Lindholm-"Tatort" im Wurstmilieu Reinbeißen und tot fühlen
07.12.2014, 21:43 Uhr
Tödliche Falle? Lindholm im Virenbad.
(Foto: NDR/Christine Schroeder)
Wenn ein charmanter Unternehmer Spitzenwurst zu Spottpreisen anbietet, dann kann in der Gleichung irgendwas nicht stimmen. Anders als im neuen "Tatort", in dem stimmt fast alles - und Maria Furtwängler feiert zwei Jahre nach ihrem letzten Fall ein grandioses Comeback.
Jan-Peter Landmann hat nicht nur den perfekten Nachnamen für einen Metzger, sondern auch noch ein dazugehöriges Wurstimperium, tonnenweise Geld, gute Kontakte zur Politik und einen Chauffeur mit einer Kugel im Kopf - erschossen an Landmanns Stelle, weil der lieber selbst fuhr und dabei laut Frank Sinatra trällerte. Die Kamera hält drauf, das Auge des Chauffeurs ist matsch und Maria Furtwängler darf nach zwei Jahren Abstinenz endlich wieder in einem "Tatort" ermitteln.
Dass die Eingangsszene zugleich auch die brutalste im ganzen Film ist, spricht ungemein für den neuen Fall aus Niedersachsen und ist alles andere als selbstverständlich. Schließlich dreht sich in "Der sanfte Tod" alles um die unappetitlichen Abgründe der Massentierhaltung, da bieten sich Schockerszenen aus der Schlachtfabrik geradezu an. Regisseur Alexander Adolph aber treibt dem Zuschauer mit visuellen Andeutungen und der kalten Logik des Kapitalismus einen nachhaltigeren Ekel durch die Adern, als es die plumpe Zurschaustellung des Schlachtalltags könnte.
"Fleisch ist demokratisch"

Schreckt nicht mal vor Gewalt am eigenen Neffen zurück: Landmann (r.).
(Foto: NDR/Christine Schroeder)
"Unsere Gesellschaft besteht aus zwei Teilen. Aus denen, die gut essen und aus denen, die billig essen. Ich mache billiges Fleisch und billige Wurst. Aber beides schmeckt spitze", sagt Landmann, gespielt von Heino Ferch. Dass das einen Preis hat, der nicht in Euro zu bemessen ist, versteht sich von selbst - das weiß auch Charlotte Lindholm. Die Hauptkommissarin sieht schon bald eine Verbindung zwischen den Produktionsbedingungen in Landmanns Wurstfabrik und dem Mord am Chauffeur, steckt aber in einer moralischen Zwickmühle: Denn der charmante Unternehmer, wie Lindholm alleinerziehend und ziemlich taff, wirbt ganz unverhohlen und nicht einmal plump um sie.
Dass es sich Landmann dann aber doch mit der Kommissarin verbaut, liegt nicht etwa an etwaigem verdächtigem Benehmen, sondern an seiner Angewohnheit, alles und alle kaufen zu wollen. Bei den meisten seiner Mitmenschen, Lindholms Vorgesetztem eingeschlossen, scheint das auch ganz prima zu klappen. Nur die Kommissarin treibt er mit seinem Gebaren immer weiter von sich fort, bis er sie schließlich zur Feindin hat.
Furtwängler und Ferch machen ihre Sache ausgezeichnet: Lindholm und Landmann in ihren ganz persönlichen Abgrund strudeln zu sehen, ist ein wahres Vergnügen. Und Bibiana Beglau als sanft durchgeknallte Aushilfs-Kommissarin Bär zeigt, warum sie den Titel "(Theater-)Schauspielerin des Jahres 2014" mehr als verdient hat: Eine Ex-Sachbearbeiterin mit Wortfindungsstörungen und Hang zur Metaphysik ("Dies könnte ein Feld sein, ist es aber nicht.") muss man erst mal glaubhaft spielen können.
Der einprägsame Soundtrack zwischen Sinatra, Wagner und einem wahrhaft gruseligen Synthesizer-Kinderchor sowie die surreale Bildsprache tun ihr Übriges, um aus "Der sanfte Tod" einen intensiven Film zu machen, der Eindruck hinterlässt. Dieser "Tatort" sticht zusammen mit den anderen Brillanten der jüngeren Vergangenheit aus dem Einheitsmeer der Sonntagabendunterhaltung heraus, allein schon wegen seiner Zitate.
"Wissen Sie, wir sind Bauern, meine Mutter war 20 Jahre im Laden, und ich habe während des Studiums noch selbst geschlachtet. Für mich ist Fleisch ein Genussmittel, so wie für andere Zigarren oder Champagner. Nur, dass Fleisch für alle da ist. Fleisch ist demokratisch", sagt Landmann. Wieder was gelernt.
Quelle: ntv.de