"Vielen droht Altersarmut" Malton, Meyer, Charme, Preise - und eine Gewerkschaft
13.09.2024, 16:16 Uhr Artikel anhören
Hans Werner Meyer und Leslie Malton freuen sich über die Errungenschaften für die Kollegen.
(Foto: IMAGO/Eventpress)
Der Deutsche Schauspielpreis - kein Preis wie jeder andere. Der Bundesverband Schauspiel e.V., kurz BFFS, verleiht Preise für Leistungen vor und hinter der Kamera, auf und neben der Bühne, aber auch für Inspiration, Engagement und Lebenswerk. Die Auszeichnungen ehren Menschen, die sich um die Entwicklung der Schauspielkunst verdient gemacht haben. Dem Verband gehören laut eigenen Angaben mehr als 4300 Schauspieler in Deutschland an. Den Vorstand bilden Leslie Malton und Hans Werner Meyer. Mit den beiden sprach ntv.de im Hotel The Ritz Carlton Berlin über die Themen Gewerkschaft, Streik, Altersarmut und warum man einen Verband braucht, bei dem jede und jeder Hilfe, Unterstützung und Empowerment finden kann.
ntv.de: Fangen wir doch gleich mit den Errungenschaften der Schauspielgewerkschaft an …
Hans Werner Meyer: Die Anfänge waren nicht leicht, aber nicht, weil die Idee nicht ankam, sondern im Gegenteil. Wir sind quasi explodiert. Es war während der Berlinale 2006, wir wuchsen sofort von sieben auf 300 Mitglieder, inzwischen sind wir 4200. Und an jeder Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen in diesen letzten 18 Jahren war der BFFS maßgeblich beteiligt. Das kann man doch so sagen, oder Leslie?
Leslie Malton: (lacht) Auf jeden Fall. Wir haben viel erreicht.
Meyer: Der Zugang zum Arbeitslosengeld 1 zum Beispiel. Da wir ja als Schauspieler immer nur zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse haben, gelang es den allerwenigsten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld aufzubauen, obwohl wir hohe Arbeitslosenbeiträge abführen. Eine weitere Folge sind massive Lücken in unserem Sozialversicherungsverlauf. Vielen von uns droht Altersarmut. Auch, wenn man sich das immer nicht so gut vorstellen kann …
Malton: … weil wir mit großen Limousinen an den roten Teppich gefahren werden und dann schicke Kleider tragen. Aber die Limousinen gehören uns nicht, und die Kleider sind in der Regel geliehen.
Meyer: Deswegen arbeiten viele SchauspielerInnen auch bis weit über den Renteneintritt hinaus. Einerseits natürlich, weil sie gerne spielen, aber andererseits benötigen die meisten auch schlicht das Geld. Durch die von uns maßgeblich erreichte verkürzte Anwartschaftszeit, in der man innerhalb von zweieinhalb Jahren nur sechs Monate (180 Tage) sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nachweisen muss statt, wie üblich, zwölf Monate (360 Tage), haben nun immerhin deutlich mehr KollegInnen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, aber es sind immer noch zu wenige, und das Problem der Versicherungslücken ist damit noch nicht gelöst. Unser Mantra war von Anfang an und ist es immer noch: Verstetigung der Sozialversicherungspflicht.
Malton: Und das werden wir auch irgendwann erreichen, so wie die verkürzte Anwartschaft auf Arbeitslosengeld. Aber ich möchte noch etwas zum Thema Altersarmut sagen: Die meisten SchauspielerInnen scheuen sich, dieses Thema anzusprechen. Aus Schamgefühl. Sie empfinden es als Makel. Was es nicht ist, denn es kann jedem von uns passieren. Es gibt Hilfe, es gibt Möglichkeiten zu helfen, aber viele Kollegen trauen sich nicht, diese in Anspruch zu nehmen. Die Angst, dass es sich herumspricht, dass man finanzielle Nöte hat, ist sehr groß.
