"Ja, machen wir Arbeitslager" Interview mit "Adolf Hitler"
08.10.2015, 14:26 Uhr
Ist er wieder da? Oliver Masucci als Adolf Hitler.
(Foto: Constantin Film Verleih GmbH)
In "Er ist wieder da" gibt Oliver Masucci den Adolf Hitler. So überzeugend, dass manche anscheinend glatt vergessen, dass sie es mit einem Schauspieler zu tun haben. Nicht das Einzige, was beim Filmdreh erschreckend war, wie Masucci im n-tv.de Interview verrät.
Herr Masucci, Sie geben einen ganz vorzüglichen Adolf Hitler ab - ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung für Sie?
Oliver Masucci: Als Schauspieler nehme ich das als Kompliment. Als Person dann doch als Beleidigung. Es ist natürlich schön, wenn meine Arbeit gefällt. Und die war es nun mal, diesen Diktator zu spielen.
Wie groß waren Ihre Skrupel, in die Rolle von Adolf Hitler zu schlüpfen?
Da hat man natürlich Skrupel. Die hat wahrscheinlich jeder Schauspieler, der Hitler spielen soll. Man fragt sich: Ist das gut? Schlecht? Bleibt vielleicht etwas hängen?
Hatten Sie eher Skrupel vor der Verkörperung der historischen Figur oder die Befürchtung, der Rolle womöglich schauspielerisch nicht gerecht zu werden?
Die Befürchtung, der Rolle nicht gerecht zu werden, hatte ich eigentlich nicht - so wie wir die Figur angelegt und angegangen haben. David (der Regisseur David Wnendt, Anm. d. Red.) wusste ganz genau, wo er damit hin will und was wir entlarven wollen. Hitler sollte als Medium dienen, um etwas über den Zustand unserer Demokratie und Gesellschaft zu erzählen. Wie sehr sich die Leute der Figur dann tatsächlich anvertraut haben, stellt nicht nur bloß, wie weit rechts das Gedankengut teilweise wirklich ist, sondern auch, was für einen Blödsinn die Leute zum Teil glauben und reden.
Zum Beispiel?
In manchen Dörfern hieß es sofort, die Ausländer seien schuld an allen möglichen Problemen. Aber in dem Dorf gab es vielleicht gerade mal drei Ausländer - die sind bestimmt nicht schuld an den Problemen. Es ist ja auch so leicht, einfach irgendetwas zu behaupten. Du kannst behaupten: "Die Juden in Berlin zahlen keine Steuern. Und vor jeder Synagoge stehen sechs Polizisten und drei Einsatzwagen, die darauf aufpassen." Sofort sagen Leute: "Das ist doch eine Unverschämtheit." Es prüft ja keiner mehr die Information nach. Es ist krass, wie einfach es ist, mit solchen Behauptungen eine Emotion bei den Leuten zu erzeugen. Genau das machen natürlich die rechten Parteien.
Bleiben wir noch einmal kurz bei Ihnen. Eigentlich sehen Sie gar nicht aus wie Hitler …
Deswegen fand ich es zunächst auch komisch, dass die Rolle überhaupt zu mir kam. Eigentlich war ich dafür viel zu groß und auch meine Physiognomie passt an sich nicht. Aber in dem Projekt ging es ja nicht zuletzt darum, improvisierend durch die Straßen zu laufen, zu provozieren, zu eskalieren, Extremsituationen auszuhalten und die Figur zu behaupten. Ich habe auch am Theater immer improvisiert und extreme Figuren gespielt. Deswegen ist David wohl auf mich gekommen.
Sie haben sich für die Rolle nicht nur eine Uniform angezogen und einen Bart angeklebt. Sie mussten auch ordentlich zunehmen …
Ja, ich sollte an den Wangen zulegen. Und für jede 50 Gramm Wange musste ich 5 Kilo am Bauch zunehmen. (lacht)
Wie war es, als Sie sich das erste Mal als Hitler im Spiegel sahen?
