Kino

Ganze Bandbreite an Emotionen "Alles inklusive" bei Dörrie & Uhl

Mutter und Tochter, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Mutter und Tochter, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Eine Pauschalreise macht sie einmal im Jahr und auch sonst wirkt Doris Dörrie recht bodenständig, nicht nur wegen ihrer Sportschuhe. Ebenso geerdet: Nadja Uhl. Ein Gespräch über Mütter, Töchter, den Platz dazwischen und das kalte Büffet.

Die erfolgreichste Regisseurin Deutschlands, Doris Dörrie, fing an mit "Männer", kann aber auch gut mit Frauen!

Die erfolgreichste Regisseurin Deutschlands, Doris Dörrie, fing an mit "Männer", kann aber auch gut mit Frauen!

(Foto: Ursula Düren)

"Coole Teile, so schön bunt!" "Ja, an so einem Tag brauch' ich was Bequemes!" Wir reden über Sportschuhe, denn sie war, ich bin knielahm. Ihre sind 20 Jahre alt, sagt sie, könnten aber auch von heute sein, finde ich. Vintage eben. "So wie ich", denke ich, und ich glaube, sie denkt etwas Ähnliches. Mit Doris Dörrie zu sprechen ist eine echte Befreiung, eine Erleichterung für jede denkende Frau. Ein Gegenüber zu haben, das wirklich was im Kopf hat, das witzig ist und weise, ist so selten geworden. Überall die gleichen, vorgestanzten Antworten, immer jemand im Hintergrund, damit der Star auch nichts Falsches sagen kann. Und jetzt: Ein Treffen ohne Anstands-Wauwau, das ist schon was Feines, zumal im grandiosen Soho-House, das den Blick durch's offene Fenster auf den von der Sonne dramatisch angestrahlten Fernsehturm schweifen lässt.

Es soll um Dörries neuen Film "Alles inklusive" gehen und gleich vorneweg kann man sagen: Er läuft bereits, hingehen! Das Schauspiel-Ensemble aus Hannelore Elsner, Nadja Uhl, Axel Prahl, Hinnerk Schönemann und Peter Striebeck hat unter der Regie der 58-Jährigen einen feinen, humorvollen Film abgeliefert, der die ganze Bandbreite an Emotionen abdeckt. Es geht um die, die uns am nächsten sind: Aus der einen Perspektive sind das unsere Eltern, aus der anderen die Kinder. Und alle, die dazwischen auch noch auftauchen.

Normal durchgeknallt
Die kleine Apple, immer mit Bikini-Oberteil!

Die kleine Apple, immer mit Bikini-Oberteil!

"Ja, man muss natürlich nicht so übertrieben verklemmt sein wie Apple, und man muss auch nicht so aussehen wie sie, es können einem aber diese und jene Mechanismen sehr bekannt vorkommen. So oder ähnlich passiert das dem einen oder anderen doch ständig, gerade die Nöte zwischen Müttern und Töchtern", erzählt Nadja Uhl, die die Apple (den irren Vornamen verdankt sie ihrer Hippie-Mutter) spielt. Dörrie erzählt die Geschichte von Apple und Ingrid, Tochter und Mutter, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

