Parkplatztreffen auf Französisch 120 Jahre Renault im Selbstversuch
02.04.2018, 09:16 Uhr
Im Regen ist die Fahrt mit dem Vorkriegscoupé R16 kein Vergnügen.
(Foto: Patrick Broich)
Ende dieses Jahres wird der französische Autohersteller Renault sein 120-jähriges Bestehen feiern. Grund genug, an einem kleinen Parkplatztreffen mit Skurrilitäten und Legenden der Traditionsmarken teilzunehmen. Ein paar Fahreindrücke gab es obendrein.
120 Jahre Bestehen, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und bedenkt man, dass Renault aus heutiger Sicht nur kurze 13 Jahre weniger auf dem Markt weilt als der Erfinder des Automobils, kann man durchaus von einem Erfolg sprechen. Schließlich wurden in der Zwischenzeit viele Marken (darunter auch etliche französische) geboren und auch wieder aufgegeben.
Doch springen wir von 1898 ins Jahr 1939. Und statt der hölzernen, per Kardanwelle angetriebenen Voiturette, mit dem die Brüder Louis und Marcel Renault damals herumexperimentierten, steht dort ein schickes schwarzes Coupé mit Einzelradaufhängung und selbsttragender Karosserie am Straßenrand. Das waren 1937, also im Einführungsjahr der Juvaquatre, handfeste Innovationen, die den avantgardistischen Geist der Marke unterstrichen. Doch genug der Theorie, entern wir das je nach Quelle auf keinen Fall häufiger als 20 Mal produzierte Coupé und betätigen den Fußschalter (für den Anlasser), um den Einliter-Vierzylinder zu starten.
Dieser ist mit 23 PS zwar keine unerschöpfliche Kraftquelle, schiebt den kaum 800 Kilogramm wiegenden Vorkriegs-Oldie aber erstaunlich bullig an. Kaum zu glauben, dass hier nur eintausend Kubikzentimeter am Werk sind. Losgelöst betrachtet ist der Juva, der als Limousine und Lieferwagen bis 1960 (zuletzt als Dauphinoise) übrigens zigtausendfach gebaut wurde, natürlich langsam. Und statt Blinkern gibt es lediglich die Seitenwinker – hier ist also umsichtiges Fahren angesagt. Das mechanische Dreiganggetriebe unseres frisch restaurierten Exemplars lässt sich hingegen ziemlich einfach bedienen. Klar, der erste Gang – unsynchronisiert – lässt sich nur im Stand geräuschfrei einlegen, doch der Rest gelingt einfach und sogar ohne Zwischengas.
Die Frégat Domaine
Das Schalten war in den Fünfzigern und Sechzigern durchaus noch Arbeit und erforderte eine sensible Handführung. Dennoch lässt sich auch das seinerzeit moderne Viergang-Getriebe unser 1957er Frégate Domaine (Kombi) recht leichtgängig bedienen. Überhaupt fährt der ausladende Wagen mit 77 SAE-PS starkem 2,1-Liter-Vierzylinder ziemlich modern und verhältnismäßig agil. Übertreiben sollte man es allerdings nicht, schließlich verfügt der 1,5-Tonner über Trommelbremsen an allen vier Rädern. Ein richtiges Massenauto ist der von 1951 an neun Jahre gebaute Frégate nie gewesen mit rund 160.000 Exemplaren. Heute ist er ein wahrer Exot.
Renault 4 – Liebling der Studenten
Das kann man vom Kultauto R4 nicht gerade behaupten. Renaults erster Fronttriebler hat sich in die Herzen vieler Studenten gefahren, wurde von finanziell gebeutelten Familien und sogar von der französischen Polizei geschätzt. Der Dauerbrenner brachte es von 1961 bis 1992 auf über acht Millionen Fahrzeuge und wurde während dieser Zeit immer wieder modifiziert, nicht aber grundlegend verändert. Triftig genug, den Kultstar einmal auszuführen.