Um zu üben, habe ich mir schon mal einen Scheitel gezogen und einen Bart angemalt - da kommt man der Erscheinung bereits recht schnell nahe. Aber mit kompletter Maske war es dann schon wirklich krass. Wir haben im Winter gedreht. Das bedeutete, früh anzufangen und aufzustehen. Oft saß ich um 3.20 Uhr in der Maske und bin noch mal eingeschlafen. Um 5 Uhr bin ich dann als Hitler wieder aufgewacht und schon ziemlich erschrocken: "Da ist er wieder".
Über die Jahre haben sich viele Schauspieler an die Darstellung von Adolf Hitler gewagt - von Charlie Chaplin über Bruno Ganz bis Helge Schneider. Haben Sie sich mit Ihren Vorgängern auseinandergesetzt?
Eigentlich habe ich mir nur Charlie Chaplin angeschaut. "Der große Diktator" habe ich ein paar Mal gesehen. Wie Chaplin Hitler benutzt, um am Ende in dessen Sprache, Duktus und Jargon eine Rede an die Menschlichkeit zu halten, finde ich großartig.
In der Vorbereitung auf Ihre Rolle sollen Sie sich unter anderem Hunderte Reden von Hitler angehört haben …
Und ich habe mir viele Original-Dokus angesehen. Sehr erschrocken hat mich dabei das Farb-Material. Unsere Ästhetik vom Dritten Reich ist ja rein schwarz-weiß geprägt. Dadurch rückt sie auch sehr weit weg. Auf dem Farbmaterial - zum Beispiel irgendwelche Privatfilme von der Ostsee - sieht auf einmal alles ganz real aus. Und plötzlich rückt es ganz nah ran und man merkt: 70 Jahre sind keine so lange Zeit. Und offenbar keine Zeit, in der ein Volk so einen Typen überwindet.
Wenn man sich so intensiv mit einer Person befasst - bekommt man da, auch wenn es Adolf Hitler ist, einen anderen Blick auf sie?

Nichts mehr mit Schwarz-weiß - 2015 gibt es "Hitler"-Aufnahmen nur noch in Farbe.
(Foto: Constantin Film Verleih GmbH)
Nein. Also zumindest hege ich keine Emphase für Herrn Hitler - er ist für mich genauso schrecklich wie zuvor. Aber ich weiß jetzt mehr über ihn. Zum Beispiel, dass er wirklich die ganze Zeit gesagt hat, was er vorhat - ganz genau. Das haben wir auch im Film wieder aufgenommen. Und obwohl er diese schrecklichen Dinge sagt, vertrauen ihm die Menschen ihr Herz an und erklären, dass sie ihn wählen und unterstützen würden.
Im Ergebnis schwankt der Film irgendwo zwischen Satire, Mockumentary und Reality-Doku. Ist ein Vergleich mit "Borat" abwegig?
Nein, das ist natürlich das Mittel, das auch "Borat" gewählt hat. Er versucht ja auch, den Leuten ihre Gesinnung aus der Nase zu ziehen, weil sie glauben: "Ach, das ist ja nur das kasachische Fernsehen, irgend so ein Vollhonk, das sieht ja keiner - da können wir mal vom Leder ziehen." Bei "Borat" handelt es sich allerdings um eine vollkommen erfundene Figur. Mit Hitler als Figur ist das noch schwieriger, weil ihn jeder kennt und extrem auf ihn reagiert. Ursprünglich dachten wir, die Leute hätten viel mehr Scheu. Aber ich habe sie verführt, so, dass sie vergessen haben, dass ihnen ein Schauspieler gegenübersteht.
Die Vermischung von fiktiven und realen Szenen hat so ihre Tücken. Manche Kinozuschauer werden vermutlich nicht durchschauen, dass etwa der Moment, in dem Sie als Hitler einen angeblichen NPD-Bundesvorsitzenden Birne zur Sau machen, komplett gespielt ist. Ist das nicht problematisch?
Nein, das finde ich nicht. Dass die dokumentarischen Teile und die fiktionale Handlung ineinander verfließen, ist genau das, was David Wnendt wollte. Als Kunstwerk soll es so sein, dass man nicht mehr genau weiß, was echt ist und was nicht. Wenn man genau hinsieht, erkennt man aber auch, dass diese Szene gespielt ist. Zumal sie mit dem Buch identisch ist - sie kann also nur gespielt sein.
