Quentin Tarantinos Obsession Der Berufsjugendliche wird 50
27.03.2013, 13:32 Uhr
Quentin Tarantino wird schon 50.
Mit seinem zweiten Oscar in der Tasche feiert Quentin Tarantino seinen 50. Geburtstag. So alt schon? Man mag es kaum glauben. Aber der Regisseur hält sich ja mit Gewalt und Ironie jung. Das ist irgendwie typisch für seine Generation, die mit Pop und Fernsehen aufgewachsen ist.
Es ist ein Wunder, dass Tarantino keine viereckigen Augen hat. In seiner Zeit als Mitarbeiter einer Videothek in Manhattan Beach soll er ja so gut wie jeden Film gesehen haben, den er in die Finger bekam. Und das dürften eine Menge gewesen sein. Aus allen Genres, aus allen Ländern. Kein Wunder also, dass Tarantino als Filmfanatiker gilt.

"Pulp Fiction" mit John Travolta und Samuel L. Jackson: Ein Meisterwerk auch dank Tarantinos Filmbesessenheit.
(Foto: Kinowelt GmbH)
Seiner Karriere hat diese Besessenheit allerdings nicht geschadet. Eher im Gegenteil. Er ist schließlich nicht der erste Filmemacher, der sich bei seinen Vorgängern bedient, oder besser gesagt: ihnen Referenz erweist. Das hat in Hollywood durchaus Tradition. Doch Tarantino, der am 27. März seinen 50. Geburtstag feiert, gehört einer Generation an, die sich nicht darauf beschränkt, aus der Filmgeschichte zu zitieren. Sie wurde in die Popkultur hineingeboren und entsprechend von ihrer gesamten Vielfalt geprägt: Musik, Comics, Videospiele und Pop-Art waren fester Bestandteil ihrer Kindheit.
Tarantino nutzt das gerne aus: Er zitiert nicht nur unablässig aus allen möglichen Streifen, parodiert Genres und mixt, was ihm vor die Linse kommt. Nein, Tarantino sucht auch seinen Soundtrack sorgsam aus. Er mischt animierte Szenen in seine Spielfilme, eignet sich die Ästhetik von Videospielen an und erzählt gern verschachtelte Geschichten. Kein Wunder, dass er heute als einflussreichster Regisseur seiner Generation gilt. Gerade erst hat er für "Django Unchained" seinen zweiten Drehbuch-Oscar in Empfang genommen. Aber auch das Publikum liebt seine Filme - "Django Unchained" ist Tarantinos bisher größter Erfolg an den Kinokassen.
Klassiker, Trickfilme und B-Movies
Dieser überbordende Fundus, aus dem Tarantino immer wieder schöpft, muss natürlich irgendwo herkommen. Und eine dieser Quellen ist ausgerechnet das Fernsehen. Tarantino gehört zur ersten Generation, die mit der Mattscheibe aufgewachsen ist. Einer Generation, die zwar auch ins Kino ging, deren Hauptreferenz aber das Fernsehen wurde. Hier sahen sie nicht nur Kennedy, die Mondlandung und Nixons Rücktritt, sondern auch all die Klassiker des Hollywood-Kinos, jede Menge Serien und Trickfilme sowie reichlich B- und Genrefilme aus aller Herren Länder. Kein Wunder, dass Tarantinos Charaktere nicht selten selbst auf dem Sofa lümmeln und fernsehen, oder besser: sich berieseln lassen.

Tarantino mit seinem frühen Förderer: Harvey Weinstein brachte alle seine Filme ins Kino.
(Foto: Associated Press)
Zum Fernsehen gesellte sich ab Mitte der 70er Jahre die Videokassette. Man musste nun nicht mehr warten, bis ein Film endlich wieder einmal ins Kino kam - die gesamte Filmgeschichte, die glänzenden Höhepunkte und die schmutzigen Untiefen lagen im Laden, jederzeit griffbereit. Ein Traum für einen Filmfreak wie Tarantino, der folgerichtig in einer Videothek arbeitete. Aus dieser Menge an Material, aus den verschiedensten Einflüssen entstand sein Stil des Mixens und Wiederaufbereitens. Er ist damit natürlich nicht allein. Die Zitierwut ist ein Merkmal der Postmoderne, in der sich Werke innerhalb eines Referenzsystems bewegen, das zu entschlüsseln Aufgabe des Konsumenten ist. Das gilt für Thomas Pynchons Romane genauso wie für die Samples in der Musik von Beck, die Simpsons im Fernsehen oder eben Tarantino auf der Kinoleinwand.
Da braucht es schon eine gewisse Aufmerksamkeit, um seine Querverweise zu verstehen. Es sind Details. Da wären etwa die "Red Apple"-Zigaretten, die in seinen Filmen geraucht werden. Da wäre das "Acuna Boys Tex-Mex Food", die "Big Kahuna"-Burger oder "G.O. Juice". Das alles sind Marken, die Tarantino selbst entworfen hat und die in nahezu allen seinen Filmen auftauchen. Vic Vega aus "Reservoir Dogs" ist der Bruder von Vincent Vega aus "Pulp Fiction". Und man sollte sich nicht wundern, dass in "Death Proof" die Titelmelodie aus "Kill Bill" auftaucht. Tarantino liebt diese kleinen Anspielungen.
Doch die Zitate bleiben natürlich so nicht stehen. Sie werden ironisch gebrochen oder sarkastisch überhöht. Tarantino, der späte Baby Boomer, zeigt sich hier als Vertreter der nachfolgenden Generation. Es sind jene Kinder, die erstmals in der neueren Geschichte des Westens nicht den Lebensstandard ihrer Eltern erreichen werden. Die daraus resultierende düstere Weltsicht spiegelt sich in den Gewaltdarstellungen in Tarantinos Filmen. Da stehen Killer im Mittelpunkt, Kleinganoven und Draufgänger, Drogenabhängige, Perverse und Wracks. Menschen, die aus zerrütteten Familien stammen und wenig Aussicht auf ein geregeltes Leben in einer intakten Familie haben. Nicht zuletzt sind es Menschen, die in sogenannten McJobs arbeiten, in Fast-Food-Restaurants - oder eben Videotheken.