Nie mehr will Apple so chaotisch leben wie damals in ihrer Kindheit. In dem Zelt am Strand von Torremolinos, 1967, als Apples Mutter eine wilde Affäre mit Karl hatte. Jetzt, dreißig Jahre später, erlebt die Singlefrau ein Liebesdesaster nach dem anderen und fühlt sich einzig und allein von ihrem Hund, Herrn Freud, den sie siezt, verstanden. Und die ehemalige barbusige Strandkönigin Ingrid (Hannelore Elsner, in jüngeren Jahren dargestellt von Natalia Avelon), mit über sechzig immer noch ein rebellischer Freigeist und heißer Feger, kehrt nach mehr als drei Jahrzehnten als All-inclusive-Touristin mit frisch operierter Hüfte und Krücken zurück an den Ort ihrer Jugend: Der Hippie-Strand existiert nicht mehr und vor lauter Hotelbunkern, billiger Animation und feiernden Abiturienten erkennt sie das ehemalige spanische Fischerdorf kaum wieder. Die Begegnungen unter anderem mit dem Transvestiten Tim – bzw. Tina – (Hinnerk Schönemann) zwingen Ingrid aber, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Um die verklemmte Apple spielen zu können, musste Nadja Uhl erstaunlicherweise gar nicht mal  so tief in die Trickkiste greifen, erzählt sie: "Wenn ich so etwas gar nicht in mir hätte, dann könnte ich das nicht spielen, das ist richtig. Aber ich frage mich immer: Wie wirke ich, wo habe ich mich hinbewegt, wo habe ich gewisse Grenzbereiche geschrammt im Leben, die mich an diese Figur erinnern. Also, ich gesteh', dass ich nicht mich selbst spiele (lacht), aber natürlich sind in der Rolle Teile, die für mich nachvollziehbar sind. Schlimm wäre es, wenn ich sagen würde, ich habe damit so rein gar nichts zu tun." Als Uhl sich den Film das erste Mal angeguckt hatte, musste sie überwiegend lachen. "Aber eigentlich war mir auch zum Weinen zumute." Und dazwischen bewegt sich das sensible Familien-Drama auch.

Lachen kann man lernen

Hinnerk Schönemann ist toll als Tim und auch als Tina.

Hinnerk Schönemann ist toll als Tim und auch als Tina.

Zurück zum Anfang: Hannelore Elsner/Ingrid hat also Hüfte, Regisseurin und Journalistin Knie, nur Nadja Uhl wirkt total beschwerdefrei. Frau Dörrie gibt noch rasch den Tipp: "Pilates! Immer nur Pilates, streng, zwei Mal die Woche", und dann soll es aber um den Film gehen. Nee, einer noch: "Skilaufen geht auch wieder, ohne Operation!" Jetzt aber: "Alles inklusive" ist zwischen Lachen und Weinen angesiedelt, die Zeit im Kino vergeht wie im Flug. Das findet Doris Dörrie toll: "Ich versuch' eigentlich immer dasselbe, nämlich so genau wie möglich zu sein und meinen Figuren so nah wie möglich zu kommen, und mich interessiert die Ambivalenz der Dinge: Das Traurige im Komischen, und andersrum. Wenn das dann ankommt, bin ich glücklich."

Sie überlegt kurz: "Das Komische im Traurigen rauszukitzeln ist schwierig, aber es geht. Es ist mühsam. Und wenn es funktioniert, dann bin ich selig," lacht sie. Das ist ihr gelungen mit diesem Film, der viele Fragen aufwirft, aber auch ganz viele Antworten gibt. "Die Möglichkeit, in den schrecklichsten Dingen auch noch etwas Komisches zu sehen, ist eigentlich eine uralte jüdische Disziplin", erzählt sie. "Es ist aber auch eine sportliche Einstellung, das kann man durchaus lernen", sagt die Frau, die mit "Männer" (1985) ihren Durchbruch hatte und damit seit über dreißig Jahren im Filmgeschäft arbeitet. Jeder kann sich an den Spruch "Du hast so einen geschiedenen Zug um den Mund" erinnern und wie Heiner Lauterbach da geguckt hat. "Ich hab' das in Amerika gelernt, auch über mich selbst zu lachen, in den blödesten Situationen, aber das ist in Deutschland nicht so angesagt", schmunzelt sie. "Aber - wie bei jedem Sport: Je öfter man ihn betreibt, desto leichter fällt er einem." Das helfe beim Überleben, fügt sie noch hinzu, und man glaubt es ihr unbedingt.

Eine harte Szene mit Hoffnung

Schönes Paar!!!

Schönes Paar!!!

