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Schmerz, Trümmer und Provisorien Der schwere Weg der L'Aquila-Überlebenden

Etwa 15.000 Gebäude wurden bei dem Erdbeben zerstört.

Etwa 15.000 Gebäude wurden bei dem Erdbeben zerstört.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Als im April 2009 in L'Aquila die Erde bebt, sterben 308 Menschen in den Trümmern ihrer Häuser. Wie sich die Hinterbliebenen langsam wieder zurück ins Leben kämpfen, beschreibt der Roman "Bella mia" mit ausdrucksstarken Bildern.

"Bella mia, ich will dich wiedersehen", so heißt es in einem Volkslied, das die Schönheit der italienischen Stadt L'Aquila besingt. Binnen weniger Sekunden wurden der mittelalterliche Ort und seine Umgebung am 6. April 2009 um 3.32 Uhr in der Nacht in Schutt und Asche gelegt. Heftige Erdstöße rissen 308 Menschen in den Tod, Zehntausende verloren ihre Häuser und Wohnungen.

Für viele Menschen sind die nach dem Erdbeben eilig errichteten Provisorien in der Peripherie von L'Aquila eine Dauerlösung geworden: Ihre Häuser sind noch immer zerstört.

Für viele Menschen sind die nach dem Erdbeben eilig errichteten Provisorien in der Peripherie von L'Aquila eine Dauerlösung geworden: Ihre Häuser sind noch immer zerstört.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Wie leben die Menschen Jahre später in der Erdbebenregion, in der der Wiederaufbau nur zögernd vorankommt? Wie gehen jene, deren Angehörige in den Trümmern starben, mit ihrem Schmerz um? Davon erzählt Donatella Di Pietrantonio in ihrem anrührenden Roman "Bella mia" und verknüpft die fiktive Geschichte mit den Fakten der Realität.

Caterina, die Ich-Erzählerin, hat in der Nacht des Bebens ihre Zwillingsschwester Olivia verloren. Während sie bereits mit Olivias Sohn Marco ins Freie lief, kehrte ihre Schwester noch einmal in das Haus zurück, das bereits im Einsturz begriffen war.

Behörden vertrösten

Zusammen mit ihrer Mutter und Marco wohnt Caterina im dritten Jahr nach der Katastrophe noch immer in einer der Behelfsunterkünfte am Rande von L'Aquila. Wann sie in ihre zerstörten Häuser zurückkehren können, ist unklar, die Behörden sind gut im Vertrösten. Und so leben sie in beengten Verhältnissen an einem Ort, an dem sie eigentlich nicht sein wollen, und versuchen jeder auf seine Weise mit dem Verlust der Mutter, Schwester und Tochter umzugehen.

Der Wiederaufbau in der "Zone Rossa", dem historischen Zentrum von L'Aquila, schreitet langsam voran.

Der Wiederaufbau in der "Zone Rossa", dem historischen Zentrum von L'Aquila, schreitet langsam voran.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Caterinas Mutter hat den täglichen Gang zum Friedhof, frische Blumen im Arm, fest in ihren Alltag eingebaut. Sie braucht einen Schuldigen für das Unfassbare und findet ihn im Schwiegersohn. Mit ihm lebte Olivia in Rom, dann aber trennten sie sich. "Wenn er bei ihr geblieben wäre, wäre sie nicht zum Sterben hierher zurückgekommen", so das Mantra der Mutter.

Auch das Band von Marco zu seinem Vater ist fragil. Der Junge verwehrt jeden Kontakt zu ihm und zieht sich völlig in sich zurück. Manchmal schleicht er sich heimlich in die "Rote Zone", den Teil des historischen Zentrums von L'Aquila, der wegen der einsturzgefährdeten Häuser nicht betreten werden darf. Dort in der Wohnung, in der er mit seiner Mutter lebte und auf deren Balkon noch ihre Wäsche auf der Leine flattert, sucht er verzweifelt nach Trost und Antworten.

"Ich müsste eine Ersatzmutter für ihn sein. Ich bin aber immer noch wie die Aushilfslehrerin beim ersten Einsatz, unfähig, der aufmüpfigen Klasse die Stirn zu bieten". Marco, der alle Anzeichen schwerster Pubertät zeigt, stellt Caterina vor große Herausforderungen, die sie nicht nur in die Sprechstunde einer besorgten Lehrerin führt, sondern auch aufs Polizeirevier.

Verlust der "gelungeneren Hälfte"

Der Roman ist bei Antje Kunstmann erschienen, hat 224 Seiten und kostet 18,95 Euro.

Der Roman ist bei Antje Kunstmann erschienen, hat 224 Seiten und kostet 18,95 Euro.

Mit allen Mitteln versucht Caterina die Familie zusammenzuhalten, in der Olivia eine so entsetzliche Lücke hinterlässt. Ihr Zwilling, der immer so viel anmutiger, stärker und unverwundbarer als sie selbst schien, war für Caterina "meine gelungenere Hälfte". Nachts liegt die trauernde Schwester wach und versucht um 3.32 Uhr "das Unumkehrbare auszuhebeln", indem sie sich Alternativen ausmalt, die Olivia gerettet hätten.

Einfühlsam beschreibt Di Pietrantonio, wie schwer es den drei Überlebenden fällt, ihren zusammen mit Olivia verschütteten Gefühlen wieder zu trauen, den Mut und die Sicherheit zu finden, sich auf Neues einzulassen. Denn "das Erdbeben hätte es nicht gebraucht, schon vorher hatte jeder seinen eigenen Schmerz".

Die Autorin findet ausdrucksstarke Bilder für die Schrecken der Erdbebennacht, für die Trümmerberge auf den Straßen und in den Menschen, für die Not der Zurückgebliebenen, die in ihren provisorischen Wohnungen, von den Behörden im Stich gelassen, keine Ruhe finden. Aber auch für die kleinen Momente voll zarter Hoffnung.

Zu diesen Bildern gehört auch die Nachbarin der Familie, die wie alle dort lebenden Menschen schwer an ihren emotionalen Verletzungen zu tragen hat. Mit zerzaustem Haar und wahllos übergestreifter Kleidung läuft sie jeden Tag unermüdlich zwischen den Gebäuden hin und her und singt mal leise, mal schrill "L'Aquila, bella mia".

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Quelle: ntv.de

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