"Soll ich dir das Gehirn pusten, oder was?" Jim Rakete und der "Stand der Dinge"
14.08.2011, 07:04 Uhr
Moritz Bleibtreu mit der Beretta aus "Knockin' On Heavens Door".
(Foto: © 2011 Jim Rakete / courtesy Schirmer/Mosel)
Es fängt klein an: ein Dutzend Porträts für das wiedereröffnete Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main. Aber der deutschsprachige Film hat mehr zu bieten. Also macht sich Starfotograf Jim Rakete auf, die 100 Großen und Berühmten vor seine Linse zu bekommen - mit einem Requisit, das auch der Betrachter mit einem cineastischen Erlebnis verbindet.
Jedes Gesicht erzählt eine Geschichte. Zugegeben, das klingt abgedroschen. Aber es stimmt. Bei Schauspielern erzählen sie sogar dutzende. Sie nehmen uns mit auf immer neue Reisen. Lassen uns fremde Welten entdecken, fremde Kulturen. Sie zeigen uns Gefühle, die wir noch nicht kannten, lassen uns am Leben anderer teilhaben. Die Gesichter der Schauspieler sind es, die in uns Emotionen wecken. Ihr Mienenspiel zieht uns in den Bann, lässt uns weinen, lachen, hoffen und bangen. 100 dieser Gesichter sind im neuen Bildband "Stand der Dinge" von Jim Rakete abgebildet - ganz untypisch in Farbe und mit einer Digitalkamera aufgenommen. Sie erzählen mindestens 100 Geschichten.
Wie die von Abdul, mit einer Beretta in der Hand und den Worten: "Soll ich Dir das Gesicht pusten, oder was?" Abduls Geschichte erzählt das Gesicht von Moritz Bleibtreu. Es geht um den Film "Knockin‘ On Heavens Door". Oder das Gesicht von Heinz Hoenig, mit einem Sonar-Kopfhörer aus dem deutschen Klassiker "Das Boot". Bei Jessica Schwarz und ihrem Ring dreht sich alles um "Romy", bei Christoph Waltz und seiner Uhr am Arm geht es um "Inglourious Basterds", bei Caroline Link und dem Oscar um "Nirgendwo in Afrika", bei Tom Tykwer und der Uhr um "Lola rennt". Und bei Doris Dörrie sind es beispielsweise Kirschblüten im Bild, die auf den gleichnamigen Film hinweisen - ebenso wie bei Nora Tschirner und dem Keinohrhasen.
Von jungen Akteuren und alten Hasen

Jim Raketes "Stand der Dinge" ist bei Schirmer/Mosel erschienen.
(Foto: © 2011 Jim Rakete / courtesy Schirmer/Mosel)
Das Ganze hat System. Jim Rakete, einst als Macher des Kreativlabors "Fabrik" für diverse Plattencover unzähliger Bands verantwortlich und Manager unter anderem von Nena, Spliff und von Die Ärzte, gehört er mittlerweile zur ersten Riege der Porträtfotografie. Der Berliner, 1951 geboren, kennt die Macher von Film und Fernsehen und ist mit vielen deutschen Schauspielern per du. Er kennt die jungen Akteure und die alten Heroen, die lebenden Stars und die toten Unvergessenen.
Und das sieht man seinen Porträts auch an. Der Bildband "Stand der Dinge", der in gewisser Weise als Pantheon des deutschen Films gelten kann, besticht durch seine Schärfe und Klarheit, durch seine minimale Inszenierung, die maximale Wirkung erzielt. Er glänzt durch die ungeschminkten Gesichter fern jedweden Promikults. Er zeigt die Stars des deutschsprachigen Films völlig unglamourös und dennoch mit voller faszinierender Eindringlichkeit. Er zeigt "großartige Talente aus Fleisch und Blut", wie Freddy Langen, einer der beiden Textautoren des Bildbands schreibt. "Stand der Dinge" ist eine Begegnung von Stars auf Augenhöhe: Jim Rakete ist der Star unter Deutschlands Fotografen und der Fotograf der Stars.
Hommage an den deutschen Film
Was diesen bei Schirmer/Mosel erschienenen Bildband so besonders macht, ist die Tatsache, dass jeder Schauspieler, Regisseur oder Macher des deutschen Films eine Requisite im Bild platziert hat - wie eben Abduls Beretta aus "Knockin' On Heavens Door". Oft reicht allein das Gesicht des Schauspielers und das Requisit aus, um sich sofort zurück ins Kino oder vor den Fernsehschirm versetzt zu fühlen, direkt in den Film teleportiert. Sei es Burkhart Klaußner mit einem Joint, der einen sofort an "Die fetten Jahre sind vorbei" denken lässt oder Axel Prahl, der einen mit einer Currywurst gedanklich nach Frankfurt an der Oder und zur "Halben Treppe" versetzt.

Martina Gedeck mit handschriftlichen Abschriftenihrer Drehbücher.
(Foto: © 2011 Jim Rakete / courtesy Schirmer/Mosel)
Von diesen Beispielen gibt es 100 in "Stand der Dinge". Das Buch ist somit nicht nur etwas für Jim-Rakete-Fans sondern vor allem für Cineasten, für Liebhaber und Verehrer des deutsch-sprachigen Films, für Jung (Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober) und Alt (Götz George, Klaus Maria Brandauer, Mario Adorf) gleichermaßen.
Der Bildband ist eine Hommage an den deutschen Film, seine Macher und an das Kino an sich - und irgendwie auch an das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main, dem dieses Buch zu verdanken ist. Ursprünglich war nur eine kleine Porträtserie geplant zur Wiedereröffnung des Museums.
Bernd Eichingers letztes Foto

Bernd Eichinger mitseinen Converse All Stars: Es ist das letzte Foto des mittlerweile verstorbenen deutschen Ausnahme-Regisseurs.
(Foto: © 2011 Jim Rakete / courtesy Schirmer/Mosel)
Aber schnell gewann sie immer mehr an Substanz und Gesicht(ern) und letzten Endes endete die Idee in diesem Bildband. Zwei Jahre investierte Jim Rakete in "Stand der Dinge". Eine traurige Besonderheit weist das Buch auch noch auf: Jim Rakete hat das letzte Foto des mittlerweile verstorbenen Bernd Eichinger gemacht. Eichinger ist darauf barfuß im Berliner Regen zu sehen.
"Stand der Dinge" ist bei Schirmer/Mosel erhältlich. Eine Ausstellung dazu zeigt das Deutsche Filmmuseum vom 14. August 2011 bis 5. Februar 2012.
Quelle: ntv.de