Nimmt das dem Film nicht etwas von seiner Aussagekraft?
Nein, es bleibt trotzdem die Frage, warum sich so viele Menschen der Figur Hitler so öffnen und so positiv mit ihr umgehen. Die Szenen, in denen Leute heftige Sprüche reißen, sind alle echt. Da gibt es keine Schauspieler, da ist nichts gefakt. Diese Leute haben diese Gesinnung. Aber wir sagen nicht, dass der Film total repräsentativ ist. Ich kann nicht sagen, wie repräsentativ er ist.
Über weite Strecken ist der Film auch einfach nur Satire. Warum darf man über Adolf Hitler lachen?
Man darf nicht über die Opfer lachen. Aber über Hitler kann man genauso lachen wie heulen und sich erschrecken. Das macht den Schrecken nicht weniger schrecklich und es ist nicht das Mittel, um damit umzugehen. Aber es ist ein Mittel. Tschechow (der russische Schriftsteller Anton Tschechow, Anm. d. Red.) hat gesagt: Das Ende einer jeden Tragödie ist eine Komödie. Wir sind noch nicht am Ende dieser Tragödie angelangt. Das wird sich noch einige Generationen fortsetzen.
Auch manche der dokumentarischen Szenen sind schlicht Real-Satire. Konnten Sie sich da das Lachen immer verkneifen?
Schwer. Es gab viele Situationen, in denen man dachte: Oh Gott, ist das absurd. Und in denen ich hörte, wie das Team im anderen Raum darüber lacht, was ich gerade tue. Es gibt ja auch so viele Sachen, die gar nicht im Film vorkommen - wir haben 380 Stunden Material gedreht.
Zum Beispiel?
Wir waren zum Beispiel bei Verschwörungstheoretikern. Die haben einen hanebüchenen Unsinn geredet. Und dann haben sie auch noch ihren seit 30 Jahren geschriebenen Gedichtband herausgeholt und daraus vorgelesen. Irgendwann konnte sich niemand mehr zusammenreißen - die Kameras und die Tonangel haben gewackelt, weil alle lachen mussten. David hat dann einen Hustenanfall vorgespielt und ist raus. Dadurch, dass man ernst bleiben musste, waren solche Situationen noch absurder.
Was war das heftigste Erlebnis, das Sie im Rahmen der Dreharbeiten hatten?
Das ist schwierig zu beantworten. Heftig fand ich auf jeden Fall die massiven Reaktionen in einer Masse wie auf der Fanmeile - dass die Leute gleich den Grüß-Reflex hatten und die Hände hochgerissen haben. Aber genauso fand ich es heftig, wenn Leute mich umarmt haben. Oder das Gespräch, in dem einer erklärt, man solle Menschen zum Arbeiten zwingen. "Ja, machen wir Arbeitslager. Das habe ich ja schon 1933 gemacht. Würden Sie mich da unterstützen?", habe ich darauf als Hitler gesagt. Und er hat "Ja" geantwortet. Das ist schon heftig.
Im Film wird mehrfach auch auf sehr aktuelle Geschehnisse Bezug genommen - bis hin zu den jüngsten Randalen gegen Flüchtlinge. Ist das Fazit alles in allem, dass Deutschland nichts aus der Geschichte gelernt hat?
Ich glaube, der Mensch ist generell sehr resistent dagegen, aus der Geschichte zu lernen. Das Geschichtsbewusstsein geht schnell flöten - und die gleichen Dinge passieren immer wieder.
Was sollten die Zuschauer von "Er ist wieder da" aus dem Film mitnehmen?
Dass sie darüber diskutieren, warum die bürgerliche Mitte so schnell so weit nach rechts rückt und sich wieder traut, neben dem Typen, den ich da spiele, schlimme Dinge zu sagen. Und dass sie erkennen, dass die Demokratie ein fragiles Gut ist, das wir uns hart erarbeitet haben und das man beschützen muss. Dann wäre einiges erreicht.
Mit Oliver Masucci sprach Volker Probst
"Er ist wieder da" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de