Kino

Tolkien, Hobbit, Mittelerde Wie man eine Welt erschafft

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Grüne Wiesen und Zauberer - das ist das Auenland auf dem fiktiven Kontinent Mittelerde.

(Foto: AP)

"In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit", lässt Tolkien die Abenteuer von Bilbo Beutlin beginnen. Doch jene Höhle ist nur ein winziger Fleck in der Welt Mittelerdes, die von Elben und Zauberern, Zwergen und Orks bewohnt wird. Tolkien hat diese Welt erfunden - wegen einem "höchst verrückten Hobby".

Nun also "Der Hobbit". Neun Jahre nach dem Kinostart des letzten Teils der "Herr der Ringe"-Trilogie entführt Regisseur Peter Jackson das Publikum wieder nach Mittelerde. In die Welt grüner Auen und karger Berge, spitzohriger Elben und streitlustiger Zwerge, garstiger Orks und bissiger Wölfe. Vergessen darf man natürlich nicht jene Figuren, die dem Autor der Vorlage, John Ronald Reuel Tolkien, am liebsten waren und viel zum Erfolg der Bücher beitrugen: die Hobbits. Jene gemütlichen, halbgroßen Wesen, die gern zu Hause bleiben und sich eine schöne Pfeife anzünden.

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Tolkien wurde 1892 geboren. Der passionierte Sprach- und Literaturwissenschaftler starb 1973.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Doch so klein sie sind, so gewichtig sind ihre Rollen in der Welt und in den Sagen Mittelerdes. Das gilt nicht nur für den "Herrn der Ringe", wo vier Hobbits im Kampf gegen den bösen Sauron und seine Orks ganz vorne mitmischen. Das gilt auch für das Vorgängerbuch, das nun ins Kino kommt: "The Hobbit or There and Back Again", wie Tolkiens Werk im Original heißt, erschien bereits 1937 in England. In Deutschland war es allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu haben - ein erster Publikationsversuch in den 30ern scheiterte, weil Tolkien den vom deutschen Verlag verlangten Ariernachweis verweigerte.

Anders als "Der Herr der Ringe" ist "Der Hobbit" ein Kinderbuch, das aus Tolkiens Gewohnheit entstand, seinen Kindern fantastische Geschichten zu erzählen. In Stil und Umfang unterscheidet es sich vom später publizierten "Herrn der Ringe", in Komplexität und Tiefgründigkeit ist es ihm unterlegen. Die Einfachheit des "Hobbit" sollte freilich nicht zu dem Trugschluss verleiten, Tolkien hätte erst nach dem Erfolg des Buches sein Konzept von Mittelerde ausgebaut und deshalb wäre das spätere Werk komplexer. Ganz im Gegenteil: Schon lange vor der Entstehung des "Hobbit" begann der 1892 im südafrikanischen Oranje-Freistaat geborene Brite damit, eine eigene Welt zu entwickeln, in deren Zentrum der fiktive Kontinent Mittelerde steht.

Der Junge liebt alte Sprachen

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"Der Hobbit" - das ist Bilbo Beutlin, dargestellt von Martin Freeman.

(Foto: dpa)

Das Hauptinteresse Tolkiens war aber nicht, Hobbits und Elben, Zwerge, Orks und Drachen zu erschaffen und damit das Fantasy-Genre aus der Taufe zu heben, als dessen Urvater er mittlerweile gilt. Ihn interessierte von Anfang an vor allem eins: die Sprache. Sie war die wahre Leidenschaft des Linguisten und Philologen, der als Professor unter anderem in Oxford lehrte. Tolkien erfand seine Sprachen eben nicht, wie oft angenommen wird, um seine Sagen und Geschichten authentischer wirken zu lassen. Vielmehr dienten die Sagen dazu, das eigene Sprachsystem mit Geschichte anzureichern.

