Experimental-"Tatort" mit Tukur Murot, der Selbstmörder?
19.11.2016, 17:53 Uhr
Fährt einen Serienmörder (Jens Harzer) durch die Stadt: Kommissar Murot (Ulrich Tukur).
(Foto: HR)
Tarantinoeske Schießereien, Unterhaltungen mit einem Hirntumor, eine Abrechnung mit dem deutschen Filmbetrieb: An Ideen mangelt es den "Tatorten" mit Tukur nicht. Diesmal lässt sich Kommissar Murot mit einem menschenliebenden Serienmörder ein.
Kommissar Murot (Ulrich Tukur) sitzt allein zu Hause auf der Couch, in der einen Hand den Whiskytumbler, in der anderen die Dienstwaffe, die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Es ist die Leere, die sich nach jedem gelösten Fall in dem LKA-Ermittler ausbreitet - je spektakulärer der Fall, desto größer ist sie. Viel spektakulärer als die Festnahme eines Serienmörders vor wenigen Stunden wird es nicht mehr - und deswegen steht Murot wenig später auf dem Dach seines Altbaus, die Fußspitzen schon in der Luft, und guckt in den Abgrund. Kommissar Murot ist des Lebens müde - aber beenden wird er es heute noch nicht.
Was ist uns nicht schon alles zugemutet worden in den Wiesbadener "Tatorten": Von Murots Zwiegesprächen mit seinem Hirntumor über tarantinoeske Massenschießereien bis hin zur gnadenlosen Krimi-im-Krimi-Abrechnung des deutschen Filmbetriebs. So grundlegend unterschiedlich jeder einzelne dieser Tukur-"Tatorte" ist, eines haben sie doch alle gemeinsam: Sie sind unfassbar gut.
"Es lebe der Tod" geht tief unter die Haut
Dass auch "Es lebe der Tod" in dieser Liga mitspielt, wird schon zu Beginn klar, als Murot den Serienmörder Steinmetz (Jens Harzer) überführt: Regisseur Sebastian Marka schiebt den Plot so unfassbar ruhig und gleichzeitig bedrohlich durch den strömenden Wiesbadener Regen, dass sich allein beim Zuschauen die Nackenhaare aufstellen. Als der ganze Spuk nach zwanzig Minuten überstanden scheint, ahnen Murot-Kenner bereits, dass das dicke Ende noch kommen muss.
Und tatsächlich, Steinmetz' Festnahme ist lediglich der Auftakt zu einer verstörenden Reise in die Abgründe der Seele eines Mannes, der eine ganz eigene, perverse Vorstellung von Menschenliebe hat. Murot selbst steht, ohne zu viel verraten zu wollen, im Zentrum dieser verdrehten Zuneigung und muss am Ende des Films die vielleicht folgenschwerste Entscheidung des ablaufenden Krimijahres treffen.
Dass man als Zuschauer nach dem Abspann noch minutenlang wie paralysiert vor dem Bildschirm sitzt, ist dem grandiosen Zusammenspiel aller Beteiligten zu verdanken: Bis zum letzten Nebendarsteller ist ausnahmslos jede Rolle perfekt besetzt, Drehbuchautor Erol Yesilkaya hat in bester Wiesbadener "Tatort"-Manier gleich mehrere doppelte Böden eingezogen und die moralischen Verwerfungen, die "Es lebe der Tod" thematisiert, gehen tief unter die Haut. Am Ende bleiben viele Fragen offen, nur eines ist wie in den Vorjahren sicher: Ulrich Tukurs neuester Experimentalkrimi ist mal wieder eines der unbestrittenen Highlights des "Tatort"-Jahres.
Quelle: ntv.de