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Ron Leshem: "Der geheime Basar" Teheraner Traum von Freiheit

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Die "Grüne Revolution": Vor den Demonstrationen standen die Träume.

(Foto: AP)

Der junge Kami sucht in Teheran das wahre Leben. Unter den Augen der Sittenwächter erkämpfen er und seine Freunde sich ihre Freiheiten: Partys, Drogen, Sex – alles scheint im Untergrund möglich. Doch das Regime fängt sie grausam wieder ein. Mit "Der geheime Basar" spürt der Israeli Ron Leshem den Zeitgeist einer Jugend auf, die der Westen lange ignoriert hat.

"Das ist eine Stadt für die Kindheit, nicht für das ganze Leben" – den Rat des alten Melonenverkäufers hat der junge Kami nicht vergessen und verlässt im Spätsommer 2008 die iranische Provinz, um sein Studium in Teheran aufzunehmen. Doch schon der erste Schritt zum Erwachsenwerden ist schwer, denn Kami lässt nicht nur seine besorgten Eltern zurück, sondern auch seinen besten Freund Amir, der sich der Religion zuwendet und den Verlockungen der Großstadt widerstehen will.

Seine Tante Zahra, bei der er unterkommt, ist eine Überraschung; eine gealterte Filmdiva, die vom Regime frühzeitig um ihren Ruhm gebracht wurde. Die fehlende Vollendung ihrer Karriere hat sie nie verkraftet, ihr Leben endete im Revolutionssommer 1978: "Ich, die ich alles gegeben und sie so sehr geliebt habe, ich war nun ein Symbol der Entartung und ein Jahr später ein Nichts, nicht mehr existent." Ihre einzige Gesellschaft sind ihre zwei Nachbarn, die schrullige Frau Safureh und der schwule Beamte Babak. Gemeinsam bilden sie einen Frühstücksclub und süßen ihre Gebäckstücke mit vielen Klagen über das Leben im Iran.

Internet als Tür zur Welt

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Dieser abgeschotteten Runde öffnet Kami mit seinem Laptop nicht nur den Zugang zum Internet, sondern eine Tür zur Welt. Zahra findet heraus, dass ihre Fans sie nie vergessen und ihre Filme im Internet überlebt haben. Und Babak kommt aus seinem beengten Beamtendasein heraus. Kami reicht die virtuelle Welt jedoch nicht, er will das Teheran seiner Träume finden. An der Uni trifft er schließlich auf seine Prinzessin der Freiheit: Nilufar. Eine Ministertochter und begeisterte Autorennfahrerin, für die die engen Regeln des Regimes nur dazu da zu sein scheinen, sie so weit wie möglich zu strecken.

An der Seite seiner ersten großen Liebe taucht Kami in die Parallelwelt von Teheran ein, wo es keine Sittenwächter gibt, sondern Partys, Sex, Alkohol und Drogen. Das Regime duldet die Untergrundpartys, denn eine Jugend, die feiert, demonstriert nicht. Nur wer sich dem Leben in der Diktatur nicht ergeben will, wird vom Regime brutal eingefangen. Und so endet auch für Kami und seine Freunde der Traum von Freiheit nach nur wenigen Monaten abrupt und grausam.

Arabischen Zeitgeist eingefangen

Mit "Der geheime Basar" ist dem Autoren Ron Leshem ein geradezu prophetisches Buch gelungen. Der junge Israeli beendete sein Buch nur wenige Monate vor dem Ausbruch der "Grünen Revolution" in Teheran und lässt seine Romanfigur von Szenen träumen, die im Sommer 2009 in Teheran und im Februar 2011 in Ägypten und anderen arabischen Staaten Wirklichkeit werden sollten: "Ich hätte gerne auf einem Kanonenrohr gestanden, umwunden mit Blumengirlanden, mit Nilufar und Amir im Arm unter den pfeifenden Rauchgasgranaten und dem Strahl der Wasserwerfer. Dass wir mit dem bloßen Körper Panzer aufhielten."

