
Leere Zuschauertribünen haben Fußballer erst in der Pandemie kennengelernt.
(Foto: picture alliance / Sportfoto Zink / Melanie Zink)
Am Sonntag kommt es während des EM-Finals zu einer Weltsensation, die Deutschland auf dem Weg aus Neandertal ein Stück voranbringen wird. Dank des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn Fortschritt ist gerade schwer angesagt. Nicht nur beim Impfen.
Weltsensation! Und das mitten in Deutschland. Ja, man kann es nicht anders nennen als: Weltsensation! Halten Sie sich fest, geschätztes Publikum, oder setzen Sie sich besser auf den Popo, bevor Sie - falls Sie noch nichts davon wissen - von der Weltsensation erfahren, um nicht vor Schreck umzufallen. Holen Sie tief Luft, damit Sie eine etwaige Schnappatmung nicht auf die Intensivstation befördert, auf der es endlich wieder freie Betten gibt, weil das fiese Virus gerade Fußball guckt und nur noch in der Halbzeitpause dazu kommt, darüber nachzudenken, welche Variante es uns als nächstes präsentiert oder ob es sich erst einmal mit Delta begnügt.
Wo war ich gleich? Ach ja, bei der Weltsensation mitten in Deutschland. Es ist unfassbar, was am Sonntag passiert, weshalb ich die Spannung noch ein bisschen hinauszögere, ehe ich das Kätzchen aus dem Sack lasse: England trifft auf Italien - nein, auch das ist nicht gemeint. Aber es hat damit zu tun: Eine Frau kommentiert das Finale der Fußball-EM der Männer! Ja, richtig gelesen: Eine FRAU redet zu Beginn des 21. Jahrhunderts öffentlich über das Treiben von MÄNNERN. Ist das nicht toll?! Ist das nicht Fortschritt?! Da jubelt nicht nur jede - eigentlich an Fußball krass desinteressierte - Feministin und ein toleranter Sehr-Gutmensch wie ich, da schlägt das Herz aller Aufrechten höher, egal ob sie Anhängende (früher politisch unkorrekt "Anhänger" genannt) oder Dagegen-Seiende (früher politisch unkorrekt "Gegner" genannt) des Genderns sind.
Zu verdanken haben wir die Weltsensation der ARD, unserer öffentlich-rechtlichen Streiterin für Gleichberechtigung und Garantien für 99 Prozent Frauenanteil in Chefpositionen sowie Migranten-Quoten im "Tatort", damit Einwanderer oder deren Töchter und Söhne nicht immer nur die osteuropäische Nutte und den Kleinganoven mit arabischen Wurzeln mimen brauchen, sondern auch einmal die Leiche geben dürfen. Julia Metzner ist die auserwählte ARD-Kommentatorin. Bevor Sie nun völlig ausflippen ob der frohen Kunde und vor Glück die Korken Ihres Schaumgetränks knallen lassen, um zu feiern, wie weit Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts schon ist, schütte ich hier einen winzigen Wermutstropfen in den Sekt: Frau Metzner kommentiert im Radio. Die Glotze bleibt selbstredend männlich.
Ja, so entnahm ich es einer Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa), der zufolge Metzner "als erste Frau für die ARD das Endspiel eines großen Turniers im Radio" stimmlich begleiten wird. Weiter ließ mich die dpa wissen: "Eine Final-Kommentatorin bei WM oder EM gab es in Deutschland bisher nur im Privatradio." Aha, das heißt also, dass der böse Privatfunk fixer war als der super-trouper-fortschrittliche öffentlich-rechtliche Rundfunk. Aber macht nichts, denn nur wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Oder der WDR-Kinderchor mit einem Lied. Aber noch ist nichts zu spät. Und beim Ersten ticken die Uhren ohnehin anders, da ist ein Zu-spät-Kommen ein Ding der Unmöglichkeit.
Nach Einwurf von Frau Töpperwien
"Ich hatte mehrfach in Interviews der letzten Tage geäußert, dass ich es nicht mehr erleben werde, dass eine Frau bei einer Fußball-EM oder WM das Finale fürs Radio oder Fernsehen übertragen wird", hatte die großartige Fußballkommentatorin Sabine Töpperwien im Januar zu ihrem Abschied in den Ruhestand gesagt. WDR-Programmdirektorin Valerie Weber, die auch Vorsitzende der ARD-Audioprogrammkonferenz ist, weiß als Frau natürlich, wie man Frauen fördert, und erklärte in einem fantastischen Wortspiel: Töpperwiens Kritik habe "den Ball bei uns Chefs ins Rollen gebracht". Wie könnte man als Frau von allein darauf kommen, dass man eine Frau ein Finale kommentieren lassen könnte?! Da bedarf es schon mal eines Einwurfs einer Frau Töpperwien.
