Die Zukunft der Vermarktung? Kaiser Chiefs gehen neue Wege
11.07.2011, 09:34 Uhr
Nach drei Jahren zurück: Die Kaiser Chiefs.
(Foto: Danny North / Universal Music)
Die Kaiser Chiefs haben ein neues Album. Doch statt über die Musik auf dem vierten Werk der Indie-Rocker reden viele mehr über die Art und Weise, wie "The Future Is Medieval" auf den Markt gebracht wurde. Auch Sänger Ricky Wilson schwärmt im n-tv.de Interview von der Idee.
Die Zukunft ist mittelalterlich. Das jedenfalls behaupten die Kaiser Chiefs mit dem auf einer Gedichtzeile beruhenden Titel ihres soeben erschienen vierten Werks "The Future Is Medieval". Man könnte das als bewusstes Paradoxon interpretieren. Nicht nur, dass die Musik auf dem Album von Schalmeienklängen selbstredend weit entfernt ist, nein, die Band aus dem englischen Leeds hat auch bei der Vermarktung nicht gerade den Rückwärtsgang eingeschlagen.
Vielleicht wäre deshalb ein anderes geflügeltes Wort als Name passender gewesen: The Future Is Unwritten. Für die gebeutelte Musikindustrie stimmt das allemal. CDs gelten als Auslaufmodell, während der digitale Musik-Vertrieb mittlerweile Jahr für Jahr zweistellige Wachstumsraten einfährt. Zugleich jedoch ächzt die Branche unter einem allgemeinen Umsatzrückgang. Denn auch wenn immer mehr Menschen sich Songs und Alben im Internet kaufen - die Verluste, die durch illegale Downloads und das Teilen der MP3-Sammlungen von Nutzern entstehen, kann das nicht kompensieren. Gesucht werden daher neue Konzepte und Ideen, die dafür sorgen, dass es auch künftig in der Kasse klingelt.

Für das neue Album brauchte die Gruppe einen Motivationsschub.
(Foto: Danny North / Universal Music)
Möglicherweise hat ja der Ansatz der Kaiser Chiefs Modellcharakter: Rund vier Wochen vor der Veröffentlichung der 13 Songs umfassenden CD stellten sie 20 Lieder auf ihrer Internetseite zum Download bereit. Diese kann jeder anspielen, sich für seine zehn Lieblingsstücke entscheiden und diese zehn wiederum für 7,50 Pfund (etwa 8,40 Euro) herunterladen. Da auch das Cover bis zu einem gewissen Grad individuell gestaltbar ist, kann man sich so sein ganz eigenes Kaiser-Chiefs-Album zusammenfügen. Das mag man einfach nur für sich behalten und auf CD brennen - oder aber auch anderen im Internet zum Kauf anbieten. Schließlich hat ja vielleicht nicht jeder Lust auf die ganze Bastelei. Und für den Urheber kann es sich lohnen: Für jeden Download der von ihm kreierten Version des Albums bekommt er von der Band ein Pfund zurück. Verkauft er also nur acht Stück, hat er seine Investition schon wieder locker drin.
"Das ist schon verrückt. Denn wenn man darüber nachdenkt, ist es eigentlich sehr einfach", sagt Sänger Ricky Wilson im n-tv.de Interview. Dass sich unser Gespräch weniger um die Musik auf dem neuen Album und mehr um die Art und Weise seiner Veröffentlichung dreht, ist kein Problem für ihn. Im Gegenteil: Der Kaiser-Chiefs-Frontmann ist auf die Idee stolz wie Bolle.
n-tv.de: Zwischen eurem letzten Album "Off With Their Heads" und eurem neuen Werk "The Future Is Medieval" lagen rund drei Jahre. Was habt ihr in der Zeit gemacht?