Meyer: Es geht uns auch nicht darum, Almosen zu verteilen, sondern wir wollen die Strukturen so weit verändern, dass wir von unserer Arbeit leben können und am sozialen Netz teilhaben, das wir, da wir beim Drehen innerhalb kurzer Zeiträume relativ viel Einkommen haben, mit hohen Beiträgen mitfinanzieren. Vor Gründung des BFFS gab es weder Tarifvereinbarungen mit den Arbeitgebern noch gemeinsame Vergütungsregeln mit den Verwertern. Ein geniales Alterssicherungsinstrument gab es zwar auch vorher schon, nämlich die Pensionskasse Rundfunk, aber viele Produktionsgesellschaften und einige Sender haben nicht eingezahlt.
Malton: Inzwischen haben wir tarif- und kollektivvertraglich geregelt, dass die allermeisten Player am Markt auch in die Pensionskasse einzahlen. Mit Netflix ist auch der erste Streamer dabei, das ist noch gar nicht so lange her, im vorletzten Jahr wurde diese Vereinbarung getroffen.
Meyer: Auch mit den anderen Verwertern haben wir entweder schon Verhandlungen geführt oder werden es in absehbarer Zeit tun. Denn wenn es keine kollektiven Vergütungsregeln gibt, die erfolgsbasierte Folgevergütungen regeln, die das Urheberrecht ja vorschreibt, werden diese in der Regel auch nicht gezahlt, während der Verwerter andererseits immer fürchten muss, dass jemand diese einklagt. Auch die Herausforderung unserer Tage, nämlich KI, ist derzeit Gegenstand unserer Tarifverhandlungen, die wir zusammen mit ver.di führen. Damit sind wir die erste Gewerkschaft in Deutschland, die über Regeln zum Umgang mit KI verhandelt.
Malton: Wir haben überdies die Deutsche Schauspielkasse gegründet, über die diese neu verhandelten Folgevergütungen verteilt werden, was im Übrigen auch jenen KollegInnen zugutekommt, die nicht Mitglieder im BFFS sind. Allerdings natürlich auch von allen anderen. Wir verbessern also die Lage aller SchauspielerInnen, auch für die, die keinen Beitrag dazu leisten, weil sie keine Mitglieder sind.
Da kann man also noch nachjustieren ...
Meyer: Sicher. Die finanziellen und sozialen Verbesserungen sind das eine, aber durch den BFFS hat sich auch das kollegiale Verhältnis unter den SchauspielerInnen verändert. Bevor der BFFS gegründet wurde, war das Bewusstsein, dass wir gemeinsame Interessen haben, nicht sehr verbreitet. Infolgedessen gab es einen sehr viel größeren Dünkel. Theaterschauspieler hatten ein höheres Ansehen als Seriendarsteller, verdienten aber natürlich deutlich weniger. Wer dann auch mal drehen wollte, musste damit rechnen, nicht mehr ernst genommen zu werden. Das hat sich komplett verändert. Inzwischen gilt jede schauspielerische Arbeit als eine akzeptable Art, sein Geld zu verdienen. Alle machen alles, und niemand hat ein Problem damit. Arbeit ist Arbeit.
Das Fernsehen hat einen neuen Stellenwert, oder?
Meyer: Das auch. Das Schimpfwort "Fernsehfuzzi" habe ich schon lange nicht mehr gehört (lacht). Und die Serie hat den Fernsehfilm als Königsdisziplin im Fernsehen ohnehin abgelöst.
Malton: Es ist eine Solidarität gewachsen, die es früher so nicht gab, denke ich. Das merkt man, wenn die Branche sich trifft, bei der Berlinale zum Beispiel, oder bei unserem wunderbaren Deutschen Schauspielpreis, dass die verschiedenen Spielgenres sich gegenseitig wahrnehmen, erleben und würdigen.
Hat sich auch Mann-Frau-mäßig etwas verbessert?
Malton & Meyer: Ja!
Meyer: Der BFFS ist ein Abbild der Gesellschaft, das kann man nicht anders sagen. Themen wie MeToo, Diversität und natürlich Geschlechtergerechtigkeit werden bei uns aber nicht nicht nur als Selbstzweck verhandelt, das Ziel sind immer konkrete Strukturveränderungen.