Nun muss Metzner sagen: "Ich gehe davon aus, dass ich dabei bin, weil ich gute Leistung bringe, und nicht, weil ich eine Frau bin." Selbstverständlich hat das nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern nur mit den vortrefflichen Sprechkünsten der ARD-Angestellten, also "der Leistung". Ein Mann müsste so etwas niemals kundtun. Die Entscheidung hat aber ganz sicher auch damit zu tun, dass die ARD so die Debatte los ist, und garantiert damit, dass das ZDF das Finale überträgt und bis auf ein paar Taxi-, Fern- und Sonstwas-Fahrer, alle Interessierte vor der Glotze hängen werden, statt sich von einer Frau sagen zu lassen: "Pfosten", "Ecke" und: "Das war knapp." Aber wen interessiert das schon in der Euphorie über eine Weltsensation?
Kleopatra, Maria Stuart, Claudia Neumann
Auch beim Fortschritt und der Gleichberechtigung darf man die Quote und den Twitter-Mob nicht ganz außer Acht lassen. Das ZDF wollte offenbar keinen Aufstand der Neandertaler riskieren und Claudia Neumann das Endspiel anvertrauen, was bedauerlich ist, weil wir so der Diskussion entgehen, wie Deutschland aus dem Neandertal herauskommt. Über Neumann hieß es zum Männer-Turnier 2016 schon in deutschen Medien: "ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann sorgte bei der EM für einen historischen Moment. Als erste Frau kommentierte sie ein Spiel bei den Männern."
Auch das war eine Weltsensation mitten in Deutschland! Oder? Da wurde ein Vorgang, der völlig normal ist / sein müsste, medial zu einem angeblich geschichtsträchtigen Ereignis aufgeblasen, als lernten Schülerinnen und Schüler im Jahr 2080, wer Kleopatra, Jeanne d'Arc, Maria Stuart, Angela Merkel und Claudia Neumann waren. Der Lehrer wird dann sagen: "Diese Kämpferin für den Fortschritt hat nicht nur als erste Frau ein Spiel bei der Fußball-EM der Männer live besprochen, sondern auch als erste Frau im deutschen Fernsehen ein Spiel der Champions League der Männer mit ihrer Stimme versehen." Das ist so absurd wie der Umstand, dass es noch haufenweise Männer gibt, die eine Fußball-Reporterin nach wie vor lieber am Herd sehen würden. Nicht umsonst heißt Neumanns feines Buch: "Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?"
Aus der Zeit gefallen: "Spielerfrauen"
Wenn man so vergeistigt ist wie ich, denkt man über wichtige Fragen nach wie diese: Was tun eigentlich Feministinnen, wenn Fußball-EM ist? Kochen? Bügeln? Ich warte noch immer auf Proteste gegen den Begriff "Spielerfrauen", den Reporter nach wie vor gebrauchen, obwohl er so wunderbar aus der Zeit gefallen ist, weil er wie kein anderer Frauen auf (ihre) Männer reduziert. Maximal "Arztfrau" hält da noch mit. Das sind jene Damen, die dem Klischee zufolge nach ergiebigem Einkauf bei Gucci und Prada im Garten der Villa entspannen und der Arztgattin von gegenüber, ebenfalls eine blond gefärbte Trullala, zuwinken, um schneller den frischen Nagellackauftrag zu trocknen. Die sogenannte Spielerfrau ist der Inbegriff der blondierten Tussi als bloße männliche Begleiterscheinung: schön, sexy, naiv, doof, aber irgendwie auch bauernschlau bis sauclever. Denn immerhin hat sie es geschafft, sich einen Mann zu angeln, der dank gekonnter Tritte gegen einen Ball Millionen verdient.
Ich bin sicher, nirgendwo liegt die Einkommensschere so weit auseinander wie zwischen herrischen und weiblichen Fußball-Profis. Dabei präsentieren Frauen-Topteams mittlerweile technisch feinen Fußball, x-mal ehrlicher als Männer sind sie sowieso. Wenn Weibsbilder am Werk sind, gibt es keine Wunderheilung nach einem Tor. Fußballerinnen legen auf dem Rasen weniger Wert auf ihre Frisuren als Fußballer. Sie brüllen nicht wie ein Schwein am Spieß und wälzen sich nicht, in Führung liegend, minutenlang auf dem Rasen, um Zeit zu schinden und dem Schiedsrichter zu zeigen, dass ihr Tod verdammt nah ist, weil der Gegner sie soeben mit einem brutalstmöglichen Karate-Handkantenschlag, der nur für den "Gefoulten" sicht- und spürbar war, niedergestreckt hat.
Im Frauen-Fußball gibt es keine brutalen Fouls, keine Hooligans und schon gar keine Hooliganinnen. Er ist friedlich. Frauen sind mutiger. Während Philipp Lahm - wohl in gutgemeinter Absicht - homosexuellen Profis davon abrät, sich während ihrer aktiven Zeit zu outen, hat das die Amerikanerin Megan Rapinoe schon vor zig Jahren getan, ohne dass es ihr geschadet hätte. Aber wer guckt schon Frauen-Fußball? Die Stadien sind so gut wie immer leer, selbst bei Spielen der Bundesliga. Was Männer in der Corona-Zeit erlebten, vor leeren Rängen zu spielen, ist für Frauen Normalität. Männer hatten nun mehr als ein Jahr Zeit zu lernen, wie sich Frauen fühlen. Vielleicht hilft das ja.
Quelle: ntv.de