Deutsche Elektro-Kreuzfahrt Der schwimmende Club
30.04.2017, 11:31 Uhr
Dimitri Vegas & Like Mike legen am Pooldeck auf.
(Foto: World Club Cruise)
Was Metaller und Schlager-Fans schon lange kennen, ist nun auch Freunden elektronischer Musik vergönnt. Im Klartest heißt das: Die erste Elektro-Kreuzfahrt einer deutschen Reederei sticht in See. An den Plattentellern stehen bekannte Gesichter.
Selbst für Robin Schulz gibt es keine Extra-Wurst. Als der Osnabrücker DJ am Dienstagabend am Kreuzfahrt-Terminal von Palma de Mallorca auf die "Mein Schiff 2" einschiffen will, muss er sich für das obligatorische Foto am Schalter von seinem Markenzeichen trennen: Cap und Sonnenbrille. Aber Schulz kennt das bereits. "Ich habe tatsächlich vor zwei Jahren schon mal auf einer Kreuzfahrt aufgelegt", sagt der 30-Jährige. "Holy Ship hat sich das Ganze genannt und wir sind von Miami aus gestartet. Das Konzept war ähnlich wie hier, eine Art Spring Break auf einem Kreuzfahrtschiff."
Mit "hier" meint Schulz die World Club Cruise, die erste Kreuzfahrt für elektronische Musik einer deutschen Reederei. Event-Kreuzfahrten wie die Full Metal Cruise oder der Rockliner mit Udo Lindenberg sind bei Tui Cruises längst Verkaufsschlager. Für die Elektro-Kreuzfahrt hat die Kreuzfahrtgesellschaft sich mit BigCityBeats zusammen getan. Einst als Radiosender gestartet, ist BigCityBeats inzwischen für das dreitägige EDM-Festival World Club Dome bekannt, das oft als "größter Club der Welt" bezeichnet wird. Nun gibt es eben auch einen schwimmenden Club. Neben Schulz legen unter anderem die belgischen Brüder Dimitri Vegas und Like Mike, der Berliner DJ Alle Farben und das Duo Gestört aber Geil auf.
Und während Schulz sich noch in seiner Juniorsuite einrichtet, ist die Party auf dem Pooldeck schon voll im Gange. Die Beats wummern so laut aus den Boxen, dass man sie vermutlich bis aufs spanische Festland hört. Es riecht nach Sonnencreme, Meer und Red Bull. "Das ist genau das, was die Leute gesucht haben", ist sich Sven aus Hamburg sicher. Früher sei er selbst viel auf Partys gewesen, aber seit er und seine Frau zwei kleine Kinder haben, geht das eben nicht mehr so oft. Die Kinder sind jetzt bei Oma und Opa. "Das Wetter ist geil, wir hängen schön auf dem Schiff ab, mit gleichgesinnten Leute – das wird super." Timon und Torge, beide 20, sind sich da nicht ganz so sicher. "Beim Einchecken waren vor uns nur Leute mit grauen Haaren und Paare", sagt Torge. "Erst dachte ich, wir sind auf einer Seniorenfahrt gelandet."
Auch ältere Semester an Bord
Aber warum sollen ältere Semester keine elektronische Musik mögen? Schließlich sind sie mit Kraftwerk und Can aufgewachsen. "Mein Mann ist großer Fan elektronischer Musik und mittlerweile gefällt mir das auch", sagt Kerstin aus Hamburg. "Unsere Bekannten waren alle ganz neidisch, dass wir hier mitfahren." Mit ihren 55 Jahren wäre Kerstin auf anderen Kreuzfahrten genau im Durchschnittsalter. Bei der World Club Cruise allerdings sind die Gäste im Schnitt 35. Eine gewisse Skepsis und daraus resultierende Grüppchenbildung ist an Bord durchaus zu spüren. Die Cool Kids üben sich im Schaulaufen, während die, die aus dem Raster fallen, auch schon mal mit kritischem Blick gemustert werden. Die harmonische Einheit, von der bei der Full Metal Cruise stets geschwärmt wird, die gibt es bei den Elektro-Fans offenbar (noch) nicht.

World Club Cruise findet auf Mein Schiff 2 statt. Hier liegt das Kreuzfahrtschiff im Hafen von Ibiza Stadt.
