"Jakob, bitte spül' nicht!" Schwerdtfegers Kunstcomedy: Erotisch und abwegig
21.01.2024, 12:33 Uhr Artikel anhören
Kunst kann komisch sein - mit Jakob Schwerdtfeger, dem nach eigener Aussage ersten Kunstcomedian.
(Foto: Dennis Christmann)
Hau raus. Egal, ob es um Erotisches, Ekliges oder Abwegiges geht. Kunst ist nicht langweilig oder elitärer Kram. Wenn Jakob Schwerdtfeger Kunst mit Sex, Schimmel oder Stuhlgang verbindet, darf gelacht werden. Hau raus, das könnte der Leitspruch des Comedians sein, der zugleich Kunsthistoriker ist. Der 35-Jährige hat mit seinem Buch "Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Kunst" einen Bestseller gelandet. Das Werk geht in die vierte Auflage, was ihn selbst am meisten überrascht. Dabei ist es eigentlich kein Wunder, denn - Achtung! - Schwerdtfeger beweist, dass Kunst lustig und zugleich lehrreich sein kann. Der gebürtige Hannoveraner kann das übrigens nicht nur zwischen Buchdeckeln und auf der Bühne, sondern auch auf Instagram, für Museen in Hamburg oder Düsseldorf und den Podcast "Kunstsnack". Ein Gespräch über harte Leichtigkeit, eine gewagte Kündigung, nervigen Kunstsprech, seine größte Leidenschaft und warum alle Bock auf Kunst haben sollten.
ntv.de: Sie verpacken Kunst in Comedy, das ist neu, anders und ziemlich gut. Wo nehmen Sie die Chuzpe her?
Jakob Schwerdtfeger: Ich laufe nicht durch Museen und lache mich tot. Da steckt unheimlich viel Arbeit und Recherche dahinter, wie immer bei Comedy. Über die Jahre habe ich ein Näschen dafür entwickelt, wie ich einen Ausstellungskatalog lese. Selbst in trockensten wissenschaftlichen Abhandlungen verstecken sich absurde Anekdoten.
Geben Sie mal ein Beispiel, wie Sie Ihre Funfacts finden?
Karoline Luise von Baden war eine Markgräfin und Kunstsammlerin aus dem 18. Jahrhundert. Über die habe ich einen langweiligen Aufsatz gelesen. Darin ging es um ihre Bildung, ihr wissenschaftliches Interesse und so weiter. Und plötzlich steht da, sie hätte den Stuhlgang ihres Sohnes untersucht. Bitte was? Das steht da ganz trocken, als wäre das völlig normal. Da werde ich hellhörig und überlege mir, wie es wäre, wenn meine Mutter das bei mir gemacht hätte. Nach dem Motto: "Jakob, bitte spül nicht, ich brauch' das noch." Das hat was von Helikoptermutter 2.0. Ich transferiere den Fakt also auf mein Leben und das wirkt dann hoffentlich lustig.
Die Sache mit der Leichtigkeit in Ihrem Werk klingt ziemlich einfach …
Das ist wie beim Fußball, wenn man dribbelt - es ist Übung und hartes Training. Am Ende finde ich immer irgendwo eine Stelle, die witzig ist. Aber das dauert und ist immense Denkarbeit. Ich versuche, Kunst nicht nur als wissenschaftliches Ding zu betrachten. Ich überlege, was berührt mich und denke mir kleine Witze zu den Arbeiten aus.
Sie behaupten, dass Sie der erste Kunstcomedian sind. Warum hatte vor Ihnen noch keiner die Idee, Kunst aus seinem Elfenbeinturm zu befreien?
Kunsthistoriker mit Humor gibt es nicht so viele. Ich glaube, da ist diese völlig übertriebene Ehrfurcht vor der Kunstgeschichte. Das nervt mich und stößt viele Leute einfach ab. Ich richte mich an den Mainstream. Wie erreiche ich den? Mit guten Geschichten und Humor. Das Risiko zu scheitern ist groß, daher hat das noch keiner gemacht.
Und Sie hatten keine Angst?
Schon während meines Studiums habe ich abends als Stand-up-Comedian gearbeitet. Ich glaube, es gibt keinen Kunsthistoriker, der seit zwölf Jahren auf der Bühne steht und mit Witzen Kunst vermittelt. Ich möchte mit dem Elitären brechen. Dieser hochgestochene "Kunstsprech" und die meisten Wandtexte in den Museen regen mich auf. Es geht doch nicht darum, zu zeigen, wie schlau man ist. Wobei ich gestehen muss, dass ich gerade erst alte Museumstexte aus dem Frankfurter Städel von mir gelesen habe und die waren genauso schrecklich. Dafür schäme ich mich, auch, weil ich auf der Bühne immer darüber meckere.
Ihr Buch wimmelt nur so vor steilen Thesen wie "Museen sind voller Müll", "Abstrakte Kunst muss man nicht verstehen", "Ohne Hype kein Meisterwerk". Gleichzeitig schreiben Sie auch, man solle KünstlerInnen nicht alles glauben. Ihnen aber schon?
(lacht) Ja. Alles ist sauber recherchiert und nur, weil etwas lustig ist, ist es nicht falsch. Ich mache Edutainment, das ist lustig und informativ. Die meisten Künstlerbiografien sind nun mal crazy.
