Kunst fördern - und fordern "Staat nimmt seine Aufgaben nur bedingt wahr"
24.08.2022, 18:16 Uhr
Finden klare Worte für das Nicht-Engagement ortsansässiger Firmen: Dorothée Wahl und Annette Stadler.
(Foto: PIN.)
Glamouröse Partys nachts im Museum, Charity-Auktionen, die wie zuletzt 3,4 Millionen Euro einspielen, das hat einen exklusiven Touch. Dabei ist die Münchner PIN. weit entfernt davon, ein elitärer Gesellschaftsclub zu sein, denn es geht dem Freundeskreis um Bildung. Und das möglichst niederschwellig, generationsübergreifend und quer durch die sozialen Schichten. Der Verein ist vor 65 Jahren als Münchner Galerie-Verein gegründet worden und damit einer der ältesten im Land. Seit 20 Jahren, mit der Eröffnung der Pinakothek der Moderne, als "PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne" bekannt, ist das prägnante Kürzel PIN. zu einer Marke geworden. Der Dank geht an starke Frauen, die sich dafür ehrenamtlich engagieren. n-tv.de hat mit den Vorständinnen Annette Stadler und Dorothée Wahl über Aufgaben, Sponsoren, Kinder im Museum und Kunst, die wach küsst, gesprochen. Dabei schlagen sie auch kritische Töne an.
ntv.de: Was ist die Aufgabe der PIN.?
Dorothée Wahl: Das Museum im Gespräch und in Bewegung zu halten, Besucher zu generieren, Förderer zu suchen. Ganz wichtig ist unsere Vermittlerrolle, mit der wir Ausstellungen des Hauses zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Zudem muss man sagen, dass ohne die finanzielle Unterstützung von PIN. viele Ausstellungen nicht möglich wären. Der Staat nimmt hier seine Aufgaben nur bedingt wahr.
Die staatlichen Etats für Kunst und Kultur schrumpfen scheinbar kontinuierlich. Wird mäzenatische Tradition wichtiger?
Dorothée Wahl: Absolut. Wir haben in München noch Mäzene, die zeitgenössische Kunst aus echtem Interesse heraus fördern.
Dank Geldern von PIN. werden Ausstellungen ermöglicht, aber auch Kunstankäufe für die Sammlung getätigt, dazu gibt es ein beachtliches Vermittlerprogramm. Knapp 1000 Mitgliederbeiträge und der Erlös der PIN. Auktion, die jährlich im November stattfindet, allein reichen also nicht?
Annette Stadler: Nein, dazu kommen zum Glück viele großzügige Spenden. Für bestimmte Ausstellungen versuchen wir, Sponsoren zu finden. Manche Spenden sind gesondert und zum Beispiel an ein Kinderprogramm gebunden.
Dorothée Wahl: Unsere Vermittlungsprogramme machen einen großen finanziellen Block aus. So kommen andere gesellschaftliche Gruppen ins Haus. Für Kinder und junge Menschen zwischen 2 und 20 haben wir viele Programme.
Können Sie ein Beispiel geben?

Kinder und Kunst - dank finanzieller Unterstützung von PIN. geht das kostenfrei.
(Foto: Pinakothek der Moderne)
Dorothée Wahl: Ungeheuer beliebt ist unser Kinder- und Hortprogramm PIN.OCCHIO. Die Gruppen werden mit einem Bus abgeholt, sie besuchen das Museum, essen dort gemeinsam und fahren mit dem Bus wieder zurück. Ein neues Programm soll die 13- bis 17-Jährigen ansprechen, da bieten wir Methoden wie Coding oder Filmen an.
Und das zahlt komplett der Freundeskreis?
Annette Stadler: Ja, oder ein Sponsor, den wir akquiriert haben.
Dorothée Wahl: Ich möchte hervorheben, dass sich seit zehn Jahren die Allianz maßgeblich in unseren Kinderprogrammen engagiert. Große Unternehmen einer Stadt sind meiner Meinung nach verpflichtet, sich im gesellschaftlichen Kontext zu beteiligen. Ebenso tun das BMW oder Siemens. Google, Amazon oder Microsoft, die von der Stadt in allerlei Bereichen gepampert werden, sehe ich hingegen nirgends.
Warum sind Kinder so wichtig für die Museen?
Annette Stadler: Wer als Kind ins Museum kommt, kommt später wieder. Für die Museen sind Kinder und Jugendliche, egal aus welchem sozialen Milieu sie kommen, eine Bereicherung.
Bleiben denn auch Jugendliche mit sozial schwachem Hintergrund hängen?
Dorothée Wahl: Absolut. Gerade haben wir einen Kunstvermittler, der über das Kinderprogramm ans Haus kam. Manche Eltern kommen das erste Mal in die Pinakothek der Moderne, weil die Kinder ihnen das Haus zeigen.
Der Name PIN. hat etwas von einem besonderen Zugangscode, dabei ist das Vereins-Programm an jeden gerichtet.
Annette Stadler: Unbedingt, wer Interesse an zeitgenössischer Kunst hat, ist herzlich willkommen und kann Teil von PIN. werden. Für unsere Mitglieder machen wir ein Riesenprogramm, fast jede Woche gibt es Führungen durch die Ausstellungen, Vorträge oder Atelierbesuche. Unser Vereinsziel ist Bildung, daher können wir die Vermittlungsprogramme kostenfrei anbieten. Das Glas Wein hinterher beim vertiefenden Gespräch muss allerdings selbst bezahlt werden.
"Kunst küsst wach" war das letzte Auktions-Motto der PIN. Wann wurden Sie wachgeküsst?