Dieses Intensive kommt im Film genauso rüber, wie wenn man ihr gegenüber sitzt. In einer Szene bekommt Ingrid eine gescheuert von Tim, beziehungsweise Tina, und der Schauspielerin treten sofort die Tränen in die Augen. Der Zuschauerin auch, ob der Wucht, die da von der Leinwand strahlt. Dörrie: "Das war eine harte Szene, aber es gibt eben auch ein Fünkchen Hoffnung, und das macht die Szene dann nicht mehr ganz so schlimm, finde ich. Beide Figuren zeigen ihre Schwäche, und ab da gibt es eine Form der Kommunikation, die vorher nicht möglich war. Und letzten Endes bietet die Figur der Ingrid, die ja an so vielem Schuld ist, jeder einzelnen Figur um sie herum doch eine neue Perspektive. Alle sind auf dem Weg." "Ja, aber bereits beim Drehen war in dem Ferienhaus, in dem wir gedreht haben, eine merkwürdig morbide Stimmung", ergänzt Nadja Uhl. "Da hat sich die reale mit der gespielten Ebene an vielen Stellen vermischt. Gerüche, Stimmungen gehen dann auf einen über, und man muss fast gar nicht mehr so viel spielen, es ist dann einfach so."

Sex im Alter? Unbedingt, aber mit Gitarre!

Doris Dörrie schafft es, ihre Zuschauer so in die Geschichte zu transportieren, dass man sich den Figuren, und seien sie auch noch so weit weg vom eigenen Leben, einfach öffnen muss. Man muss Hannelore Elsner einfach toll finden, mit ihrem Rest-Hippietum, ihren Lachfalten, ihrem Charme, der jeden Mann um den Finger wickeln kann, egal wie alt er ist, und wo er herkommt. In Dörries Film hat Elsner eine Liebesszene am helllichten Tag – eine der witzigsten Liebesszenen überhaupt, die Fragen wie "Iieh, Sex im Alter" vollkommen ad absurdum führen – und Axel Prahl, sein mächtiger Bauch, seine Gitarre und sein Mutterwitz im Hawaiihemd erscheinen einem nur konsequent dort im "All you can fress"-Paradies.

Und auch die Figur von Tim/ Tina: Ein Mann in Frauenkleidern, da könnte man leicht in Vorurteile abrutschen, das geht hier aber nicht, denn Hinnerk Schönemann (der Name ist Programm) spielt seine Figur so überzeugend und hinreißend, dass es ganz einfach ist, nachzuvollziehen, dass ein Mensch sich mal mehr wie eine Frau und mal mehr wie ein Mann fühlen kann.

In diesem Pool bitte keine Toten mehr!

In diesem Pool bitte keine Toten mehr!

"Diese Figur war mir ganz wichtig", erzählt Dörrie eindringlich, "und dieses Verletzlichkeit ist der Punkt. Eine solche Person nicht zu demontieren, sondern ihr eine Chance zu geben war mein Anliegen. Ich glaube, wenn wir uns gegenseitig zeigen, wie verletzlich wir sind, dann haben wir Hoffnung. Wenn wir versuchen, immer nur cool und nicht angreifbar zu sein, dann leben wir nicht richtig. Aber das scheint eine Maxime geworden zu sein, denn wer angreifbar ist, ist nun mal auch verletzlich, und wer verletzlich ist, ist schwach, und Schwäche will niemand zeigen. Das kann töten. Das bringt Menschen einander aber auch nicht näher und nicht weiter." Passt ja auch nicht in unsere Spaßgesellschaft, oder? Kurze Pause: "Unangreifbar zu sein ist langweilig. Worüber wollen wir denn reden, wenn wir uns unangreifbar machen? Dann geht es nur um Äußerlichkeiten, tolle Haare, tolles Shirt, und dann ist Schluss."

Ohne BH, hui!

