Leben

Survival ist, wo du bist Leben ist besser als überleben

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Hat Feuer gemacht: Björn Hombergs

(Foto: Julian Vetten)

Wildnistrainings stehen derzeit hoch im Kurs - auch, weil einschlägige Sendungen suggerieren, dass man dabei "wie Bear Grills schreiend durch den Dschungel rennt". Doch die Realität sieht anders aus. Zum Glück.

Es ist kurz vor Mitternacht, als ich mich zum ersten Mal frage, was um alles in der Welt ich eigentlich hier verloren habe: Ein Stück weit entfernt ist noch das Feuer zu sehen, an dem ich mich in den letzten Stunden gewärmt habe, aber direkt vor mir ist nichts als Dunkelheit, Kälte und ein schwarzes Loch auf Hüfthöhe - ich drehe mich um und krabbele mitten hinein. Es dauert eine Weile, viel Platz ist nicht, doch irgendwann bin ich am Ziel. Unter mir: Laub. Über mir: Laub und Äste. Und vor mir, nachdem ich den Eingang verschlossen habe: noch mehr Laub. Den Einzug in mein erstes Eigenheim hatte ich mir immer anders vorgestellt, aber wer Anfang März bei Minustemperaturen ohne Ausrüstung im Wald übernachten will, sollte sein Komfortdenken besser zu Hause lassen, denke ich noch, bevor ich einschlafe.

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Halten warm und sind gut getarnt: Notunterkünfte aus Ästen und Laub.

(Foto: Julian Vetten)

Am nächsten Morgen bin ich steifgefroren. Bibbernd mache ich mich auf den Weg zur Feuerstelle, wo der Rest der Gruppe bereits die Vorbereitungen für das Frühstück trifft. Björn Hombergs kann sich ein breites Grinsen nicht verkneifen, als er den durchgefrorenen Reporter sieht, der alle seine Gliedmaßen so nah wie möglich ans Lagerfeuer hält. "Na, gut geschlafen?", fragt der Wildnispädagoge von der Wildnis- und Survivalschule Schattenwolf am Beginn des zweiten Tages des Trainings, das ich zusammen mit neun anderen Frauen und Männern absolviere.

Tatsächlich hatte meine Körperwärme in der selbst gebauten Laubhütte nach einiger Zeit völlig unerwartet für erträgliche Temperaturen gesorgt - bis ich irgendwann zum Pinkeln aufstehen musste und dabei die Astkonstruktion zum Einsturz brachte. Den Rest der Nacht musste ich notgedrungen unter einer aufgespannten Plane verbringen - wo es trotz Schlafsack deutlich kälter war als in der Laubhütte.

Schreiend durch den Dschungel rennen

So unangenehm und kalt die Nacht auch war, so gut fühle ich mich ein paar Minuten später, als ich schließlich aufgetaut bin: Ich habe eine Spätwinternacht in freier Wildbahn überlebt und zwar fast ganz ohne Ausrüstung. Meine Vorfahren würden darüber wahrscheinlich nur müde lächeln, aber immerhin - der Anfang ist gemacht. "In meinen Kursen geht es darum, sich selbst und seine Fähigkeiten zu entdecken", sagt Wildniscoach Hombergs. "Denn wir können viel mehr, als wir uns zutrauen. Und wir können all das aus uns herausholen, sobald wir die Natur nicht mehr als feindliche Umgebung betrachten."

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Wildniscoach Hombergs braucht ein Seil und gräbt dafür Fichtenwurzeln aus.

(Foto: Julian Vetten)

In den zwei- bis dreitägigen Kursen, die Hombergs mehrmals im Jahr in der Nähe von Bremen anbietet, lernen die Teilnehmer, mit der Natur zu leben, statt in ihr zu überleben. Der Unterschied ist dem Wildniscoach wichtig: "Survival, das sind Typen wie Bear Grills, die aus Helikoptern springen, es immer eilig haben, schreiend durch den Dschungel rennen und immer kämpfen müssen." Trotzdem laufen Hombergs Kurse unter dem Label "Primitive Survival". Warum? "Ich mag das Wort Survival nicht, aber die Menschen können sich etwas darunter vorstellen", sagt Hombergs. Und er hat recht: Ich bin nur auf den Coach gestoßen, weil ich nach "Survival" gegoogelt und mir gleichzeitig vorgestellt habe, wie Bear Grills schreiend durch den Wald zu rennen.

Was ich stattdessen bekomme, ist ungleich schöner und wertvoller: Wir lernen, ohne Hilfsmittel Feuer zu machen, einfache Gebrauchsgegenstände herzustellen und die Natur um uns herum so gut wie möglich zu nutzen. Es ist erstaunlich, wie schnell sich der eigene Blick auf die Umwelt verändert: Moos wird vom weichen Blickfang zum reichhaltigen Trinkwasserreservoir und - wegen seiner antiseptischen Eigenschaften - zum natürlichen Wundverband. Die Samen von Disteln, Pusteblumen oder Rohrkolben dienen als natürliche Brandbeschleuniger. Und wer hätte gedacht, dass Fichtenwurzeln so widerstandsfähig und flexibel sind, dass sie sogar Seile ersetzen können?

Teambuilding par excellence

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Auch die Herstellung einfacher Gebrauchsgegenstände steht auf dem Stundenplan.

(Foto: Julian Vetten)

Ich jedenfalls nicht. Genauso überrascht wie vom Gelernten bin ich allerdings von der Zusammensetzung der Gruppe. Ein ehemaliger Bundeswehroffizier, der zusammen mit seinem Sohn angereist ist, erfüllt noch am ehesten die Vorstellung, die ich mir von den Kursteilnehmern gemacht hatte. Gar nicht ins Raster passt dagegen eine junge, schüchterne Frau, die nach einer langen und schweren Krankheit wieder Selbstvertrauen fassen will. Oder eine Dame in ihren 50ern, die ihr Leben lang nur für andere da war und sich jetzt den Mut und das Selbstbewusstsein antrainieren will, um auf Weltreise zu gehen. Die insgesamt zehn Teilnehmer sind so unterschiedlich, wie es nur geht und trotzdem kommt es während des ganzen Wochenendes nie zu Spannungen. "Alleine kann man in der Wildnis kaum überleben, in der Gruppe schon", fasst Hombergs zusammen. Teambuilding par excellence, könnte man auch dazu sagen.

Als der Kurs am Sonntag seinem Ende entgegengeht, bin ich eigenartig traurig. Klar, ich freue mich schon auf mein warmes Bett und eine anständige Mahlzeit. Aber ich weiß, dass sich meine Sinne zu Hause wieder auf andere Dinge konzentrieren werden - und dabei etwas Wichtiges verloren geht. Das allerdings könne man sich bewahren, ist Hombergs überzeugt - Natur gebe es schließlich nicht nur in seinem Wald. "Am besten geht ihr raus, sucht euch ein hübsches Plätzchen, sitzt da eine Weile und beobachtet einfach." Bis es das nächste Mal raus in den Wald geht. Und dann hält meine Laubhütte. Ehrlich jetzt.

Quelle: ntv.de

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