(Foto: World Club Cruise)
Gut ist die Stimmung natürlich trotzdem. Das Pooldeck bebt, als Dimitri Vegas und Like Mike auflegen. Zur "Fluch der Karibik"-Melodie spritzen die beiden Belgier Champagner ins Publikum. Ein Sinnbild dafür, dass DJs längst die Popstars von heute sind. Sie bekommen Gagen in Höhe eines Einfamilienhauses und düsen mit Privatjets durch die Weltgeschichte. Dimitri Vegas und Like Mike müssen heute noch weiter nach China. Deswegen geht es direkt nach ihrem Set aufs Lotsenboot und zurück nach Palma. "Zweieinhalb Monate haben wir das alles geplant, sogar die Regierung musste zustimmen", verrät Bernd Breiter, Geschäftsführer von BigCityBeats später. "Die beiden sind mit Schwimmweste und Strickleiter von Bord. Und meinten dabei, dass BigCityBeats es immer wieder schafft, Dinge zu machen, die sie nicht vergessen."
Während es im Laufe der nächsten drei Tage über Barcelona nach Ibiza und zurück nach Mallorca geht, kann man den Star-DJs auch schon mal ganz nahe kommen. Robin Schulz treffen wir im Buffetrestaurant Anckelmannsplatz. Auf dem Weg zum Klo macht er ein paar Selfies mit Fans, einer lässt sich den Glatzkopf signieren. Auch Gestört aber Geil mischen sich unters Volk. "Oft müssen wir nach einem Gig sofort weiter. Hier können wir noch ein bisschen mit den Leuten abhängen. Das ist echt schön, auch für uns", sagt Spike*D. "Jetzt wo wir mit unserem Set durch sind, gehen wir selber Party machen."
207 Stunden Musik
207 Stunden Musik gibt es an Bord – da ist für jeden etwas dabei. Wer eher auf entspannte Beats steht, findet die bei Dre Guazzelli, Daniel Lopergolo oder Paul Lomax, die ihre Sets auch schon mal mit Live-Gesang, Saxophon und E-Geige untermalen lassen. Harten Techno gibt’s meist spät nachts, zum Beispiel von Talla 2XLC, und Hypercat bringt zu seinen Electro-House-Sets eine ravende Katze mit. Dass das Pooldeck wegen Regen zwischenzeitlich geschlossen werden muss, kann die Laune der 1.922 Passagiere nicht trüben. Auch im Theater oder den kleinen Bars ist die Stimmung bestens. Es gibt ja genug Treibstoff: 1.400 Flaschen Sekt und 400 Flaschen Champagner gehen im Laufe der Reise über den Tresen, dazu 10.000 Liter Fassbier und 2.000 Flaschen Spirituosen. Wie es mit anderen Substanzen aussieht? Gute Frage. Wie bei jeder Kreuzfahrt gab es am Check-In Spürhunde, aber können die eigentlich synthetische Drogen riechen?
So oder so, auch wenn manch einer an Bord über die Stränge schlägt – Gerüchte von einer Schlägerei machen die Runde, ein Gast muss das Schiff im Laufe der Reise verlassen – entsteht keineswegs der Eindruck, als sei hier ein ganzes Schiff auf irgendwelchen Pillen. Im Gegenteil: Je weiter die Reise fortschreitet, desto mehr weichen die Vorurteile einer gegenseitigen Toleranz. Man kommt ins Gespräch. "Auch die älteren Leute sind zum Feiern da", hat Torge inzwischen herausgefunden. "Gestern habe ich mit einem an der Bar gesoffen, der war mindestens 70 oder 75, aber echt cool drauf." In Wirklichkeit ist er erst 58, aber gut. Er heißt Diego und war, so sagt er, "bis vor vier Jahren der typische Deutsche. Ich habe 30 Kilo mehr gewogen, bin nie in einen Club gegangen und habe WDR 2 gehört." Als er ein Foto von sich selbst mit freiem Oberkörper sah, habe es Klick gemacht. "2011 haben meine Frau und ich uns neu erfunden. Wir waren schon oft auf Kreuzfahrten, aber da war die Disco immer leer. Ich finde es toll, dass Tui sich jetzt diese Elektro-Kreuzfahrt getraut hat. Das ist mal etwas anderes." Eine Fortsetzung sei laut Bernd Breiter und Tui Cruises übrigens durchaus denkbar. Diego würde wieder mitfahren. Und Torge, Timon, Sven und Kerstin auch.
Quelle: ntv.de