Wann sind wir da? "Taxi nach Leipzig" reloaded
12.11.2016, 14:33 Uhr
Florian Bartholomäi, Maria Furtwängler und Axel Milberg bei einem Fototermin für : "Taxi nach Leipzig".
(Foto: 20161004)
Für den 1000. "Tatort" steckt man Borowski und Lindholm zu einem aus der Spur geratenen Kriegsveteranen ins "Taxi nach Leipzig". Die schnöde Erkenntnis der Neuauflage des Trimmel-Klassikers von 1970: Trinkgeld gibt es dafür nicht. Ein Blick zurück.
Das sagenumwobene "Taxi nach Leipzig" - via "Trivial Pursuit", "Wer wird Millionär" und sonstigen Quiz-Formaten immer mal wieder exhumiert - ist natürlich längst Allgemeinwissen: Der Fall mit Hauptkommissar Trimmel (Walter Richter), ausgestrahlt am 29. November 1970 und ursprünglich gar nicht als Teil der Serie geplant, war die Premieren-Folge des TV-Dauerbrenners schlechthin im deutschsprachigen Raum.
Von Autor Gunther Witte einst als "Stahlnetz"-Nachfolger und Konkurrenz-Programm zum ZDF-Erfolgsformat "Der Kommissar" konzipiert, war das Interesse der Sendeanstalten, die reihum für Folgen sorgen sollten, zu Beginn noch verhalten. Mit den ersten Monaten der Ausstrahlung konsolidierte sich die Krimi-Serie jedoch schließlich und geriet zum Erfolg. Im übersichtlichen TV-Segment schwang sich der "Tatort" zum Straßenfeger auf und verbuchte bei zeitweise 70% Einschaltquote ein über 25 Millionen starkes Publikum. Zahlen, die das Privatfernsehen in den 80er Jahren schließlich pulverisierte. Heute pendelt sich der "Tatort" zwischen sieben und zehn Millionen Zuschauern ein, Ausreißer nach oben, etwa bei Til Schweigers Debüt als Nick Tschiller oder auch dann, wenn die beliebten Münsteraner Boerne und Thiel im Einsatz sind, knacken schon mal die 12-Millionen-Marke.
51 Leichen in 90 Minuten
Nun also feiert die ARD die 1000. Folge der Gemeinschaftsproduktion von ARD, ORF und SRF, wohlweislich jene 13 Folgen unterschlagend, die zwischen 1985 und 1989 nur in Österreich ausgestrahlt wurden. 1000 Fälle, in denen über 850 Mal erschossen, 254 erschlagen und 175 Mal vergiftet wurde. Über 2200 Tote sollen es insgesamt gewesen, allein die preisgekrönte Folge "Im Schmerz geboren“ (2014) mit Ulrich Tukur verbuchte daran einen Anteil von 51 Leichen.
Mehr Emotionen noch als nackte Zahlen lösen die im kollektiven Sonntagabend-Gedächtnis verankerten Auftritte, Begebenheiten und besonders strahlkräftigen Episoden aus: Nastassja Kinskis legendäres TV-Debüt im Kieler Fall "Reifezeugnis" (1977). Curd Jürgens, der normannische Kleiderschrank, in "Rot-rot-tot" (1978), dem mit über 28 Millionen Zuschauern quotenstärksten Fall der Tatort-Geschichte. Eine telemediale Historie, in der Berti Vogts Kaninchen streicheln durfte, Schimanski sich fluchend an die Eier packte, Stöver und Brocki um die Wette sangen, die Toten Hosen erst sich selbst, dann eine Volksmusik-Truppe spielten, Bela B. einen DJ, Christoph Waltz einen jungen Inspektor verkörperte. Roger Moore ließ sich ebenso blicken wie Jogi Löw und Gerhard Delling. Größen wie Michael Verhoeven und Wolfgang Petersen führten einst Regie, Autor Felix Huby hält die Bestmarke bei den Drehbüchern - 32 Film-Vorlagen stammen aus der Feder des Bienzle-Schöpfers.

Der "Erfinder" des "Tatorts", der ehemalige Leiter der Programmgruppe Fernsehspiel WDR, Gunther Witter, mit einem Foto der ersten "Tatort"-Folge "Taxi nach Leipzig".
(Foto: dpa)
So kontrovers die sonntäglichen Folgen schon unmittelbar im Anschluss an die Ausstrahlung diskutiert werden, so unverzichtbar scheint die Serie als eines der letzten generationsübergreifenden TV-Ereignisse des in die Jahre gekommenen linearen Fernsehens. Sonntagabend - Tatort-Zeit, oder wie es Literaturwissenschaftler Jochen Vogt ausdrückte: der "wahre deutsche Gesellschaftsroman". Fest steht: Vor der heimischen Röhre, in Indie-Clubs ebenso wie in den TV-Räumen von Altenstiften und Jugendheimen, in Kinos, Kneipen und Knastzellen verfolgt man das Wirken der mittlerweile 22 Teams, die im Einsatz sind.
Nun also die 1000. Folge und logischerweise musste für ein solches Jubiläum ein besonderes Fass aufgemacht werden. "Taxi nach Leipzig" nennen die Macher diesen Fall und beziehen sich damit auf die bereits erwähnte Premierenfolge aus dem Jahre 1970. Hans-Peter Hallwachs hat anno 2016 ein Cameo als jener Oberleutnant Peter Klaus, den er bereits damals verkörperte, Günter Lamprecht als Ex-Kommissar Franz Markowitz hat ebenso einen Kurzauftritt wie Karin Anselm als Kommissarin a.D. Hanne Wiegand. Im Fokus aber stehen die Kommissare Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg), die es am Rande einer Polizeitagung ins Taxi eines ehemaligen Elitesoldaten verschlägt. Rainald Klapproth (Florian Bartholomäi) hat noch eine Rechnung mit seiner Ex offen, die er nun, am Vorabend von deren Hochzeit, noch einmal zur Rede stellen will. Klapproth wird schließlich zum Mörder, Borowski und Lindholm nimmt er als Geiseln.
Verschrobene Überwältigungsattacken
Angedacht als klaustrophobisches On-the-Road-Drama entfaltet sich hier gerade auf engstem Raum die Überschaubarkeit der Rollen der beiden Ermittler aus Kiel und Hannover: Ganz gleich, ob jemand Borowski am Buffet das letzte Brötchen vor der Nase wegschnappt oder er Zeuge eines Mordes wird - der Mann mit den zwei Gesichtsausdrücken (mürrisch und gleichgültig) hat chronisch Ruhepuls. An den Gesprächen mit dem Psychotiker am Steuer lässt sich zudem erkennen, das Lindholm bei ihren Seminaren möglicherweise besser aufpassen sollte, als mit irgendeinem Galan hin- und herzusimsen. Zwischendurch gibt es Tarantino-Kapitelbildchen, freilaufende Wölfe auf Abwegen und völlig vermurkste Parallelplots, Stichwort Junggesellenabschied.
Bis zum absurd hindramatisierten Finale gerät die Fahrt mit dem "Taxi nach Leipzig" zu einer zähen Mitschnarchgelegenheit, nur kurz unterbrochen von einer der verschrobensten Überwältigungsattacken, bei der Borowski mit einem zerbröselten Keks … aber das sollten Sie sich besser selbst anschauen.
Taxi!!!
Quelle: ntv.de