Schon als Schüler beschäftigte sich Tolkien mit alten europäischen Sprachen und ihrer Geschichte: Angelsächsisch, Gotisch, aber auch die finnische Sprache faszinierten ihn. Bald begann er, eigene Kunstsprachen zu entwickeln, die sich an alteuropäischen Sprachen orientierten. Ein "höchst verrücktes Hobby" nannte er das später. Doch eine eigene Sprache zu entwickeln, ist eine komplexe Angelegenheit. Um sich die Arbeit zu erleichtern, verfiel Tolkien auf die Idee, seinen Sprachen eine Geschichte zu verpassen. Das galt einerseits in linguistischer Hinsicht: Tolkien entwickelte ursprüngliche Wortstämme, aus denen er dann verschiedene verwandte Sprachen bildete. Man kann das vielleicht mit Latein vergleichen, aus dem verschiedene romanische Sprachen entstanden.

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Vier Hobbits standen allerdings bereits in "Der Herr der Ringe" im Mittelpunkt.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Andererseits erfand Tolkien aber auch verschiedene Völker, die seine Sprachen benutzten und verschiedene Zeitalter, in denen sich seine Sprachen weiterentwickelten, verformten und verzweigten. Ja, er ging noch weiter: Er erfand eine ganze Welt für diese Völker - Kontinente, Gebirge und Ozeane, Götter und Zauberer, eine Schöpfungsgeschichte, Sagen und Mythen. Mittelerde war geboren. Es war eine fiktive Mythenwelt, die sich in gewisser Weise einreihen sollte in die realen Nationalepen anderer Völker, die neben Ilias und Beowulf, Edda, Kalevala und Nibelungenlied stehen sollte.

Gleichwohl fand Tolkien in jenen realen Werken aus dem europäischen Mittelalter, vor allem in den altnordischen Sagen immer wieder Orientierung und Inspiration. Am deutlichsten wird dies bei zwei Zeilen aus einem altenglischen Werk des Dichters Cynewulf: Dort ist nicht nur von einem "middangeard" die Rede, was bei Tolkien zu Mittelerde wurde, sondern es tritt auch ein "Éarendel" auf, der bei Tolkien als Earendil eine zentrale Position einnimmt.

Quenya und Sindarin

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Cover der Erstausgabe des "Hobbit" von 1937.

(Foto: picture alliance / dpa)

Spätestens ab 1913 hielt Tolkien jene Geschichten und Sagen, die er rund um Mittelerde erfand, auch schriftlich fest. Er schrieb zunächst Gedichte und arbeitete weiter am Wortschatz der Sprachen, die noch heute seine berühmtesten sind: die von Elben gesprochenen Quenya und Sindarin. Nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg begann er schließlich mit dem "Buch der verschollenen Geschichten", einer ersten Sammlung von Sagen, die in eine Rahmenhandlung eingebettet sind. Doch es war noch ein langer Weg bis Mittelerde die Gestalt annahm, die wir heute kennen. Das lag auch daran, dass dem Professor und Familienvater schlichtweg die Zeit fehlte, sich permanent mit seiner fiktiven Welt zu befassen.

Obwohl Tolkien Jahre später bereits genaue Vorstellungen von der Gestalt seiner Mittelerde hatte, finden sich im kindlichen  "Hobbit", an dem er seit 1930 arbeitete, nur wenig Verweise auf jene ernsthafte Sagenwelt, an der er parallel arbeitete. Die Idee für die Halblinge wird sogar einem spontanen Einfall zugeschrieben, der in dem Eingangssatz mündete: "In einer Höhle im Boden, da lebte ein Hobbit". Vom Erfolg des Buches angestachelt, sollte Tolkien eine Fortsetzung schreiben, die wiederum als Kinderbuch gedacht war. Seinen Vorschlag, zunächst die ernsthaften Sagen und Mythen aus Mittelerde zu veröffentlichen, lehnte der Verlag ab. Er forderte eine weitere Hobbit-Geschichte.

