Leben

Positive Energie aus Leipzig Kunst im Kraftwerk

"Leipzig ist eine neugierige Stadt", findet Markus Löffler.

"Leipzig ist eine neugierige Stadt", findet Markus Löffler.

(Foto: Kunstkraftwerk Leipzig)

Auszeit mit Licht. Figuren wirbeln über die meterhohen Wände ringsherum. Auf dem Boden kringeln sich Muster, die Musik reißt einen mit. Wohin zuerst schauen? Egal. Wunderbar eingehüllt von Kunst, lässt sich gemeinsam der raue Alltag vergessen. In Leipzig hat Markus Löffler zusammen mit seiner Frau und einem befreundeten Architekten einen besonderen Ort geschaffen, aber: "Gemälde an die Wand zu werfen ist nicht genug", sagt er. In einem alten Industriestandort begeistert in digitaler Form der berühmte Maler Vincent Van Gogh oder eine Show über die "Boomtown Leipzig". Jetzt wird der bereits 2004 verstorbene ostdeutsche Maler Werner Tübke zu seinem 90. Geburtstag geehrt. Dessen monumentales Panoramabild vom Bauernkrieg in Bad Frankenhausen wurde speziell für das Kunstkraftwerk digitalisiert. Es macht Freude, in das komplexe Bild einzutauchen und sich mit Leichtigkeit darin zu verlieren. Markus Löffler, im richtigen Leben Physiker und Mediziner, hat mit ntv.de über einen ziemlich verrückten Immobilienkauf, privates soziales Engagement und dieses einmalige Kunsterlebnis gesprochen.

ntv.de: Wie kamen Sie auf die Idee, das alte Heizwerk Lindenau wiederzubeleben?

Markus Löffler: Wir, meine Frau aus Italien und ich aus Köln, sind 1994 so unglaublich gut in Leipzig angekommen, dass wir hier für immer Wurzeln geschlagen haben. Meine Frau arbeitet als Ärztin und ich bin Wissenschaftler. Dieser Stadt haben wir viel zu verdanken und wir waren bereit für ein Abenteuer. So kam es zu dem Wagnis in Richtung bürgerliches Engagement und zu der Idee, der Gesellschaft etwas an der Schnittstelle von Kunst und Kultur zurückzugeben. Unser Ziel war es, etwas zu finden, das die Fantasie anregt. Das Kraftwerk war wie ein Whiteboard, auf das wir Dinge projizieren konnten.

Sind Sie ein Visionär?

Im Sinne von "Wir hängen einer Utopie nach?" Nein. Es war mehr der Reiz, etwas Neues zu wagen.

Was hat Sie an diesem postindustriellen Gebäude gereizt - das war doch nicht nur die pure Abenteuerlust?

"Kunst und Forschung haben gemeinsame Wurzeln, sie sind von Neugier getrieben", sagt Markus Löffler.

"Kunst und Forschung haben gemeinsame Wurzeln, sie sind von Neugier getrieben", sagt Markus Löffler.

(Foto: Luca Migliore)

Wir hatten ein bisschen Geld übrig, wollten das allerdings nicht in eine Eigentumswohnung investieren. Mit einem Freund, dem Architekten Ulrich Maldinger, haben wir im Januar 2012 diesen Ort entdeckt. Es hatte was von einer Zeitkapsel. Ich glaube, wenn man wie ich aus dem Westen kommt, hat man durchaus eine Affinität zu alten Industriebauten. Hier hatte sich seit 20 Jahren nichts mehr bewegt. Als wir zum ersten Mal drin waren, lag Schnee auf dem Boden …

Gegen welche Widerstände mussten Sie noch ankämpfen?

Wir haben die Erfordernisse der Bauverwaltung unterschätzt. Auch, weil das Kraftwerk unter Sonderregelungen fiel und mit der geplanten Öffnung für ein Publikum kamen besondere Sicherheitsbelange ins Spiel. Aber eigentlich war es kein Widerstand, es war einfach nur mühselig.

Wie gut, dass Sie über die Jahre nicht doch das Handtuch geworfen haben …

(lacht) Na, da kommt der Forscher in mir durch. Und wir drei sind nun mal auch von Berufswegen absolute Teamplayer. So wie jetzt die digitalen Künstler, die für uns arbeiten und das Kraftwerk so faszinierend bespielen.

Licht- oder digitale Kunst, die man immersiv erlebt, erreicht zudem ein breites Publikum. Es taucht im gesamten Raum in das Werk eines Künstlers ein.

Neulich fuhr hier ein kleines Auto vor und es stiegen immer mehr Menschen aus. Am Ende standen da vier Generationen vor mir. Sie wollten den 80. Geburtstag des Opas mit einem Besuch in einer unserer Lichtshows feiern. Als ich fragte, wie sie auf das Kraftwerk kamen, sagte die Enkelin: "Weil das etwas für alle ist."

