Überarbeitet und aufgehübscht Bei der BMW F 800 GS ist weniger mehr
19.07.2016, 09:43 Uhr
Mit 12.300 Euro Einstiegspreis gehört die BMW F 800 GS nicht zu den preiswertesten Reiseenduros auf dem Markt.
BMW hat die Reiseenduro F 800 GS Adventure technisch überarbeitet. Auch optisch hat sich einiges getan. In der Summe ist sogar eine echten Alternative zur R 1200 GS herausgekommen, wie sie über 1500 Kilometer unter Beweis stellt.

Die BMW F 800 GS will vor allem jene ansprechen, die mit ordentlich Zuladung weite Strecken zurücklegen wollen.
Wer im BMW-Modellprogramm nach einem offroadtauglichen Fernreisemotorrad sucht, hat zumeist nicht als erstes die F 800 GS Adventure auf dem Schirm, sondern die hubraum- und leistungsstärkere R 1200 GS. Nach der jüngsten, zum 1. Juli wirksam gewordenen Modellüberarbeitung zeigt sich jedoch, dass es gerne auch etwas weniger technischer Aufwand, Gewicht und Kaufpreis sein darf, um ein Ziel auf besonders angenehme Weise anzusteuern.
24 Liter nutzbarer Tankinhalt, Federwege von deutlich über 20 Zentimetern und eine Zuladung von 222 Kilogramm dokumentieren, in welche Richtung die BMW F 800 GS Adventure zielt: Sie will jene ansprechen, die weite Distanzen mit viel Zuladung im Sinn haben und unterwegs auch für Stock und Stein gewappnet sein wollen. Wobei aber Voraussetzung ist, dass der Fahrer zumindest 1,80 Meter groß sein sollte, und selbst bei dieser Mindestgröße ist Souveränität im Umgang mit einem Motorrad erforderlich, denn die Sitzhöhe von 89 Zentimetern in unbeladenem Zustand ist schon eine Hürde. Wer sie meistert, sitzt nicht nur gut, sondern erhaben: Die F 800 GS in ihrer Abenteuer-Version verströmt durchaus den Duft der großen weiten Welt – sag' mir ein Ziel, ich steuer' es an.
Ab 5000 Umdrehungen wird es rau

24 Liter nutzbarer Tankinhalt, Federwege von deutlich über 20 Zentimetern und eine Zuladung von 222 Kilogramm machen bei der F 800 GS den Unterschied.
Der 800 Kubik-Paralleltwin ist einerseits ein guter, williger Freund, andererseits ein Raubautz: Seine Vibrationen oberhalb von 5000 Umdrehungen sind nicht jedermanns Sache. Trotz aufwendigen Schwingungsausgleichs der Konstruktion sind die Vibs nicht wirklich Stand der Technik. Wer sie zu akzeptieren vermag, wird aber andererseits mit einem anspruchslosen und in umfassendem Sinn leistungsstarken Triebwerk belohnt: 83 Newtonmeter Drehmoment und 85 PS sind starke Werte. Der über 1500 zügig gefahrene Alpenkilometer gemessene Verbrauch von 4,3 Litern stellt einen ausgezeichneten Wert dar. Selbst wer mit einem Konsum von fünf Litern rechnet – dafür muss man aber schon brachial fahren –, darf dank des 24 Liter-Tanks im Heck von deutlich über 400 Kilometern Praxisreichweite ausgehen.
Ein technisch entscheidender Unterschied zur bisherigen Version stellt das neue E-Gas dar. Erstmals kommt in der nun Euro 4-tauglichen Version des 800er Zweizylinders die Ride-by-Wire-Technologie zum Einsatz. BMW hat eine vorzügliche Abstimmung gefunden: Die Gasannahme ist weich (im Road-Modus) oder sogar sehr weich (im Rain-Modus), aber andererseits direkt genug, um von spontanem Leistungseinsatz sprechen zu können. Wer für Offroad-Etappen noch besser gewappnet sein will, kann optional auch noch die Fahrmodi "Enduro" (optimiert das Fahrverhalten für leichtes Offroad mit Straßenreifen) und "Enduro Pro" (ausgelegt auf die Verwendung von Stollenreifen) bekommen. Dank der Durchzugsstärke des Twin ist die Fortbewegung auf unebenem Terrain eine grundsätzlich freudvolle Angelegenheit. Gut gewählt sind die Übersetzungsstufen, die die Gangwechsel sehr geschmeidig verlaufen lassen.