Doch die Arbeit an dem neuen Buch zog sich hin. Tolkien wechselte den Lehrstuhl und immerhin befand sich sein Land ab 1939 auch im Krieg. "Der Herr der Ringe" erschien so erst 1954 und 1955. Dass das Buch in drei Bänden publiziert wurde, lag aber nicht daran, dass Tolkien eine Trilogie plante - er lehnte diesen Begriff für das Werk ab -, sondern an der Papierknappheit der Nachkriegszeit und der damit verbundenen gestaffelten Veröffentlichung. Gleichwohl: Das Buch besticht durch seine epische Breite und erhält seine Lebendigkeit nicht zuletzt durch die Einbettung in den größeren Zusammenhang der Mythenwelt Mittelerdes. Es war ein Zusammenhang, in den Tolkien nachträglich auch den "Hobbit" stellen wollte. Also überarbeitete er das Buch für spätere Auflagen, um es näher an die Ring-Erzählung zu rücken.

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Bereits die Erstausgabe des Hobbit enthielt eine Karte mit einem Ausschnitt des Kontinents Mittelerde - für den "Herrn der Ringe" wurde die Karte später erweitert.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Gleichzeitig bilden beide Bücher auch den chronologischen Abschluss der Mittelerde-Saga: "Hobbit" und "Herr der Ringe" spielen am Ende des sogenannten Dritten Zeitalters. Es ist die Zeit, in der Elben und Zauberer den Kontinent verlassen und alles Magische aus der Welt verschwindet. Zurück bleiben die Menschen, die sich die Erde untertan machen - es ist der Übergang von der Sagenwelt in die "reale" Welt der Menschheit. Dagegen befasst sich die ernsthafte Sagenwelt, an der Tolkien jahrzehntelang arbeitete, mit der Darstellung der vorangegangenen Epochen. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass diese Werke, die doch eigentlich den Kern seines Interesses bildeten, erst nach seinem Tod 1973 erschienen, editiert von seinem Sohn Christopher.

Die Menschen übernehmen die Herrschaft

Im Mittelpunkt steht dabei das "Silmarillion", das mit seinem teils philosophischen Ton allerdings schwerer zugänglich ist als die Abenteuer der Hobbits. Darin beschreibt Tolkien nicht nur den Schöpfungsmythos Mittelerdes und stellt die Geburt von Elben und anderen Wesen dar, sondern er erzählt auch Sagen aus dem Ersten und Zweiten Zeitalter. Doch damit nicht genug: Tolkien schrieb unzählige Vorstudien, kurze Entwürfe und ergänzende Geschichten zu diesem Buch. All dies erschien ebenfalls nach seinem Tod, vor allem in der zwölfbändigen "History of Middle-Earth", die nur in Auszügen auf Deutsch erhältlich ist. Zusammengefasst ergibt sich so die epische Geschichte eines fiktiven Kontinents, einer fiktiven Sagenwelt von ihrer Schöpfung bis zur Herrschaft der Menschen.

Diese weitläufige Vorgeschichte zu "Hobbit" und "Herr der Ringe" taucht in den Kinofilmen immer wieder am Rande auf, sei es durch verwitterte Statuen der Altvorderen, verfallene Festungen oder Legenden, die man sich am Lagerfeuer erzählt. Das war bereits in "Der Herr der Ringe" so und setzt sich nun in "Der Hobbit" fort. Es ist vielleicht auch eine Erklärung dafür, dass Peter Jackson das Kinderbuch zu einem Dreiteiler aufbläht, was viele Mittelerde-Kenner angesichts der Einfachheit der Geschichte überraschte. Wenn man den Film sieht, wird jedoch klar, dass Jackson dabei eigentlich im Sinne Tolkiens handelt: Er weitet die Geschichte des "Hobbit" aus und stellt sie viel stärker in den Zusammenhang der übrigen Sagenwelt Mittelerdes, als es das Buch von 1937 tat. Es ist eine Welt, die aus der Sprachleidenschaft eines britischen Jungen entstand und bis heute Generationen von Lesern in ihren Bann zieht.

Quelle: ntv.de

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