Unterhaltung

Kerngesund statt Kopfschmerzen Lena für immer? Aber sichi!

Komm doch mal rüber, Mann, und setz Dich zu mir hin - weil ich ein Mädchen bin.

Komm doch mal rüber, Mann, und setz Dich zu mir hin - weil ich ein Mädchen bin.

Deutschland ist kerngesund – zumindest, wenn es um Lena geht. Ihr Sieg beim Eurovision Song Contest hat wenigstens für kurze Zeit über die kranke Wirklichkeit aus Koalitions-Desaster, Euro-Debakel und Pleite-Griechen hinweg getröstet. Wenigstens so lang, bis unser Tschüssikowski-Präsident Hotte meinte, Lena die Show stehlen zu müssen. Eine Antwort auf Jochen Müter.

Das Lena-Fieber macht Sie krank? Dann nehmen Sie statt einer Paracetamol doch gleich eine ganze Packung. Und schütten Sie noch ein Glas Schnaps hinterher. Vielleicht kommen Sie dann ja wieder zur Besinnung.

Was ist passiert? Deutschland hat am vergangenen Samstag den Eurovision Song Contest in Oslo gewonnen. Erstmals seit 28 Jahren. Erstmals seit Nicoles "Ein bisschen Frieden". Und in der mittlerweile 55-jährigen Grand-Prix-Geschichte überhaupt erst zum zweiten Mal.

Klar, der Song Contest ist in erster Linie Entertainment. Allein die "political correctness" gebietet es, ihn nicht mit Bomben im Gazastreifen, Öl im Golf von Mexiko oder Steuerdebatten in der Koalition (wobei man sich hier nicht ganz sicher sein kann) gleichzusetzen. Das würde bei der Fußball-WM ja auch keiner machen. Aber: Sollten Jogis Jungs den Pott nach Hause holen, wird Deutschland im Ausnahme-Zustand sein. Und das zu Recht.

Das Märchen von Oslo

Mit dem Gewinn des Song Contests hat Deutschland auf einen Schlag gleich zwei scheinbar unauslöschbare Makel abgestreift. Zum einen den, bis in alle Ewigkeit mit Nicoles 80er-Jahre-Haircrime, ihrem spießig-biederen Rüschenkleidchen und dem dumpfbackig-naiven "Ein bisschen Frieden" identifiziert zu werden. Zum anderen den ungleich Wichtigeren, den Grand Prix einfach nicht gewinnen zu können, weil niemand in Europa Deutschland so richtig leiden kann.

Stimmung wie bei der WM: Lena-Fans in Hannover.

Stimmung wie bei der WM: Lena-Fans in Hannover.

(Foto: picture alliance / dpa)

Insofern ist der Sieg in Oslo ein bisschen vergleichbar mit der Fußball-WM. Und zwar mit der von 2006 in Deutschland. Das damalige "Sommermärchen" bestand doch vor allem darin, dass das Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" wahr geworden zu sein schien. Die Welt war baff, wie fröhlich und ausgelassen die "Krauts" doch feiern konnten. Und so mancher Kommentator war perplex, wie unverkrampft und unkompliziert es auf einmal war, schwarz-rot-goldene Flagge zu zeigen.

K.o. für Klitschko

Wer den Grand Prix als Witzveranstaltung für "Hardcore-Fans auf dem Hamburger Kiez" abtut, wird dem nicht gerecht. 2009 etwa sahen immerhin mehr als sieben Millionen Menschen zu, und das, OBWOHL die ARD-Oberen mit Alex Christensen da nun wirklich einen peinlichen Superproll ins Finale entsandt hatten. Das entspricht in etwa der Durchschnittsschar, die der "Tatort" zur besten Sendezeit erreicht. Aber vermutlich wird ja auch der nur von Strichern und zwielichtigen Boxpromotern geguckt ...

In diesem Jahr brach der Song Contest sogar fast alle Rekorde: Mehr als 20 Millionen Deutsche verfolgten den deutschen Sieg vor den Fernsehgeräten. Damit klatschte der Grand Prix quotenmäßig das Testspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft genauso locker weg wie den parallel laufenden WM-Kampf von Vitali Klitschko. Aber für letzteren interessierten sich vermutlich ohnehin nur ein paar zwielichtige Boxpromoter auf dem Hamburger Kiez.

Willkommen in der Neuzeit

Womit wir bei Lena sind. Denn tatsächlich ist das alles nahezu ausschließlich jener 19-Jährigen aus Hannover zu verdanken.

Ausgedientes Frauenbild: Nicole bei ihrem Grand-Prix-Auftritt 1982.