Nur für Männer ab 1,80 Meter
Auch der Gitterrohrrahmen aus Stahl ist eine gelungene Sache. Nie kommt ein Gefühl mangelnder Stabilität auf, auch nicht bei beladenen Boxen und Tempo 180. BMW empfiehlt freilich, sich in diesem Fall mit 160 km/h zu begnügen. Sei's drum: Angesichts einer Höchstgeschwindigkeit von 193 km/h fühlt man sich nicht wirklich bevormundet. Bevorzugtes Revier der F 800 GS Adventure ist ohnehin nicht die Autobahn; viel lieber ist man mit ihr auf kleinen und kleinsten Landstraßen unterwegs, denn ihre Handlichkeit macht das Fahren auf Nebenstraßen wunderbar leicht. Die Dreischeiben-Bremsanlage berücksichtigt in ihrer Auslegung den Offroad-Einsatz, ist also nicht übertrieben giftig ausgelegt, bringt aber stets genügend Reserven mit, um notfalls auch heftig – und über längere Strecken – verzögern zu können. Der mit einer Erhöhung fürs Fahren im Stehen ausgelegte Bremshebel ist ein nützliches Detail; es zeigt beispielhaft das Bemühen der BMW-Entwickler, ein rundum nützliches Bike auf die Räder zu stellen.
Die Ergonomie der F 800 GS Adventure ist gelungen: Das Dreieck Sitz-Lenker-Rasten gefällt, die schmale Taille des Motorrads erleichtert das Fahren im Stehen. Die relativ große Scheibe (beim Testbike in getönter Version) ist extrem steil angeordnet und liefert sehr guten Windschutz, andererseits ist sie nicht übertrieben leise. Turbulenzen am Helm konnten wir nicht feststellen. Die Zahl der Knöpfe und Tasten am Lenker ist überschaubar, ihre Anordnung äußerst praxisgerecht.
Besser ablesbar, aber auch hübscher anzuschauen sind die neugestalteten Zifferblätter von Tacho und Drehzahlmesser, beide weiterhin in analoger Ausführung, also mit Zeigern. Auch sonst ist alles Wichtige geboten, eine Fernbedienung für den Bordcomputer vorhanden. Dass ein Motorrad mit ernsthafter Geländeambition auf Speichenrädern daherkommen muss, versteht sich von selbst. Die Felgen- und Reifenmaße sind vorteilhaft gewählt: Das schmale Format 90/90-21 vorne ist inzwischen selten geworden, trägt aber entscheidend zur stabilen Fortbewegung auf losem Untergrund bei.
Trotz der Umstellung auf Ride-by-Wire und das gut anzuschauende optische Lifting hat BMW bei der F 800 GS Adventure nicht an der Preisschraube gedreht. 12.300 Euro erscheinen angesichts der vielen guten Eigenschaften dieses Fernreisemotorrads als fair. Zumindest für die nächsten zwei, vielleicht auch drei Jahre dürfte dieses Modell nun gewappnet sein. Wer sich dafür entscheidet, muss nur den Nachteil der doch beträchtlichen Motorvibrationen in Kauf nehmen. Er wiegt schwerer, wenn man häufig mit gleichbleibend hohen Drehzahlen fährt. Wer viel auf Nebenstrecken oder gar auf Pisten unterwegs ist, wird sich schwertun, einen besseren Zweirad-Kumpel zu finden.
Quelle: ntv.de, hpr/sp-x