Malton: Neben dem Vorstand haben wir übrigens auf der Arbeitsebene sehr viele MitarbeiterInnen, die das, genau wie der Vorstand, alle ehrenamtlich tun. Wir haben unter anderem sogenannte Stammtisch-PatInnen in sieben Städten, die vor Ort Stammtische mit den drängenden Themen organisieren.
Und die Bezahlung?
Malton: Auf faires und gerechtes, auch familiengerechtes, Arbeiten legen wir großen Wert. Wir haben Gagenuntergrenzen etabliert und die Arbeitsbedingungen verbessert.
Die aber sicher immer noch eine gewisse Verhandlungssache sind, oder?
Meyer:Ja, der BFFS verhandelt in Tarifverträgen - neben allem, was Tarifverträge sonst noch regeln - bewusst nur Gagenuntergrenzen. Darüber hinaus ist die individuelle Gage auch individuelle Verhandlungssache. Aber jetzt ist diese Gagenuntergrenze bei Männern und Frauen gleich. Das war früher anders. Nicht nur im Fernsehen, sondern auch am Theater war es üblich, dass Männer mehr verdienten als Frauen. Auch da haben wir das, zumindest für die Gagenuntergrenzen, jetzt bei den letzten Tarifverhandlungen mit dem Bühnenverein (und gemeinsam mit der Gewerkschaft deutscher Bühnenangehöriger (GdBA) und dem Verband der Orchester (VdO)), im Jahr 2022 geändert.
Malton: Für uns ist wichtig, dass der Anfang stimmt. Wenn Produktionen versuchen, die Gagen extrem zu drücken, dann gehen wir dagegen an. Wir müssen natürlich auch darauf aufmerksam gemacht werden von unseren Kollegen.
Fühlen Frauen sich aufgrund der MeToo-Bewegung inzwischen sicherer, auch, wenn sie so einen beschützenden Dachverband, eine Gewerkschaft, haben, an den sie sich wenden können?
Malton: Das ist schön, dass Sie das sagen, ich denke ja. Ich hoffe es, denn es ist ein Anliegen von uns, dass die Kollegen zu uns kommen mit ihren beruflichen Sorgen und wir eine Lösung finden. Das ist ganz wichtig! Je mehr wir sind, desto mehr können wir erreichen. Und ich möchte nochmal betonen: Diese Arbeit ist ehrenamtlich, und wir erreichen dennoch ganz schön viel. Wir sind ein Ort, an dem den Mitgliedern unserer Zunft geholfen wird.
Meyer: Und wir haben die THEMIS gegründet, die überbetriebliche Vertrauensstelle für Opfer von sexueller Gewalt und sexuell konnotiertem Machtmissbrauch. Wir haben, wie gesagt, neue Strukturen geschaffen, und nur weil wir als Gewerkschaft eine gewisse Wirkungsmacht haben, können wir den Mitgliedern auch eine Art Zuhause bieten.
Bei "Gewerkschaft" fällt den meisten natürlich das Wort "Streik" ein ...
Meyer: Streik ist eine legitime Arbeitskampfmaßnahme. Wir haben auch schon gestreikt, und wenn es notwendig ist und die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dann können und werden wir das auch wieder tun. Im Moment ist das nicht der Fall. Es gibt aber neben dem Streik noch eine Reihe anderer Möglichkeiten, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dazu gehört, neben der Zusammenarbeit mit Schwestergewerkschaften wie ver.di und der GdBA z.B. auch der Schauspielpreis, den ich als eine Art "Charme-Offensive" bezeichnen würde: Wir laden unsere Sozialpartner ein, zeigen ihnen was und wer wir sind und auch, dass wir einiges auf die Beine stellen können. Letztlich erfordert ja beides Organisation, eine Party und ein Streik (lacht).
Malton: Streiken ist kein Selbstzweck. Wir wollen mit unseren Partnern zusammen in einer zivilisierten Art und Weise diskutieren, verhandeln und Fortschritte durchsetzen – notfalls auch mit Streiks.
Mit Leslie Malton und Hans-Werner Meyer sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de