Auto

Turbodruck statt Atemfreiheit Systemwechsel bei Porsches Ikone

Gleich in zehn Varianten kommt der neue 911er zum Jahresende auf dem Markt.

Gleich in zehn Varianten kommt der neue 911er zum Jahresende auf dem Markt.

(Foto: Daniel Wollstein)

Porsche traut sich was: Nach der Umstellung des 911er von Luft- auf Wasserkühlung nun der zweite große Wechsel. Künftig werden ausschließlich Turbomotoren in der Sportwagen-Ikone verbaut. Wie sich der Neue fährt, hat n-tv.de getestet.

Hat der "wahre 911er" einen luftgekühlten Saugmotor? Oder ist es ein modernes Auto mit verkleinertem Hubraum und effizienter Gemischaufbereitung? Porsche hat die Frage beantwortet und bringt für den zweiten Lebenszyklus des aktuellen Modells einen radikalen Systemwechsel.

Tatsache ist, dass der Porsche "Elfer" in heutige Leistungs-Dimensionen mit dem ursprünglichen Motorkonzept nicht hätte vordringen können. Klar ist auch, dass einige Puristen verstört reagieren werden, so wie sie es bereits 1997 bei der Umstellung von Luft- auf Wasserkühlung getan haben. Aber die Aufladung per Verdichtungsturbine ist bei den Zuffenhausenern schließlich schon seit mehr als 40 Jahren gängige Praxis, zunächst im Rennsport und seit 1974 in der Serie. Ab sofort verfügen alle 911er über diese leistungsfördernde Technik.

Der Carrera S wird serienmäßig mit 20-Zoll-Felgen geliefert.

Der Carrera S wird serienmäßig mit 20-Zoll-Felgen geliefert.

(Foto: Busse/Textfabrik)

"Der Turbo", jene Brachial-Maschine, die derzeit 520 oder 560 PS hat und mindestens 165.149 Euro kostet, wird aus Sicht des Herstellers dadurch nicht beschädigt. Die Aufladetechnik ist dort noch ein wenig komplizierter und damit exklusiv. Zum Beispiel wird eine variable Turbinengeometrie verwendet - einzigartig bei Benzinmotoren. Das zum Jahresende auf den Markt kommende Carrera Coupé wird deutlich günstiger, auch wenn es mit 96.605 Euro wohl das letzte seiner Art sein wird, dessen Preis nicht sechsstellig ist.

Auf einen Schlag werden gleich zehn Varianten vom neuen Elfer auf den Markt geworfen. Analog zu den vorangegangenen Generationen gesellen sich zur 370 PS starken Basisversion eine "S"-Variante, zur Heckantriebs- die Allrad-Versionen sowie Cabriolets und Targa-Ausführungen. Für jeweils 131.234 Euro markieren die 420 PS starken Allradler vom Carrera Cabriolet und vom Targa das Ende der Preisskala.

Optische Signale an der Karosserie

Ein "großer Sprung" ist es laut Baureihenleiter August Achleitner, dass die neuen Motoren in beiden Leistungsstufen je 60 Newtonmeter mehr Drehmoment mobilisieren. Wie das wirkt, ist mit der Stoppuhr zu messen. Wer im Carrera S den Rennstart-Modus, also die Launch Control, aktiviert, kann den Sprint von Null auf Hundert in weniger als vier Sekunden schaffen. Für Achleitner ist da "eine Schallmauer" durchbrochen.

Senkrechte Lamellen und größere Gitter versorgen die Turbos mit Atemluft.

Senkrechte Lamellen und größere Gitter versorgen die Turbos mit Atemluft.

(Foto: Busse/Textfabrik)

Die große Renovierung der Porsche-Ikone beschränkt sich allerdings nicht auf die Installierung eines Turboladers je Zylinderbank und das Unterbieten von alten Bestmarken. Bedingt durch veränderten Frischluft- und Kühlbedarf veränderte der 911er auch sein Äußeres. Größere Lufteinlässe vorn sowie große senkrechte Lamellen auf der Motorklappe hinten sorgen für eine zuverlässige Versorgung mit dem leistungsfördernden Sauerstoff.

Da die meisten Verkehrsteilnehmer den neuen Elfer vermutlich von hinten sehen werden, können sie dort weitere Unterscheidungsmerkmale zum Vorgänger ausmachen. Nicht nur die Struktur des Lüftungsgitters verrät ihn, auch kleine, rechteckige Auslassöffnungen links und rechts an der Heckschürze künden vom Novum. Da sich die Verbrennungsluft beim Verdichten erheblich erwärmt, muss sie durch zwei zusätzliche Ladeluftkühler wieder abgekühlt werden. Der Entsorgung des gebrauchten Gases dienen diese Öffnungen. Das technisch aufwendige Thermo-Management bietet optische Signale, ebenso die Abgasanlagen, die Carrera und Carrera S voneinander trennen. Die Lader arbeiten mit einem Betriebsdruck von nur 1,1 bar, versetzen das Boxer-Triebwerk aber in die Lage, schon ab 1700 Umdrehungen das maximale Drehmoment von 450 Newtonmetern zu mobilisieren. Die "S"-Version bringt es sogar auf 500 Newtonmeter.