Während der "Grünen Revolution" habe er sich sehr um seine iranischen Freunde gesorgt, sagt Ron Leshem gegenüber n-tv.de. Sie seien sehr pessimistisch gewesen, was den Erfolg ihrer Revolution angeht. Als Funke dann im Winter 2011 auf andere Länder übersprang, sei er extrem aufgeregt gewesen und habe die jungen Ägypter bewundert und um ihren Mut beneidet.

Grenzenlose Freundschaften im Internet

Dass er sich ausgerechnet als Israeli mit dem Staatsfeind Nummer eins, Iran, befasst, erklärt Leshem mit seiner unstillbaren Neugier. Er fühle sich von verbotenen Terrains angezogen, gesteht der 34-Jährige, der bereits mit seinem Erstlingsroman "Wenn es ein Paradies gibt" für Furore sorgte. Er schreibe generell nur, um auf diesem Weg in die Haut anderer Menschen zu schlüpfen und unbekannte oder gar verbotene Orte kennenzulernen.

Die ersten Kontakte zu Iranern habe er über das Internet geknüpft. "Das mag jetzt naiv klingen, aber ich glaube daran, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn jeder Israeli einen iranischen Freund hätte und sei es nur über Facebook." Irgendwann habe er angefangen, jede Nacht mit seinen neuen Freunden zu chatten und zusätzlich iranische Bücher zu lesen, Filme zu sehen und Musik zu hören. Da er als Israeli nicht in den Iran reisen konnte, beauftragte er Freunde, ihm von ihren Reisen dorthin Geschichten mitzubringen. Schließlich habe er sich mit einigen Iranern in Europa getroffen und die Treffen seien unglaublich gewesen: "Ich habe noch nie Leute getroffen, die uns Israelis so ähnlich waren, wie die Iraner", erinnert sich Leshem. "Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass die persischen Frauen eleganter sind als die Israelinnen."

Zweiter Bestseller für Leshem

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Ron Leshem

In Israel, wo Leshem durch seinen Soldaten-Roman "Wenn es ein Paradies gibt" und die oscarnominierte Verfilmung "Beaufort" über Nacht bekannt wurde, stand "Der geheime Basar" wochenlang auf der Bestsellerliste. Das sei natürlich fantastisch gewesen und er für die guten Kritiken sehr dankbar, erklärt Leshem, der auch Theaterstücke und Fernsehserien schreibt. Dennoch habe es ihn ein wenig enttäuscht, dass in Israel niemand die Parallelen zum eigenen Leben gezogen hat. Er habe später das Gefühl gehabt, dass das Buch in Europa besser verstanden wurde – besonders aus Deutschland habe er einige aufregende Kritiken erhalten.

Der Zukunft in den arabischen Nachbarländern Israels blickt er mit gemischten Gefühlen entgegen: "Der muslimischen Welt stehen eine Menge Veränderungen bevor, aber es wird keine demokratische, es wird eine religiös geprägte Zukunft sein", glaubt Leshem. Eine Zukunft, die auch für Israel nicht völlig ausgeschlossen sei, meint der Medienexperte, der seine Karriere als Journalist im Print- und TV-Bereich startete. Er habe das Buch auch geschrieben, um zu zeigen, dass Demokratie kein selbstverständliches Gut ist.

Wer sich gemeinsam mit Ron Leshem in die Gefühlswelt der persischen Jugend begeben will, ist mit "Der geheime Basar" mehr als gut beraten. Leshem spürt in seinem Buch eine Jugendbewegung auf, die gerade der Westen lange ignoriert hat. Wer hat sich inmitten der Islamismus-Debatten schon mit einer Jugend beschäftigt, die unter Repressionen leidet und von einem besseren, freieren Leben träumt? "Der geheime Basar" ist eine moderne Coming-of-Age-Geschichte, die im Grunde die Vorgeschichte der "Grünen Revolution" erzählt. Und die Hoffnung weckt, dass diese jungen Stimmen auch im Iran noch nicht endgültig verstummt sind.

"Der geheime Basar" im n-tv-Shop

Quelle: ntv.de

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