Aber ist eine gewisse Oberflächlichkeit nicht ein toller Door-Opener? Einfach mal ein fröhliches "Hallo" in den morgendlichen Fahrstuhl werfen, wäre das nicht nett? "Naja, das klappt ja nicht so richtig in Deutschland, das hab ich mal in Marzahn gemacht und dann wird man angeguckt als wäre man irre", erinnert sich Dörrie an die Dreharbeiten zu "Die Friseuse". Haben uns die Hippies mit ihrer Leichtigkeit denn irgendetwas hinterlassen, und wie viel Hippie steckt in einigen von uns noch drin? Sind wir nicht alle ein bisschen Hippie, im Urlaub, wenn wir die Flatterkleider auspacken und den BH durch das Bikinitop ersetzten? Geradezu wagemutig, wenn wir ganz drauf verzichten? Doris Dörrie lacht: "Ach, die hatten schon ihr Gutes. Wir profitieren von den Forderungen 'Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft', 'Konsumverzicht', ich meine, diese Themen sind jetzt doch virulenter als je zuvor. Und es ist schon immer ein Traum gewesen, sich so zeigen zu können wie man ist. Dass das nicht immer funktioniert hat, das erfährt dann Ingrid. Und es bleibt wohl ein Traum, dass man alles mal fallen lassen kann an Forderungen, die einem die Gesellschaft so stellt."

Einfach mal in den Armen liegen, das hilft.

Einfach mal in den Armen liegen, das hilft.

Apple wirft ihrer Mutter vor, dass ihr Leben so verkorkst ist, weil sie aufgewachsen ist, wie sie aufgewachsen ist – aber wie lange sind Eltern denn tatsächlich verantwortlich für das Glück ihrer Kinder? "Bis neunundzwanzigeinhalb", sagt Doris Dörrie wie aus der Pistole geschossen. "Irgendwann muss man aufhören, sich über die Vergangenheit zu definieren, denn man verstellt sich damit ja auch die Zukunft." Uhl: "Ich möchte mit 41 auf keinen Fall meiner Mutter alle Versäumnisse, die eventuell auf ihr Konto gehen könnten, jetzt noch unter die Nase reiben, irgendwann ist doch mal Schluss. Auf der andere Seite denke ich natürlich auch, wenn man einmal intensiver auf sein Kind schaut, dann kann man beiden, Eltern und Kindern, vielleicht eine Menge ersparen. Aber so eine wie Ingrid, als Nachkriegskind, handelt auch verständlich damals, die musste ihren Weg so gehen."

Also, Kinder sollten ihren Eltern verzeihen, denn sie haben diesen Job ja auch zum ersten Mal gemacht, und Eltern sollten verstehen, dass sie durchaus der Auslöser für ein paar Themen im Leben ihrer Kinder sein könnten – dann klappt's nächstes Weihnachten besser? "Was immer hilft ist, mal um Verzeihung zu bitten, das löst vieles", weiß Dörrie. "Ich glaube fest daran, dass man Dinge gehen lassen kann, den Horizont sieht und weiter laufen kann.“

"Love is the answer"

Dörries Film zeigt, wie gefangen wir in unseren Mustern sein können, aber auch wie leicht wir ihnen entweichen könnten: ab und zu mal den Panzer abschnallen hilft, dem anderen näher zu kommen. Und: "Das ist nicht der Film für schnelle Antworten", gibt Nadja Uhl zu bedenken.

PS: Frau Dörrie gelingt dieses "Sich-näher-kommen" mindestens einmal im Jahr am "All you can eat"-Büffet, wenn sie in einem Pauschalhotel mit ihren Studenten is(s)t. "Was anderes können wir uns nicht leisten", lacht sie. "Und der Dünkel den All-Ink-Urlaubern gegenüber ist schon sehr arrogant. Die meisten Personen, mit denen man dann spricht, haben nämlich eine total spannende Geschichte zu erzählen." Mal sehen, wann wir diese Geschichten im Kino sehen. Nadja Uhl würde sicher reingehen, denn was sie am meisten fasziniert, ist die Dörrie'sche Zwiebeltaktik: "Sie kriegt einen mit der Optik, dann kommen ein paar Klischees, aber dann entpellt sich alles, und wie sich die Figuren dann am Ende gegenüberstehen, so wie hier die verletzten Kinder die sich als Erwachsene wiedersehen, dass kann nur Doris Dörrie erzählen und auf den Punkt bringen."

"Alles inklusive" ist seit dem 7. März 2014 im Kino

Quelle: ntv.de

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