Mit Ihrem Kunstkraftwerk erzeugen Sie also immer noch Energie, und zwar sehr positive. Wie sieht es finanziell aus, stemmen Sie das alles zu dritt?

Lichtkunst erfreut generationsübergreifend, so wird Kunst ganz einfach und ohne Kitsch vermittelt.

Lichtkunst erfreut generationsübergreifend, so wird Kunst ganz einfach und ohne Kitsch vermittelt.

(Foto: Kunstkraftwerk 2022, Luca Migliore)

Ja. Das Kunstkraftwerk ist ein privatfinanzierter Betrieb. Das Gebäude selbst war nicht so teuer, wie man es sich vorstellt. Erst die Renovierung und alles Weitere kostete Euro um Euro. Die ersten zwei Jahre fanden hier ausschließlich wunderbare Ausstellungen statt. Wir hatten über 50 Künstler aus 25 Ländern zu Gast. Die Idee war, dass wir die Räumlichkeiten geben und die Heizkosten zahlen. Transport, Versicherung, Honorare et cetera sollte erwirtschaftet werden. Die lokalen Medien haben das Projekt gewürdigt, aber es kamen nur wenige Besucher.

Räume für Events zu vermieten ist das eine. Das reichte jedoch nicht für Ihr Anliegen, eine kulturelle Begegnungsstätte für alle zu schaffen, Sie mussten zwangsläufig umdenken.

Richtig. 2016 hatten wir die Idee, uns auf multimediale, immersive Installationen zu spezialisieren. Kunst, die über Licht transportiert wird, erreicht viel mehr Menschen. Die benötigten Computer und 50 Projektoren, um den Raum zu bespielen, mussten wir abermals privat finanzieren. Die Stadt gab uns keinen Cent dazu. Inzwischen bekommen wir allerdings von der Stadt Förderung für Projekte wie "Boomtown".

"Boomtown Leipzig", Sie erwähnten schon, dass Sie dort bleiben werden. Was macht diese Stadt so besonders?

Das ist keine einfache Frage (er macht eine längere Pause). Leipzig ist eine neugierige Stadt.

Die Hommage an Werner Tübke, The Great Circle, stammt vom Digitalkünstler Franz Fischnaller.

Die Hommage an Werner Tübke, The Great Circle, stammt vom Digitalkünstler Franz Fischnaller.

(Foto: Kunstkraftwerk 2022, Luca Migliore)

Werner Tübke, der im Renaissancestil gemalt hat und zu DDR-Zeiten ein bedeutender Maler war, hat hier gelebt und gewirkt. Widmen Sie ihm daher jetzt eine Show?

Es gibt leider viel mittelmäßige Qualität im Bereich der multimedialen, immersiven Shows. Wir haben daher den Ehrgeiz entwickelt, selbst einmal eine anspruchsvolle Show zu produzieren und eine eigene Geschichte zu erzählen. In dem Bauernkrieg-Panoramabild von Tübke steckt so viel: Aufstieg, Untergang, Paradies, Apokalypse …

Laut Wikipedia wurden nach dem Bauernkrieg 1524 so was wie die ersten Menschenrechte schriftlich verankert.

In Tübkes monumentalem Werk, an dem er ein gutes Jahrzehnt gearbeitet hat, geht es um dieses Bemühen, neue Wege zu gehen. Sein Thema waren die ständig scheiternden Utopien und die Verzweiflung, zu verlieren, obwohl man im Recht ist. Dieses Auftreten der Humanisten passt sehr in unsere Zeit. Tübkes Bild ist unfassbar aktuell. Und so kam uns in der Pandemie die Idee, den Maler zu seinem 90. Geburtstag zu ehren. Glücklicherweise hatten unsere Künstler coronabedingt Zeit, das Projekt zu realisieren.

Eigentlich sind Sie Wissenschaftler, Epidemiologie, leiten als studierter Physiker und Mediziner gleich vier Institute - was können Wissenschaftler und Künstler voneinander lernen?

Wissenschaftler gehen analytisch vor, was Künstler eher selten machen. Sie arbeiten intuitiv, haben ein Thema vor Augen, aber arbeiten sich von der anderen Seite heran. Das täte der Wissenschaft manchmal auch gut. Aber die Befriedigung über das gelungene Werk ist ganz ähnlich.

Mehr zum Thema

Arbeit, Kunst und soziales Engagement, das klingt nach einem ausgefüllten Leben. Was macht Sie glücklich?

Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Werk vollbracht ist. Und das ist jetzt so.

Kunstkraftwerk, Saalfelder Straße 8b, 04179 Leipzig, alle Informationen zu den Licht-Shows gibt es hier.

Quelle: ntv.de

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