Zwei Tonnen Muskelmasse Ein Range Rover für den "Ring"
21.05.2015, 10:26 Uhr
Mit 260 km/h Spitze ist der Range Rover Sport SVR schneller als manches Sportcoupé.
Mit einem neuen Spitzenprodukt tritt Land Rover gegen die deutsche Garde der Top-SUV an: Der Range Rover Sport SVR ist der stärkste und schnellste Geländewagen, den die britische Traditionsfirma je gebaut hat. Und einer der teuersten: 126.400 Euro.
Muskeln können hilfreich sein im sportlichen Wettbewerb. Aber wer würde einen Gewichtheber in einem Sprint-Rennen antreten lassen? Oder ein Flusspferd beim Galopper-Championat? Nur im Automobilbereich scheint das Unvereinbare vereinbar zu sein. In Fahrzeugen wie dem Range Rover Sport SVR zum Beispiel, der mit 260 km/h Spitze schneller ist als viele Sportcoupés und mit 550 PS stärker als das Gros der Geländewagen. Obendrein ist er auch noch komfortabler als die meisten Business-Limousinen.

Der Range Rover SVR kann ganz normal, aber wer ihn über die Rennstrecke bewegen möchte, ist gerne eingeladen.
Land Rover und der Nobel-Ableger des Offroad-Spezialisten, Range Rover, haben zurzeit einen Lauf. Nicht nur in Deutschland, sondern auch global kennen die Absatzzahlen nur eine Richtung, nach oben. Wiederholte Kapazitätserweiterungen in den Werken und eine behutsame Ausweitung des Modellangebots künden von der anhaltenden Nachfrage. Seit die deutsche Premium-Liga der Allrad-Kombis mit Produkten wie dem Porsche Cayenne Turbo S oder dem BMW X5 M die Tür zu immer leistungsstärkeren Edel-SUV aufgestoßen haben, mag auch Range Rover nicht zurück stehen. Ein Bentley ähnlichen Kalibers steht bereits in den Startlöchern.
Der Hersteller versichert glaubhaft, dass seine Produkte und insbesondere der SVR eine extreme Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten abdecken: Morgens den Bootsanhänger zum Yachthafen ziehen, mittags einen Durchblutungs-Sprint auf der Rennstrecke einlegen und abends mit demselben Auto luxuriös an der Oper vorfahren. Auch wenn bei dieser Testfahrt nur die praktische Umsetzung der mittleren Variante gelang, mag man sich jedoch lebhaft vorstellen, wie die anderen beiden funktionieren.
Röhren in der Boxengasse
Schauplatz Nürburgring, Grand-Prix-Kurs, hinter den Tribunen werden die Überreste des 24-Stunden-Rennens vom Wochenende weggeräumt. Der Asphalt ist trocken, die aufgeladenen V8-Motoren von vier zur Startformation ausgerichteten Range Rover SVR röhren in der Boxengasse um die Wette. Mit gebremstem Schaum geht es hinter dem Führungsfahrzeug auf die Start-Ziel-Gerade. Unten in der Senke wartet die erste Herausforderung: Scharfes Einlenken nach rechts in die spitze Castrol-Kurve, heraustragen lassen nach links bei gleichzeitigem scharfen Beschleunigen.
Die folgende lange Linkskurve vor der Mercedes-Arena endet mit einem abruptem Bremsmanöver. Der 90-Grad-Winkel der dritten Kurve muss so präzise angefahren werden, damit das unmittelbar folgende Umsetzen auf den Rechtsschwenk keine unnötige Unruhe ins Fahrzeug bringt. Die Achtgang-Automatik ist intelligent genug, beim scharfen Bremsen gleich zwei Stufen hinunter zu schalten, damit beim Aufwärtsbeschleunigen zur Kuppe vor der Müllenbach-Schleife immer genug von den maximal 680 Newtonmetern Drehmoment zur Verfügung steht. Das sind 56 Newtonmeter mehr als beim normalen V8-Kompressor, allerdings sind sie auch nur in dem schmalen Drehzahlband von 3500 bis 4000 Touren verfügbar.
