Die Letzte ihrer Art? Harley Dyna Low Rider S - die Bitterböse
01.06.2016, 16:39 Uhr
Beeindruckend ist, wie spontan der dicke V2 der Dyna Low Rider S ans Gas geht.
Die neue Harley-Davidson Dyna Low Rider S ist vielleicht die Letzte ihrer Art, bevor die Emissionsnorm Euro 4 zuschlägt. Doch bevor es so weit ist, macht sie mit dem riesigen 1,8 Liter V2 Triebwerk noch einmal richtig Druck.
Die wahre Idee einer Harley ist nicht die säuselnde, gepflegte Fortbewegung. Nein, in ihr leben die Wurzeln des Fahrzeugbaus, polternd, zuckend, irgendwie archaisch. Dieses Urbild könnte mit dem im nächsten Jahr bevorstehenden Inkrafttreten der Emissionsnorm Euro 4 ins Wanken geraten. Bevor es so weit ist, hat Harley-Davidson aber noch schnell den "Screamin' Eagle"-Motor mit 1801 Kubikzentimetern in die Low Rider verpflanzt. Dort treibt das mit 156 Newtonmetern bei nur 3500 Umdrehungen unglaublich kräftige Monster in einer Art und Weise sein (Un-)Wesen, dass es die reine Freude ist. "Wenn du nur ein Werkzeug haben kannst, nimm den ganz großen Hammer", meint ein Kollege und hat Recht damit.
Dritte Inkarnation
Die dritte Inkarnation der hausinternen Sport-Baureihe nach den Softail-Modellen Fat Boy S und Slim S ist nun die Low Rider S. Schwarz wie die Nacht, ohne auch nur ein Fitzelchen Chrom, macht dieser Cruiser auf bitterböse. Nicht zuletzt dank des "Heavy Breather"-Luftfilters, der geradezu phallisch in den Fahrtwind ragt, erklimmt der V2 neue Leistungshöhen: 97 PS und der schon erwähnte Drehmomentberg sind deutlich mehr als in den anderen beiden S-Modellen.
Die Folge: Zwischen 1500 und 5500 Umdrehungen schießt die mit 305 Kilogramm keineswegs leichte Fuhre dermaßen vehement nach vorne, dass man geneigt ist, das tatsächliche Gewicht sofort zu vergessen. Dabei ist es fast egal, in welchem Gang man den Gasgriff öffnet. Beeindruckend ist zudem, wie spontan der dicke V2 ans Gas geht – da genügt ein Millimeter, schon spürt der Fahrer die Reaktion des Motors.
Dabei ist die Laufkultur des Großkolbentriebwerks mehr als beachtlich: Nie agiert der Motor nervös, die Vibrationen sind wahrnehmbar, aber nicht störend. Um die 2000 Touren herum ist ein leichtes Kribbeln in den Rasten zu spüren – das war's aber auch schon. Akustisch gibt’s auf der Low Rider S echt was auf die Ohren: Die "Tommy Gun"-Endtöpfe wären auch für die Posaunen von Jericho einsetzbar, was potenzielle Käufer zu schätzen und zu zelebrieren wissen.
Sportliches Fahren verbietet sich
Echte Sportlichkeit liegt natürlich auch dieser Harley fern, denn 28 Grad Schräglagenfreiheit sind nun mal nicht die Welt. Unsichtbar werkeln die "Premium-Ride"-Fahrwerkskomponenten, nämlich eine 4,9 Zentimeter-Cartridegabel und aufgewertete Federbeine. So liegt die Low Rider S erstaunlich straff und hat bei flotterer Gangart sogar noch ein Ass im Ärmel. Wird der Asphalt schlechter, verzichtet der Fahrer aber von sich aus darauf, den Grenzbereich auszuloten: Der noch nicht einmal sechs Zentimeter lange Federweg des Hinterrads ist blitzschnell aufgebraucht. Es ist also Cruisen angesagt, auf kurvenreichen Straßen möglichst mit dem Blick eines Adlers, um den Materialabtrag an den Fußrasten in Grenzen zu halten.
Die Bremsanlage, vorne mit zwei Scheiben tätig, verzögert dank der guten Bremswirkung der hinteren Einscheibenbremse gut; der lange Radstand steht zwar höherem Kurvenspeed im Weg, dafür sorgt er für viel Gewicht achtern und damit für eine gute Bremsstabilität. Kräftiger Unterarme bedarf die Frontbremse dennoch. Das ABS regelt unspektakulär, aber sorgfältig.
Die Optik macht es
Mindestens so wichtig wie das Fahren ist bei dieser Harley freilich das Aussehen. Wir empfinden es als spektakulär. Eine Oldschool-Lampenmaske, der fette T-Bar-Lenker, der Einzelsitz und der gekürzte Heckkotflügel sind die wichtigsten Teile, die es für die große Show brauchte. Die tiefschwarze Farbe, die sich über Motor, Fahrwerkskomponenten, Karosserieteile und auch die Auspuffanlage ergossen hat, tut ein Übriges. Mr. Cool darf sich glücklich schätzen, 20.000 Euro investiert zu haben. Denn trotz aller Sportlichkeit beherrscht die Harley-Davidson Low Rider S das spektakuläre Schaulaufen am besten, kann aber auch komfortables Cruisen und ist, wenn gefordert, eine Macht im Ampelsprint.
Einen kleinen Kritikpunkt gibt es aber doch. So nützlich die kleine Lampenmaske ist, weil sie tatsächlich den Winddruck auf den Fahrer reduziert, so unschön ist ihre billig wirkende Plastikverkleidung auf der Rückseite. Warum nicht die Instrumente dort unterbringen? Die thronen nämlich, nur höchst mäßig wahrnehmbar, auf dem Tank und informieren deshalb mehr schlecht als recht über Geschwindigkeit und Drehzahl. Freilich: Wirklich benötigt wird der Drehzahlmesser nicht. Umso mehr der Tacho; die Gründe dafür haben wurden schon genannt.
Ob es Bikes aus Milwaukee wie diese Low Rider S nach dem Inkrafttreten der Euro-4-Norm noch geben wird? Wer Zweifel hat, sollte alsbald seinen Harley-Dealer kontaktieren. Vielleicht hat er ja noch ein Exemplar dieses urwüchsigen Powerbikes.
Quelle: ntv.de, Ulf Böhringer, sp-x