Das betrifft auch von Ihnen benannte Mythen wie das abgeschnittene Ohr von van Gogh.
In der Szene tummeln sich viele verrückte Vögel, Menschen, die nicht der Norm entsprechen wollen. Kunst ist voller Entertainment und Bescheuertheit. Gibt es dieses Wort überhaupt? Mein Buch soll ein Türöffner in die Kunstwelt sein. Im Herbst gehe ich mit meinem neuen Comedy-Programm auf Tour und das dreht sich ausschließlich um Kunst.
Bekommen Sie aus der Kunstwelt Gegenwind oder mögen alle, was Sie machen?
Ich bekomme wenig Kritik, aber Museen haben leider übertrieben oft Angst vor Humor. Dass ich die Anekdoten nicht aus der Hüfte schieße, ist den Menschen in der Kunstwelt klar. Über das Thema, was Abstraktion im Alltag ist, grüble ich tagelang nach. Wo begegnet uns diese Dynamik von Kunst im Alltag? Schließlich kam ich auf den Vergleich mit dem Nike-Logo, diesem ikonischen "swoosh", den alle kennen. Dieses Logo ist auch abstrakt, aber die Leute haben weniger Schwierigkeiten damit.
Ihr Buch liest sich entspannt und mühelos. Mit Häppchen für den Partytalk und jeder Menge Fakten bedienen Sie Kunstbanausen und -enthusiasten. Sie haben in Frankfurt Kunstgeschichte studiert, leben und arbeiten dort. Was hat Sie in die Comedyszene getrieben - die Aussicht auf bessere Bezahlung?
Zwischendurch habe ich zusätzlich Lehramt studiert, weil ich wusste, wie mager die Verdienstmöglichkeiten in der Kunstbranche sind. Ich hatte dann tatsächlich einen unbefristeten Vertrag im Frankfurter Städel ergattert und es war eher waghalsig, den Job zu kündigen. Aber die Strukturen im Museum waren mir zu eng und 2019 habe ich den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Als ich endlich mein erstes Soloprogramm starten wollte, kam die Pandemie.
Da kam Ihnen die Idee zu "Ich sehe was, was du nicht siehst …"?
Auch. Den ersten Lockdown fand ich eher finster. Alle haben eine Runde entschleunigt, während ich mich komplett neu erfinden musste. Ich habe in meinem Wohnzimmer ständig kleine Filme produziert. Inzwischen bin ich auf Instagram sehr aktiv, mache Videos für verschiedene Museen und produziere einen Podcast. Das Buch war eine logische Folge, da ich über die Jahre so gutes Material gesammelt habe. Mit 150 Kunstwerken, die ich bespreche, habe ich mein eigenes imaginäres Museum geschaffen. Da hängen Werke nebeneinander, die so nie nebeneinander hängen würden. Als Comedian darf ich aus der Reihe tanzen und bin so was wie der Hofnarr, dabei erzähle ich, wie schon gesagt, keinen Quatsch.
Apropos Hofnarr - waren Sie schon als Klassenclown unterwegs, der gerne im Mittelpunkt steht?
Ich habe es sehr genossen, als Student Führungen im Städel-Museum zu geben. Und ja, schon in der Schule war ich gerne der Klassenclown. Wenn ich heute auf der Bühne stehe und Menschen zum Lachen bringen kann, ist das für mich Endorphin pur und kann durch nichts ersetzt werden. Inzwischen sind Museen für mich ein Ruhepol, ich liebe es, allein herumzugehen. Seit ich beruflich als Comedian unterwegs bin, kann ich auch bei Familie oder Freunden einen Gang runterschalten.
Was ist Ihre größere Leidenschaft: Kunst oder Comedy?
Ich gehe in Museen, lese viel über Kunst und beschäftige mich permanent damit. Comedy ist mein Job und Humor ist unfassbar arbeitsintensiv. Wenn Sie mich so fragen, ist Kunst die größere Leidenschaft. Humor als Weltbewältigung ist in meinem Leben schon immer ein Thema. Humor ist ein Wesenszug, den ich mit Kunst zusammenbringe.
Was hat Ihnen so große Lust auf Kunst gemacht?
Sie war immer Teil meines Lebens, auch weil mein Großvater Künstler war. Ich bin mit seinen abstrakten Werken aufgewachsen. Ich muss Kunst nicht verstehen, damit sie mich berührt. Ich war als Kind viel in Museen, aber wirklich beeindruckt hat mich als 15-Jähriger ein Van-Gogh-Landschaftsbild. Auf den ersten Blick dachte ich: "Was für ein langweiliges Motiv." Dann entdeckte ich die Dynamik, den Schwung, mit dem er gemalt hat. Krass, wie viel Energie in einem Bild stecken kann. Das ist ein Tor zu einer anderen Welt - einer, die man eigentlich nicht malen kann.
Sind diese anderen Welten für Sie ein Hauptgrund, Menschen ins Museum zu schicken, die noch nie da waren?
Das mag jetzt pathetisch klingen, aber ich glaube wirklich, dass wir in einer besseren Welt leben würden, wenn sich mehr Menschen für Kunst interessieren würden. Sie lehrt uns, die Welt mit anderen Augen zu sehen, zu hinterfragen und macht uns einfühlsamer.
Mit Jacob Schwerdtfeger sprach Juliane Rohr
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Quelle: ntv.de