Das Aggregat also unter Zug halten, lautet die Devise. Der Schalthebel liegt im "S"-Modus, was er nicht unbedingt müsste, aber so dreht die Schaltbox die Gänge höher aus, und der fünf Liter große Achtzylinder drückt noch heftiger. Der abschüssige Linksbogen zwischen Ford-Kurve und Dunlop-Kehre endet im zweiten Gang, mit einem konstanten Lenkeinschlag nach rechts geht es zum Schumacher-S hinauf. Kurzes Durchatmen in der Links-Rechts-Kombi, hartes Anbremsen am rechten Streckenrand für die folgende Kumho-Kurve.
Dann kommt die Bit-Kurve in Sicht, Fahrer-Puls und Motor-Drehzahl beschleunigen sich, denn gleich wird das Spitzentempo dieser Runde erreicht. Die Schussfahrt ins Tal ist begleitet von dem Gedankenblitz "Hält der Hatzenbach-Bogen Vollgas aus?" Sekundenbruchteile später ist die Frage beantwortet. Am SVR-Tacho flammen "200 km/h" auf, die linken Räder touchieren kurz die Curbes am Pistenrand. Hundert Stundenkilometer Tempo müssen jetzt schleunigst in den 6-Kolben-Brembo-Bremsen abgebaut werden, damit die Veedol-Schikane nicht das Ende der Fahrt markiert. Ein paar Grad Steigung helfen dabei.
Entspannung auf der Start-Ziel-Geraden
Die Coca-Cola-Kurve und die anschließende Start-Ziel-Gerade sind der Wellness-Bereich, wo Konzentration für die nächste Runde getankt werden kann. Auch in der Tribünen-Schlucht sind 200 km/h drin, wenn man kurz zu vergessen bereit ist, dass die Kuppe am Ende der Geraden die Sicht auf das folgende Castrol-S verdeckt.
Souverän meistert der Range Rover den Kurs, druckvoll prescht er in die Geraden, nimmt weder heftige Lenkmanöver noch ein leichtes Heck bei Kurveneinfahrt übel. Die hohe Karosse wankt in den Schikanen nur minimal, Lastwechsel sind nicht wirklich ein Thema. Dies alles erlebt man gewöhnlich 40 Zentimeter über Pistenniveau, beim Range sitzt man gut einen halben Meter höher – aber sehr bequem und zuverlässig aufrecht gehalten in geschmeidigen Leder-Sportsitzen. Sie gehören zu den serienmäßigen Kennzeichen des SVR. Abstriche in der Geländetauglichkeit gibt es keine. Das Terrain-Response-System ist inklusive Luftfederung voll einsatzfähig und erlaubt bis zu 272 Millimeter Bodenfreiheit.
So wie Athleten durch Training und Nahrungsergänzungsmittelchen ihre Muskelmasse aufbauen, so hat auch der SVR gegenüber dem Standard-Kompressormodell zugelegt. Auf der Waage erscheinen 24 Kilogramm mehr als beim Schwestermodell, das 2309 Kilogramm wiegt. Jeweils rund drei Zentimeter in Länge und Breite ist er gewachsen, rollt optional auf 22 Zoll großen Leichtmetallfelgen im Doppelspeichen-Design und teilt der Umwelt sein Herannahen durch eine Sportauspuffanlage nebst vier Endrohren mit. Wer statt eines kernigen Verbrennungssounds lieber Wagner oder Metallica dröhnen lässt, kann dies mittels einer Meridian-Soundanlage tun, die über 18 Lautsprecher 825 Watt abstrahlt. Ob Insassen bei dieser Schallkulisse den neuen WLAN-Hotspot sinnvoll nutzen können, der bis zu acht Endgeräte mit dem Internet verbinden kann, ist ungewiss.
Sicher ist dagegen, dass der Range Rover SVR schon jetzt eine starke Anziehungskraft auf die Besserverdienenden auf dem Globus ausübt. Auf 1600 Vorbestellungen beziffert Land Rover das Kaufinteresse, allein 120 davon kommen aus Deutschland. Keiner dieser Kunden hat bisher einen Meter mit dem Allrad-Boliden zurückgelegt – geschweige denn, auf dem Nürburgring erlebt.
Quelle: ntv.de