Tarantinos letzter Streich "Django Unchained" ist zumindest an den Kinokassen sein erfolgreichstes Werk.
(Foto: AP)
Und dargestellt werden sie von Tarantinos Helden. Denen aus seiner Kindheit, die auch schon bessere Tage erlebt haben. John Travolta war Ende der 70er Jahre ein großer Star, bevor seine Karriere einen Tiefflug erlebte. Mit "Pulp Fiction" erlebte er Anfang der 90er Jahre ein grandioses Comeback. Pam Grier war ein Star der Blaxploitation-Welle der 70er, Tarantino brachte sie mit "Jackie Brown" wieder ganz groß raus. Gleiches gilt für Kurt Russell in "Death Proof". David Carradine wiederum war in den 70ern als Kwai Chang Caine in der Fernsehserie "Kung Fu" ein Held für Tarantino. Mit "Kill Bill" setzte er ihm ein Denkmal. Dort traf er auf weitere in Vergessenheit geratene Stars wie Daryl Hannah, Karate-Darsteller Sonny Chiba und die Kung-Fu-Legende Gordon Liu.
Man weiß, was man bekommt
Die Masche, alternde Helden der Kindheit zu besetzen, ja, ihnen die Rollen auf den Leib zu schreiben, ist inzwischen nicht mehr selten. Sofia Coppola etwa hatte Billy Murray vor Augen, als sie "Lost in Translation" schrieb. Und im Oktober können sich deutsche Kinobesucher auf ein Wiedersehen mit Tony "Wer ist hier der Boss?" Danza freuen - in "Don Jon" von Joseph Gordon-Levitt.
Wobei es bei Tarantino die 70er Jahre sind, deren Atmosphäre seine großen Erfolge bestimmt: "Pulp Fiction", "Jackie Brown", "Kill Bill" und "Death Proof". Da wusste man, was man bekam: Tolle Musik, eine elegant verschachtelte Geschichte, versunkene Schauspielerhelden, obskure Kameraperspektiven, nackte Füße, den Blick aus dem Kofferraum und jede Menge Blut. Dass er sich damit irgendwann in eine Sackgasse manövriert hatte, merkte man allerdings an "Death Proof", der zwar mit netten Anspielungen und Spielereien auf das Genrekino der 70er Jahre aufwartete, aber ansonsten einfach zu stilistisch daherkam.
Mit seinen letzten beiden Filmen hat sich Tarantino in gewisser Weise davon befreit. Zwar basierte "Inglourious Basterds" sehr lose auf dem (fast) gleichnamigen italienischen Kriegsfilm aus den 70ern, doch mit dem historischen Setting betrat Tarantino Neuland - und gewann. Die Kritik jubelte, das Publikum war begeistert und Christoph Waltz bekam einen Oscar. Mit "Django Unchained" ging er diesen Weg weiter, mit fast identischem Ergebnis. Nur die Kritiken waren diesmal etwas verhaltener. Dafür griff Tarantino mit der Sklaverei ein heftig diskutiertes Thema auf, natürlich aufbereitet in seiner ganz eigenen Art.
Ist Tarantino also erwachsen geworden? Hat er sich gelöst von den zwanghaften Verweisen auf seine eigene Kindheit, auf seine Fernseh-und-Video-Sozialisation und seine Vorliebe für B-Filme und asiatischen Kampfsport? Hoffentlich nicht ganz! Denn seine Filme leben natürlich von jenem Hauch an Nostalgie, der sie umweht. Und sie treiben gerade deshalb eine ganze Generation in die Kinosäle. Seine Generation.
Quelle: ntv.de