Picknick: Die Kunst zu feiern und dabei noch das Museum zu unterstützen, macht doppelt Freude.
(Foto: Nicolas Brixle)
Annette Stadler: Unbewusst im Elternhaus. Als ich auszog, sah ich auf die kahlen Wände des Studentenzimmers. Ich begriff, dass ich von Kunst umgeben aufgewachsen war, und wollte die Bilder aus meinem Kinderzimmer bei mir haben. In München las ich irgendwann von der PIN. Party. Ich bin immer ins Museum gegangen, aber dass ich ein Museum unterstützen und gleichzeitig auf eine Party gehen konnte, das war mal was Neues, also wurde ich Mitglied. Seit acht Jahren arbeite ich aktiv mit. Man muss nicht jedes Kunstwerk, das man sieht, mögen. Aber dass sich über die Kunst andere Themen öffnen, sich zu fragen, warum spricht mich etwas an oder nicht, das ist spannend.
Dorothée Wahl: Ich wechselte in den 70er Jahren während des Studiums von Freiburg nach Köln und fand die Stadt furchtbar. Köln war eine schwarze Stadt und schien mir damals so uninteressant. Meine Rettung war die Kunst und Freunde, die in Galerien arbeiten. Was Kunst betraf, war Köln in Europa damals die angesagte Stadt. So hat das vor 45 Jahren angefangen. Seit 2008 bin ich im Vorstand der PIN. Sich mit Kunst auseinanderzusetzen, ist etwas, was den eigenen Geist beflügelt und entwickelt.
Sieben Leute arbeiten als Festangestellte für den Verein, dazu kommen Vorstandsmitglieder und etliche andere engagierte Menschen, die ehrenamtlich arbeiten. Das klingt für Sie als Vorstand nach einem unbezahlten Fulltimejob.

Treffpunkt Museum: Das ikonische Futuro-House vor der Pinakothek der Moderne.
(Foto: Die neue Sammlung, A. Laurenzo)
Dorothée Wahl: Wenn man will, dass die Sache gut läuft, dann geht es nur, wenn man wirklich Zeit investiert. Am Ende sind es 20 bis 40 Stunden wöchentlich, je nachdem, was ansteht.
Annette Stadler: Sicher ist unser Engagement aufwendig, für uns aber auch bereichernd. Wir sehen uns als Vermittler, kommunizieren mit vielen Personen, wollen sie vernetzen. Inhaltlich nehmen wir aber weder auf Ausstellungen noch auf Museumsankäufe Einfluss, auch wenn für uns die Belange des Museums an vorderster Stelle stehen.
Dorothée Wahl: Ich finde es extrem wichtig, Verantwortung zu übernehmen. Das ist vielen Leuten heute zu unbequem, vielfach verschanzt man sich lieber hinter Vorschriften, als Initiative zu zeigen.
Kommen wir zur zeitgenössischen Kunst. Die tut sich in München gern mal schwer, heißt es. Warum ist das so?
Dorothée Wahl: Ich würde das gar nicht an München festmachen. Hier gibt es eine große Sammlerschaft, die viele Dinge ermöglicht, die woanders so nicht passieren. Das Problem, das ich sehe, ist die Politik, die Stadt und das Ministerium, die einfach insbesondere an Oktoberfest, Automobil und Fußball als Werbeträger interessiert sind.
Annette Stadler: Es hapert am Marketing. Das für uns zuständige Ministerium ist nicht das Kultusministerium, sondern das Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Der Minister dort ist sicher eher an der Wissenschaft interessiert. Der Anreiz, der sich durch Kunst und Kultur in der Stadt manifestiert, gehört viel breiter kommuniziert.
Ist das nicht ein deutschlandweites Problem?

Zum ersten Mal in Deutschland: Cecily Brown, eine der erfolgreichsten Künstlerinnen momentan, zeigt in München starke Bilder.
(Foto: PIN.)
Dorothée Wahl: Ja, Berlin und Köln sind kein Jota besser. Man hat das Gefühl, dass Deutschland diesbezüglich ein bisschen schläft. Cecily Brown, eine der gefragtesten zeitgenössischen Künstlerinnen überhaupt, hat ihre erste Ausstellung in Deutschland, hier bei uns. Aber die Unterstützung vonseiten der Politik ist einfach nicht da.
Frustriert Sie das?
Dorothée Wahl: Wir machen uns bemerkbar und scheuen uns auch nicht, mal ins Ministerium zu gehen, wenn ein Thema nicht genügend beachtet wird.
Ist die jährliche Auktion oder die jetzt anstehende Jubiläumsparty auch so was wie eine Belohnung für Sie?
Annette Stadler: Es ist viel Arbeit, aber klar macht es auch sehr viel Spaß. Im Moment haben wir viel mit der Vorbereitung der PIN.-Party am 16. September zu tun. Zum 20. Geburtstag der Pinakothek der Moderne ist jeder eingeladen. Da wird das Museum gefeiert und jede Eintrittskarte nimmt an einer Verlosung teil.
Mit Dorothée Wahl und Annette Stadler sprach Juliane Rohr
Kinder. Familie. Jugend zum Kunstvermittlungsprogramm geht es hier
Informationen zur PIN. Party am 16. September in der Pinakothek der Moderne, Barerstraße 2, Kunstareal München, und alles zum PIN.Freundeskreis
Quelle: ntv.de