
Manchmal ist "Waldmeister" einfach "Waldmeister".
(Foto: imago/Westend61)
Sind Sie auch manchmal überfordert, wenn Sie spontan und verständlich Englisch sprechen wollen, aber Ihnen ein bestimmtes Wort nicht einfällt - oder das falsche? Versuchen Sie es doch mal mit einem Telefonjoker. Meiner heißt Richard.
Kennen Sie diese Situation? Man sitzt mit englischsprachigen Kollegen in einer Verhandlung, das Gespräch fließt gut, doch auf einmal fehlen einem die Worte. Manchmal hilft dann einfach Schweigen und das Problem löst sich von alleine. Oder man schlägt eine spontane Pinkelpause vor, um schnell hinauslaufen und das fehlende Wort in der Wörterbuch-App nachschauen zu können - doch oh je! Wie sagt man denn jetzt noch mal "Pinkelpause" …? Schon steckt der/die Denglische/r Patient/in wieder mitten in einer Sprachkrise. Obwohl alles so gut begonnen hatte.
Ich kann von solchen Situationen mehr als ein Lied singen. So wie in der letzten Folge dieser Kolumne, als ich von den Herausforderungen berichtete, auf Englisch ein Eis zu bestellen: Wissen Sie noch, wie man an "zwei Kugeln in der Waffel mit Streuseln" kommt? Klar, man könnte auf alles mit dem Finger zeigen. Doch ich meine es etwas erwachsener und zivilisierter: mit Worten.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es an solchen Punkten im deutsch-englischen Sprachalltag von großem Nutzen sein kann, jemanden zu haben, der weiß, wie Streusel schmecken und wie man sie bestellt. Keine Maschine, sondern ein Mensch, der Deutsch so gut versteht wie Englisch und der einem Rat gibt, wenn man mit dem eigenen Englisch oder mit der Übersetzungs-App nicht mehr weiterkommt. Jemanden, den man anrufen oder antexten darf und der im richtigen Moment reagiert. Ich habe zum Glück seit vielen Jahren so einen … Telefonjoker! Er heißt Richard. Mit ihm könnte ich zum Millionär werden, würde Günther Jauch endlich mal eine Spezialsendung für Englischkenntnisse machen. Denn mit Richard im Hintergrund fühle ich mich sicher - in that sort of quiz show, Richard would be my trump card. With him I'd feel safe. He could stand in as a proper "phone-a-friend lifeline" - so heißt unser denglischer "Telefonjoker" in der britischen Fernsehsendung "Who wants to be a millionaire?", dem Original von Jauchs Ratespiel.
Was ist eine Gratwanderung?
Richard ist ein Kollege aus jungen Jahren. Wir lernten uns bei einer Journalistenkonferenz kennen und seitdem hat er zum Glück nie seine Mobilfunknummer geändert. Seit fast 20 Jahren ist er nun schon mein wandelndes Wörterbuch - he's my walking dictionary. Das Einzige, was mich an ihm frustriert, ist, dass er selbst noch nie etwas gefragt hat.
Vor allem wer britisches Englisch mag, weiß Richard zu schätzen: Er klingt wie ein Sprecher des "Radio Four Today"-Programms der BBC - was kein Wunder ist, denn dort hat er früher gearbeitet. Heute arbeitet er, wie so viele erfolgreiche Journalisten, auf der anderen Seite: als Pressesprecher in der Londoner City. Das hält mich nicht davon ab, mich immer wieder bei ihm zu melden, sodass ich mein Leben bilingual führen kann:
Ich: Richard, wie heißt der Mittelstreifen auf der Autobahn?
Telefonjoker: Central Reservation.
Ich: Richard, was ist eine Gratwanderung?
Richard: Balancing act. Or tightrope walk.
Ich: Richard, wie sagt man in einer Verhandlung "Es gibt da einige Vorbehalte"?
Richard: There are a number of caveats.
Ich: Richard, wie sagt man "Zahlungsziel 30 Tage"?
Richard: Payment terms 30 days.
Ich: Richard, was ist eine Pinkelpause?
Richard: Peter, that's obviously a toilet break. We would call it "refreshment break" in a polite and "pee break" in a more casual way. In kindergarten you could also say "potty break". And as I mention kindergarten: Why are you calling to bother me with such trifles?
In solchen etwas schwierigen Momenten werden mir immer drei Sachen klar:
- Es ist unbezahlbar, einen englischsprachigen Telefonjoker zu haben! Ganz nebenbei hatte er mir auch noch die Übersetzung für "Nichtigkeiten" geliefert: "trifles".
- Es ist gut, dass ich zum Beispiel mit Joe, John und Andrea noch ein paar Ersatzjoker habe.
- Es wäre besser, wenn mir Richard auch mal eine Frage stellen würde.
"What's that green shit?"
Und dann neulich rief er mich plötzlich an. Eventually, I got a call from Richard! Er reiste gerade durch Süddeutschland. Wir plauderten über das heiße Wetter und die schönen Städtchen und dann kam aus heiterem Himmel - out of the blue - der Moment, auf den ich immer heimlich gewartet hatte: seine erste Frage!
Richard: Peter, what's that green shit "Waldmeister"?
Ich muss hier richtigstellen, dass er "shit" anerkennend und liebenswert meinte. In einer Art Anwandlung von Jugendlichkeit - in a somewhat juvenile mood. Ich nehme an, ihm hat der Waldmeister geschmeckt. Doch diesen nun zu übersetzen? Richards erste Frage drohte eine Blamage für mich zu werden - an impending humiliation. Ich dachte nach. Mein Telefonjoker war gerade nicht erreichbar, ich sprach ja mit ihm.
Rein botanisch ist Waldmeister "woodruff". Doch dann fiel mir ein, dass schon der Schriftsteller Werner Lansburgh in seinen herrlichen, noch immer lesenswerten Büchern "Dear Doosie" erklärt hatte, dass es sich bei Waldmeister schlicht um Farbstoff (artificial colouring) handelt. Anders gesagt: dass es für dieses "unsäglich zarte, waldschattig scheue und gleichwohl schillernd zitternde Grün" einfach keine adäquate Übersetzung gibt. Es bleibt also "Waldmeister".
Peter: I am very sorry, Richard! Werner Lansburgh was quite right in pointing out: "Auch Wörter haben eine Seele." Und das deutsche Waldwunderwort hat sie allemal! Hat es dir denn geschmeckt - did you like the green shit?
Richard: Yes, it was an excellent ice-cream. In a cone with hundreds and thousands.
Peter: Thank you, Richard. You made my day!
Wenn Sie selbst auch manchmal um Worte ringen, also ganz ähnliche Situationen kennen und vielleicht auch einmal eine Frage an Richard stellen wollen, dann schreiben Sie mir! Ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, um in einer telefonischen Audienz für Sie an eine geeignete Antwort zu gelangen.
Quelle: ntv.de