbst vor allem kleinere Tanker haben, die nicht für die weiten Transportwege nach Südostasien geeignet sind", erklärt Energieexperte Andreas Goldthau, Direktor der Willy Brandt School of Public Policy an der Universität Erfurt, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Ölverladung vor der Küste
Der Kreml kann wegen des Öl-Embargos keine Wucherpreise mehr verlangen - und wird deshalb kreativ. Vor der Ukraine-Invasion hat Russland das Mittelmeer vor Ceuta nur ab und zu als Zwischenstation für sein Öl genutzt. Damals wurden die Lieferungen mit kleinen Tankern noch direkt an europäische Raffinerien verschifft. Das hat die EU aber im vergangenen Dezember verboten.
Um den Gewinn aus dem Ölgeschäft trotzdem so hoch wie möglich zu halten, versucht Russland Transportkosten zu sparen, wo es nur geht. Wie wichtig bei dem Vorhaben Schiff-zu-Schiff-Transfers geworden sind, zeigen Daten des Tanker-Trackers Vortexa. Demnach wurde im vergangenen Jahr etwa ein Drittel der wichtigsten Rohölsorte Urals auf hoher See von einem kleinen auf einen großen Tanker umgeladen.
Der Ablauf ist so: Russland belädt an seinen Exportterminals in der Bucht von Sankt Petersburg an der Ostsee kleine Tanker mit Rohöl. Diese Schiffe fahren dann einmal um Europa herum durch die Straße von Gibraltar nach Ceuta. Dort warten die Tanker dann auf einen großen Öltanker, der mindestens zwei Millionen Barrel transportieren kann. Die Tanker parken mindestens zwölf Seemeilen vor der Küste direkt nebeneinander - das ist die Grenze für nationale Hoheitsgewässer - und laden das Öl um.
Russland setzt auf Schattenflotte
Zwischen Dezember und Ende Januar haben allein acht große Tanker mit russischem Öl an Bord den Weg von Ceuta nach Asien zurückgelegt, berichtet das Wirtschaftsmagazin Bloomberg. Anfang März lagen dann gleichzeitig vier große Tankschiffe vor Ceuta vor Anker, um auf die kleineren Zubringer-Öltanker zu warten - zusammengerechnet hatten die vier Riesentanker ein Fassungsvermögen von acht Millionen Barrel Öl. Teils handele es sich um russische Schiffe, manchmal seien es aber auch chinesische. Mit "bestenfalls undurchsichtigem Versicherungsschutz", heißt es weiter.
Alle diese Öltanker haben gemeinsam, dass sie schon bessere Zeiten erlebt haben. Der älteste vor Ceuta war 26 Jahre alt. In diesem Alter sind die meisten Öltanker schon längst in Rente. Russland hat sie notgedrungen wachgeküsst. Eine geheime Schattenflotte hat Moskau zusammengestellt, mit über 100 Tankern aus der ganzen Welt.
"Es gibt Händler, die alte Tanker verkaufen. Und je nachdem, wie gut oder schlecht so ein Tanker in Schuss ist, hat das einen bestimmten Preis. Das ist ein Markt, der nicht immer ganz durchschaubar ist", sagt Goldthau. Manche Unternehmer hätten sich auf das Geschäft mit alternden Tankern regelrecht spezialisiert, weiß der Experte. "Es gibt eine Vielzahl von Händlern in Orten, auch weit entfernt von der Europäischen Union, die durchaus in der Lage sind, einige Objekte zur Verfügung zu stellen. Wo genau die dann herkommen, ist schwierig zu sagen. Das ist ja der Sinn einer Schattenflotte."
Mit der Hilfe von Schattenflotten Sanktionen umgehen, das ist kein neues Modell. Russland habe das zum Beispiel vom Iran oder Venezuela gelernt, sagt Goldthau im Podcast.
Geringere Kosten für größere Tanker
Für Russland lohnt sich der Schiffstransfer aus mehreren Gründen: Die Fahrt von den russischen Häfen in der Ostsee nach Ceuta dauert nur zehn Tage. Würden die kleinen Tankschiffe von den Ostseehäfen direkt nach China fahren, wären sie 40 Tage unterwegs. Es rechnet sich also, kleine Tanker in die Gewässer vor der spanischen Exklave zu schicken und das Öl dann auf alte, aber viel größere Schiffe zu verladen. Außerdem ist der Transport mit den großen Tankern billiger. Die Tanker der kleineren Kategorie kosten etwa 55.000 Dollar pro Tag, die deutlich größere Variante schluckt weniger als 20.000 Dollar täglich.
Die Strategie der Russen ist legal, weil die Tanker ihre Manöver mindestens zwölf Seemeilen vor der Küste von Ceuta machen. Die nationalen Behörden können nichts dagegen machen, weil sich die Tankschiffe nicht mehr in nationalen Hoheitsgewässern befinden.
Andreas Goldthau ist aber ohnehin klar, dass es keine Sanktionen ohne Schlupflöcher gibt. "Sanktionsregime sind nie hundertprozentig. Sie sind nie in der Lage, 100 Prozent dessen zu erreichen, was sie vorsehen. Aber das müssen sie in der Regel auch gar nicht. Es geht darum, dass die Einnahmen Russlands so weit minimiert werden, dass es dem russischen Staatshaushalt weh tut. Von vornherein war offensichtlich, dass es nie darum geht, 100 Prozent des Sanktionsregimes umzusetzen."
Indien großer Abnehmer russischen Öls
Trotz der Sanktionen gegen Russland, trotz des Öl-Embargos, verdient Moskau dank der Schlupflöcher auch weiterhin viel Geld mit dem schwarzen Gold, aber eben nicht mehr so viel wie vor dem Einmarsch in die Ukraine.
Russland wird sein Öl über andere Wege los: Vor allem an Indien verkauft Russland mehr als je zuvor. Zu einem reduzierten Preis. Es habe eine "Verlagerung von Wertschöpfung" stattgefunden, erklärt Experte Goldthau. Indien veredelt das Rohöl in seinen Raffinerien und verkauft es dann auf dem Weltmarkt teuer weiter. "Mit dem ironischen Nebeneffekt, dass wir in Europa Diesel und Benzin beispielsweise aus indischen Raffinerien kaufen, was aber effektiv russisches Öl ist", bringt es Goldthau bei "Wieder was gelernt" auf den Punkt.
Dieser "ironische Nebeneffekt" werde jedoch in Kauf genommen, macht der Energieexperte deutlich. "Sofern die russischen Einnahmen nach unten gehen. Und das tun sie, weil das russische Öl wegen des Embargos zu einem geringeren Preis verkauft werden muss."
Um den Gewinn aus dem Ölgeschäft so hoch wie möglich zu halten, versucht Russland Transportkosten zu sparen, wo es nur geht. Wie wichtig bei dem Vorhaben Schiff-zu-Schiff-Transfers geworden sind, zeigen Daten des Tanker-Trackers Vortexa. Demnach wurde im vergangenen Jahr etwa ein Drittel der wichtigsten Rohölsorte Urals auf hoher See von einem kleinen auf einen großen Tanker umgeladen.
Seit die Europäische Union im Dezember die Einfuhr von russischem Öl auf dem Seeweg verboten hat, sind die vergleichsweise ruhige See vor Ceuta und die Bucht vor Kalamata an der Südküste Griechenlands zu den wichtigsten Umschlagplätzen für das russische Öl geworden. 30 Millionen Barrel Urals wurden allein in diesem Jahr von einem Tanker auf den anderen umgeladen, zeigen Daten von Bloomberg. Fast alle Öltransfers wurden vor Ceuta und Kalamata getätigt.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de