Dezent kontrolliertes Klangrepertoire

Cockpit entschlackt, Bedienung modernisiert: der Innenraum des Carrera S Cabrios.

Cockpit entschlackt, Bedienung modernisiert: der Innenraum des Carrera S Cabrios.

(Foto: Daniel Wollstein)

Vom hellen, kehligen und oft frechen Klang des frei atmenden Saugers verabschiedet man sich besser vor dem Einsteigen. Das als "typisch Neun-Elfer" empfundene Ansauggeräusch ist technisch bedingt auf der Strecke geblieben, denn die mechanischen Hindernisse für den Luftstrom auf der Einlass- wie auf der Abgasseite scheinen das akustische Potenzial ins Wattige zu dämmen. Ein wenig mehr Druck aufs Gaspedal verscheucht das Ungewohnte vorübergehend. Während die Karosse nach vorn drängt, rollt die zweiflutige Abgasanlage einen alternativen Klangteppich aus. Die akustische Begleitung der Fahrerlebnisse ist einerseits mit dem Gasfuß andererseits mit dem Portemonnaie dosierbar. Unterhalb von 3000 Umdrehungen ist der Carrera ein zurückhaltender Begleiter, der dezent sein Klangrepertoire kontrolliert und erst auf ausdrücklichen Wunsch des Fahrers oder der Fahrerin seine Stimme erhebt. Tempozuwachs und Schallpegel bilden dabei ein abgestimmtes Duett, ohne jedoch emotional mitzureißen.

Wer auf mehr Würze in seinem Klangmenü Appetit verspürt, wird wohl nicht darum herumkommen, sich einen Carrera S nebst kostenpflichtiger Sportabgasanlage zuzulegen. Von Hause aus ist der 50 PS stärkere "S" mit einem vierflutigen Auspuffsystem ausgerüstet, ein geänderter Schalldämpfer sowie die zentral verlegten Endrohre entfachten im Fahrtest eine Soundkulisse, die Performance und Erwartungen eher gerecht wurde. Mit 2606,10 Euro steht der schaltbare Klappenauspuff in der Preisliste, manche Fans halten ihren Effekt für unbezahlbar.

Es gehört zu den weniger angenehmen Seiten des Porschefahrens, dass das tatsächliche Leistungspotenzial der Wagen nur selten und im Alltagsverkehr so gut wie gar nicht abgerufen werden kann. Umso dankbarer sind Autotester, wenn - wie in diesem Fall - geschützte Bedingungen es erlauben, das explosive Spurtvermögen, die enorme Lenkpräzision, die fabelhafte Spurtreue und die bissige Verzögerung nah am Grenzbereich zu erleben. Spanische Behörden haben offenbar Verständnis für die Tatsache, dass zügiges Geradeausfahren nur unvollkommene Eindrücke vom neuen 911er vermitteln kann und willigten in die vorübergehende Sperrung einer Bergstraße am Südwesthang des Pico del Teide ein.

Noch mehr Druck per Druckknopf

Obwohl den Carrera vom "S" nur 10 Kilogramm Leergewicht und 0,3 Sekunden im Sprint trennen, ist der subjektiv empfundene Charakterunterschied viel größer. Hart und zupackend das 420-PS-Coupé, geschmeidig und verbindlich der schwächere Bruder. Für beide gilt, dass der Entertainment-Aspekt der Reise per Knopfdruck und zusätzlichen Einsatz von knapp 2100 Euro intensiviert werden kann. Der "Response"-Schalter am Lenkrad ist neu und veranlasst im PDK-Getriebe das Zurückschalten um zwei oder drei Schaltstufen, so dass maximaler Schub zum Beispiel zum Überholen verfügbar ist.

Außer dem großen Eingriff in den Motor haben die Porsche-Ingenieure an zahlreichen anderen Stellschrauben gedreht, um ihren Elfer nützlicher, schicker und wertvoller im Alltagseinsatz zu machen. Zum Beispiel haben die Türgriffe keine eigene Griffschale mehr, die Vertiefungen sind direkt ins Blech gepresst. Ein hydraulischer Vorderachslift etwa kostet zwar 2261 Euro, erspart aber Reparaturkosten, weil man sich an den Rampen von Hof- oder Garageneinfahrten nicht mehr die Bugschürze beschädigt. Um 40 Millimeter kann der Vorderwagen dadurch angehoben werden. Das Navigations- und Entertainment-System wurde mit einem neuen Monitor und einer moderneren Bedienarchitektur versehen, die nach Muster eines Smartphones blättern, zoomen, scrollen und wischen lässt. Insgesamt wirkt die Mittelkonsole klarer strukturiert und nicht mehr so überladen.

Per Saldo ist die Porsche-Ikone - und das wird Fans und Kunden gleichermaßen beruhigen - trotz aller Veränderungen das geblieben, was er ohne Standard-Turbo schon war: Ehrlich und geradeheraus, spontan, herzhaft, unverfälscht und erstaunlich leicht zu handhaben. Und auch recht kostspielig. Das "S"-Coupé beispielsweise kostet jetzt knapp 5600 Euro mehr als vor der Turbo-Einführung.

Quelle: ntv.de

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