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ESC-Hoffnung Michael Schulte "Es ist besser zu jagen, als Gejagter zu sein"

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(Foto: dpa)

Seit Jahren kommt Deutschland beim ESC nicht mehr aus dem Tal der Tränen. Michael Schulte soll das ändern. Und siehe da: Manche sehen in ihm schon einen Geheimfavoriten. Kurz vor dem Finale spricht er mit n-tv.de über seine Hoffnungen, die Erwartungen und den Druck.

n-tv.de: Du hast dich im deutschen ESC-Vorentscheid gegen mehrere Mitbewerber durchgesetzt. Unter ihnen war auch Ivy Quainoo, der du 2012 im Finale von "The Voice of Germany" noch unterlegen warst. War das eine Genugtuung für dich?

Michael Schulte: Nein, eine Genugtuung nach dem Motto "Ha, jetzt habe ich es dir heimgezahlt" war das nicht. Das ist ja schon so lange her, und wir hatten nun eine ganz neue Situation. Ich halte sie für eine tolle Sängerin und Künstlerin. Und ich habe mich gefreut, dass ich es geschafft habe. Das war mein Ziel.

In deinem Song "You let me walk alone" geht es um deinen verstorbenen Vater. Im Vorentscheid konnte man deine emotionale Ergriffenheit dabei spüren. Hast du das inzwischen mehr unter Kontrolle?

Ich möchte das eigentlich gar nicht unter Kontrolle kriegen. Das ist etwas ganz Echtes, das man sich meiner Meinung nach beibehalten sollte. Ich singe generell so, wie ich etwas fühle, auch bei meinen Live-Konzerten. Dadurch kommen viele Emotionen rüber. Natürlich gibt es auch Momente wie jetzt bei den Proben, in denen ich das Lied nicht ganz so intensiv singe. Aber im Finale am Samstag werden die Emotionen definitiv da und wahrscheinlich auch in meinen Augen zu sehen sein - durch die Arena, die ganzen Menschen und den Gedanken: "Wahnsinn, das ist der verrückteste, schönste und spannendste Moment in meiner ganzen musikalischen Karriere, ja womöglich sogar in meinem ganzen Leben."

Jetzt steckst du schon seit ein paar Tagen mitten im ESC-Trubel hier in Lissabon. Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?

Ich war ja schon ein wenig vorbereitet und wusste, worauf ich mich einlasse …

Wie das?

Ich bin selbst ein großer Eurovision-Fan, war allerdings nie so nah dran wie mein Halbbruder. Er berichtet in einem Blog schon seit Jahren über den ESC und ist jedes Jahr auch rund zwei Wochen vor Ort. Für ihn ist es natürlich das Größte, dass ich jetzt hier mitmache. Mit ihm habe ich oft über den ESC gesprochen. Schon vor Jahren hat er mir erzählt, wie spannend und verrückt das ist, aber auch mit wie viel Herz die ganzen Menschen dabei sind.

Hatte er recht?

Der Portugiese Salvador Sobral hat den Eurovision Song Contest nach Lissabon geholt.

Der Portugiese Salvador Sobral hat den Eurovision Song Contest nach Lissabon geholt.

(Foto: AP)

Eigentlich bin ich noch positiver überrascht als ohnehin schon gedacht. Zum einen, weil alles wahnsinnig professionell gemacht ist. Zum anderen sind alle wirklich unglaublich lieb und zuvorkommend. Gefühlt können alle hier alle Texte von allen Songs auswendig mitsingen. (lacht) Das ist ein großes Abenteuer, ein - im positiven Sinne - Zirkus und eine teilweise ganz andere Welt. Es ist toll, dass so viele verschiedene Länder zusammenkommen und alles andere egal ist. Es geht nur um die Musik, das Zusammenkommen und das Miteinander. Das ist herrlich.

Bei deinem Auftritt stehst du ganz allein auf der Bühne, nur unterstützt von einer Videoanimation. Fühlst du dich damit wohl?