Ausgedientes Frauenbild: Nicole bei ihrem Grand-Prix-Auftritt 1982.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Keine Frage: Niemand sollte das Mädchen als etwas "unfassbar Einzigartiges" überhöhen. Gleichwohl ist schlicht nicht wegzuleugnen, dass sie es binnen kürzester Zeit geschafft hat, erst Deutschland und dann Europa um den Finger zu wickeln. Vermutlich weniger, weil sie eine ganz normale 19-Jährige ist, als vielmehr, weil sie es trotz des ganzen Rummels um sie geblieben ist. Oder zumindest verdammt gut so tut.

Wer sie jedenfalls im Wissen, dass sie gerade erst von rund 125 Millionen Zuschauern in ganz Europa auf den Grand-Prix-Thron gehoben wurde, als x-beliebige Göre aus der Nachbarschaft beschreibt, wird auch ihr nicht gerecht. Man könnte auch sagen: Wahngehalt 120 Prozent. Oder: "Typisch deutsch". Alles mal madig machen. Ungefähr so spießig-bieder wie Nicoles Rüschenkleid. Denn tatsächlich könnte man das "verrückte Huhn" Lena auch so charakterisieren: als modernen und emanzipierten Gegenentwurf einer jungen Frau zum altbackenen Mädchenbild einer Nicole im Kirchentags-Style der 80er Jahre.

Hören und Staunen

Schließlich sollten wir noch ein bisschen über Musik reden. Klar: Der Eurovision Song Contest ist in der Regel nicht unbedingt ein Mekka für musikalisches Frischgemüse. Seinen Reiz bezieht er zweifelsohne nicht zuletzt aus Spaß an der Nostalgie, am Trash und am Wettbewerbsgedanken. Gleichwohl lässt sich nicht alles dort Dargebotene über einen Kamm scheren.

Nicht zuletzt war es in der Vergangenheit der Grand Prix, der so manche Ohren auch für kulturell andersartige Klänge geöffnet hat. Auch wenn der Trend in den vergangenen Jahren immer stärker in Richtung westlichen Mainstream-Pops ging – andersartige Anklänge lassen sich trotzdem noch immer finden.

Ja, der ist echt: Milan Stankovic.

Ja, der ist echt: Milan Stankovic.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Eurovisions-Songs dabei pauschal "mindere Qualität" zu bescheinigen, ist engstirnig. Schon mal MTV Türkiye oder auf dem Balkan MTV Adria gesehen? Die Songs hören sich für unsere Ohren grausam bis stark gewöhnungsbedürftig an, die dort gezeigten Sänger und Bands kennt in Deutschland zumeist kein Mensch. So etwa den in diesem Jahr für Serbien angetretenen Milan Stankovic. Diese lebendige Kreuzung aus Barbie und Ken sorgt beim Durchschnittsdeutschen vermutlich für ein Lächeln bis Kopfschütteln. Auf dem Balkan indes ist er ein Star. Andere Länder, andere Sitten.

Und auch Lenas "Satellite" muss man ja nicht unbedingt mögen oder für den letzten musikalischen Schluss halten. Ihm aber seinen Platz in der Pophistorie streitig zu machen, ist geradezu dreist. Den hat es längst. Nach den Rekordverkäufen in Deutschland stürmte der Song auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern die Hitparaden und erklomm Platz 1 der Euro-Top-100. Fakt ist: "Satellite" hat Charts-Geschichte geschrieben.

Kennen Sie Horst?

Ob Lena und Stefan Raab sich nun mit der Idee, 2011 erneut anzutreten, einen Gefallen tun, darf angesichts dieses Erfolgs allerdings tatsächlich bezweifelt werden. Vielleicht sind es wirklich Allmachtsphantasien, die Stefan Raab umtreiben. Vielleicht verfolgt er ja aber auch den Masterplan. Wie wäre es mit einem Duett von Lena und Nicole? Das dürfte lustig werden.

Möglicherweise geht es ja aber auch genau darum, den Hype, der mittlerweile um die 19-Jährige aufgebaut wurde, bewusst zu brechen. Lena, das normale Mädchen, das halt auch verlieren könnte und auf einen Mythos-Status verzichtet. Eben, um es mit Lena zu sagen: "Kein Grund, jetzt durchzudrehen."

Eines jedenfalls steht außer Frage: Das Mediengetöse um Lena hätte sicher noch länger angehalten, wäre da nicht Horst Köhler als Bundespräsident zurückgetreten. Doch auch wenn der Ex-Präsi nun die Schlagzeilen bestimmt, spätestens nach der Wahl seines Nachfolgers und der Fußball-WM werden viele Deutsche wieder fragen: Horst … wer? Zugleich werden sie dann aber immer noch wissen, dass Lena mit Nachnamen Meyer-Landrut heißt. Wetten? Ich setze eine Packung Paracetamol und 'ne Flasche Schnaps.

Lesen Sie hier den Kommentar von Jochen Müter: Raab greift nach der Macht - Lena? Sichi! Aber nicht für immer!

Quelle: ntv.de

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