Das Testexemplar R4 GTL aus dem Jahr 1980 fährt sich recht unspektakulär mit seinem 34 PS starken 1,1-Liter-Vierzylinder. Wer übrigens nicht weiß, wie eine Stockschaltung funktioniert: Über dem revolverförmigen Hebel wurde das Schaltschema säuberlich aufgetragen, so dass auch Laien sofort erkennen, wie sie schieben und ziehen müssen. Die Gänge rasten butterweich, der R4 fühlt sich im Stadtverkehr spritzig und agil an, ist aber auch potent genug, um auf Autobahn und Landstraße seine Runden sicher zu drehen. Die nach oben weisenden Daumen der Passanten dürften R4-Eignern sicher sein.
Der würdige Nachfolger
Und obwohl der erste Renault 5 mit 13 Jahren Bauzeit später (1972) gekommen und früher gegangen ist, war er doch eine würdige Ergänzung. Bei den Preisen galt allerdings die Hierarchie der nummerischen Positionierung: So notierte das zwar rund 17 Zentimeter kürzere R5-Modell als TL-Version mit 44 PS im Jahr 1977 mit 9270 Mark, während der R4 GTL rund tausend Mark günstiger gekauft werden konnte. Mit konventioneller Mittelschaltung ausgerüstet, fährt der R5 ziemlich modern und konventionell – nur so richtig leichtgängig wollen die Übersetzungen bei unserem betagten Testwagen nicht reinflutschen, da hat ihm der R4 aus dem Werksmuseum etwas voraus.
Der R16 – das Sahnestück

Zwei Meilensteine auf Tour: Die günstige Allzweckwaffe R4 und der Juvaquatre mit selbsttragender Karosserie und Einzelradaufhängung.
(Foto: Patrick Broich)
Doch kommen wir zum Sahnestück R16. Der skurril aussehende Mittelklässler samt betont großer Heckklappe war trotz seines polarisierenden Designs ein richtiger Verkaufsschlager mit 1,8 Millionen gebauten Einheiten. Schon nach den ersten Metern ist zu ahnen, warum die Kunden so zahlreich zugriffen. Auch mit Stahlfederung schwebt der in unserem Fall 54 PS starke Sechzehner so sanft selbst über aggressive Bodenwellen, als befinde sich zwischen Unterboden und Straße ein starkes Magnetfeld. Verantwortlich sind hintereinander angeordnete Torsionsstäbe – die erlauben einen ziemlich langen Federweg. Wegen dieser unkonventionellen Lösung weist der R16 außerdem zwei verschieden lange Radstände je Seite auf.
Zum ultrakomfortablen Fahrwerk passt der 1,4-Liter-Vierzylinder wunderbar mit ordentlicher Laufkultur. Dabei handelt es sich übrigens um die so genannte Cléon-Motorenfamilie mit Alu-Block – moderne Zeiten im Franzosen. Sieben verschiedene Sitz-Einstellungen machen die Mittelklasse außerdem vielseitig, das leichtgängig schaltbare Viergang-Getriebe mit Lenkradbedienung entspannt. Mag der optisch irgendwie schräg anmutende R16 selbst lange nach Bauzeit-Ende im Jahr 1980 noch gut sichtbar gewesen sein im Straßenbild – der Rostfraß hat ihn mittlerweile ausgerottet. Sollte man wider Erwarten doch mal einen sehen, er ist definitiv ein Foto wert.
R20 ist fast zum Einzelstück geworden
Das gilt auch für den R20, von deren einst rund 600.000 gebauten Exemplaren so gut wie keine mehr übrig sind. Eigentlich schade, denn die damals futuristisch angehauchte Limousine der gehobenen Mittelklasse ist ein guter Allrounder mit viel Fahrkomfort und herrlich französischen Plüschsesseln. Wir waren mit dem Topmodell unterwegs – zwei Liter Hubraum, vier Zylinder und 109 PS. Servolenkung sowie elektrische Fensterheber waren beim TS gesetzt. Auch wenn das Viergang-Getriebe vor allem bei höheren Geschwindigkeiten für recht hohe Drehzahlen sorgt – unter dem Strich ist der R20 ein veritabler Langstrecken-Oldie mit viel Platz und genügend Leistungsreserven. Wer heute noch einen besitzt, nennt eines der seltensten Fahrzeuge im bezahlbaren Altauto-Segment sein Eigen. Mehr als eine moderate dreistellige Anzahl dürften in Deutschland kaum mehr herumfahren.
Quelle: ntv.de