Ich finde das total gut. Es war sogar mein Wunsch, allein auf der Bühne zu stehen. Ich vermute, ich könnte vielleicht sogar der einzige Künstler sein, der keine Backgroundsänger dabei hat. Der Song gibt es einfach her, dass stimmlich alles zu hundert Prozent von mir kommt. Das ist meine Geschichte und ich möchte, dass man mich hört und wahrnimmt. Man soll die Emotionen spüren. Da braucht es keine Ablenkung durch weitere Musiker auf der Bühne.

Hast du mit Blick auf deine Konkurrenten persönliche Favoriten?

Ja, klar. Ich liebe zum Beispiel den Song aus Irland, auch wenn er es nicht leicht haben wird, jedenfalls wenn man den Buchmachern glauben will. Toll finde ich auch die Songs aus Bulgarien und Frankreich. Es gibt viele tolle Songs. Zu sagen, wer gewinnt, finde ich wahnsinnig schwierig in diesem Jahr.

Was die deutschen Beiträge angeht, bist du seit längerem mal wieder der erste männliche Kandidat. Ist das ein Vorteil, ein Nachteil oder ist es egal?

Der letzte war ja Roman Lob. Er kam auf den achten Platz, das könnte ein gutes Zeichen sein. Aber letztlich ist es doch egal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Das Gesamtpaket muss stimmen. Das hat in den vergangenen Jahren vielleicht noch nicht so ganz gepasst. Und ich hoffe und habe ein gutes Gefühl, dass es dieses Jahr anders sein wird und es wieder mal ein paar Punkte gibt. Ich denke, das hat Deutschland verdient.

Die Erwartungen sind natürlich auch wie jedes Jahr hoch. Empfindest du Druck?

Nö, gar nicht. Es kann ja nun auch nicht viel schlechter werden als in den vergangenen Jahren. Von daher empfinde ich keinen Erfolgsdruck, auch wenn natürlich alle hoffen, dass es mal ein bisschen bergauf geht. Ich bin auch ganz froh, nicht als Topfavorit zu gelten - denn das erzeugt dann natürlich Druck. Nimm zum Beispiel die Künstlerin aus Israel: um sie gibt es seit Wochen einen Hype als Topfavoritin. Dadurch kann sie gefühlt auch irgendwie nur verlieren.

Manche nennen dich inzwischen einen Geheimfavoriten …

Ja, stimmt. Diese Rolle nehme ich auch gerne an - es ist besser zu jagen, als der Gejagte zu sein. Und natürlich freut es mich, wenn mich auf einmal Leute auf der Rechnung haben. Wenn sich das dann in einem guten Resultat widerspiegeln sollte, umso besser.

Was wäre denn für dich ein gutes Resultat?

In die Top 15 möchte ich es schon gerne schaffen. Überglücklich wäre ich mit einem Platz in den Top 10. Schlechter als Platz 20 würde ich dagegen wirklich ungern abschneiden. Ich bin schon sehr ehrgeizig - und da wäre ich echt enttäuscht.

Deine Vorgängerin Levina ging im vergangenen Jahr auch sehr selbstbewusst in den Wettbewerb. Am Ende weinte sie bittere Tränen über ihren vorletzten Platz. Wie würdest du damit umgehen, solltest du am Samstag doch eine Enttäuschung erleben?

Weinen würde ich nicht. Ich weiß, dass es auch dann weitergeht, weil ich eine sehr stabile Basis habe, was meine Musik angeht. Meine Hörer und Fans würden auch bei einem schlechten Ergebnis nicht einfach davon flirren. Daher bin ich da eigentlich ganz entspannt.

Du hast ja auch noch andere Dinge, auf die du dich nach dem ESC freuen kannst: Du heiratest und wirst zum ersten Mal Vater. Wie fühlt sich das gerade mit Blick auf den Song an, den du jetzt über deinen Vater singst?

Das macht es natürlich noch einmal emotionaler, weil ich zugleich auch darüber nachdenke, was ich für ein Vater sein werde. Ich hoffe, ich werde ein guter Vater und kann lange für mein Kind da sein, länger als mein Vater für mich. Das macht es natürlich noch besonderer. Und ich freue mich darauf, den ESC-Auftritt irgendwann einmal meinem Kind zeigen zu können.

Mit Michael Schulte sprach Volker Probst

Quelle: ntv.de

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