Ricky Wilson: Nun ja, nach der Veröffentlichung von "Off With Their Heads" sind wir echt lange mit dem Album getourt. Danach haben wir erst einmal für knapp sechs Monate nichts gemacht. Wir hatten uns mit der Band seit 2004 eigentlich keine Pause gegönnt. Insofern war es wirklich mal schön, ein wenig Freizeit zu haben. Aber das waren echt nur sechs Monate. Dann haben wir auch schon mit der Arbeit an "The Future Is Medieval" angefangen. Die 20 Songs dafür zu schreiben und aufzunehmen und die Webseite an den Start zu kriegen, hat ziemlich lange gedauert, mindestens eineinhalb Jahre.
Du sagst, ihr habt sechs Monate "nichts" gemacht. Wie sieht denn Nichtstun bei euch aus?
Das hat viel mit Fernsehen und dem Sofa zu tun. Und ich habe auch ein wenig Ferien gemacht. Aber darunter darf man sich jetzt nicht Barbados oder so vorstellen. Ich bin einige Wochen durch Schottland gefahren. Zudem war ich mal in New York und in Cornwall, wo ein Freund von mir wohnt.
Die ungewöhnliche Art, wie ihr "The Future Is Medieval" veröffentlicht habt, hat für einiges Aufsehen gesorgt. Wie seid ihr auf die Idee dazu gekommen?
Wir haben in einem Restaurant gesessen und über die Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sahen, gesprochen. Eines davon war, dass ich die Band motivieren wollte, auf ein neues Album zu brennen und es nicht nur zu machen, weil man es eben machen muss. Wir brauchten etwas Neues, eine neue Herausforderung. Ein anderes Problem war, dass die Leute keine Platten mehr kaufen, sondern sie stehlen. Ich habe dafür durchaus Verständnis. Ich verstehe, dass das mit der digitalen Musik eine fantastische Sache ist. So einfach. Und je einfacher es wird, umso geringer wird der Wert von Musik. Wir wollten dem Konsum von Musik wieder einen gewissen Wert zuzuschreiben. Und es dadurch gleichzeitig auch für uns wieder spannend machen. Unsere Idee war die Antwort auf diese Probleme.
Einige werden sagen, dass das Ganze vor allem eine gute Marketing-Strategie ist …
Ja, das stimmt. Aber das hatten wir am Anfang gar nicht auf dem Schirm. Wir dachten nur: Das ist Wahnsinn, und waren besorgt, dass unsere Plattenfirma die Idee ablehnen würde. Schließlich mussten wir sie überzeugen, dass sie dafür zahlt. Alleine hätten wir das nicht stemmen können. Die Plattenfirma hat sich sicher Gedanken darüber gemacht, was passieren wird. Und erst als sie zugestimmt hat, wurde uns allmählich klar, dass das Ganze auch als Marketing-Strategie wunderbar funktioniert. An dem Tag, an dem wir die Webseite gelauncht haben, wurden wir auf einmal von einer Band, über die gerade keiner wirklich spricht, zur meistdiskutierten Band im Internet. So haben wir es über Nacht geschafft, uns zurück ins Bewusstsein zu rufen.
Du hast die Probleme für Bands und Labels im Zeitalter digitaler Musik angesprochen. Andere Bands wie Metallica haben sich unbeliebt gemacht, weil sie seinerzeit rigide gegen die Tauschbörse Napster vorgingen. Was denkst du darüber?
Ich glaube, bei Metallica waren die Leute damals sauer, weil sie dachten, Metallica würden das wegen des Geldes machen. Die Leute dachten, sie wären gierig. Aber ich weiß, dass das nicht stimmt. Es geht bei der ganzen Sache nicht um das Geld an sich. Es geht um einen Wert. Und ich meine nicht den monetären Wert.
Sondern?
Eine Band arbeitet hart, um etwas auf die Beine zu stellen und es den Leuten zu geben. Im Gegenzug will sie etwas bekommen, das dem Ganzen einen Wert verleiht. In unserer Gesellschaft ist das nun mal häufig das Geld. Ich glaube: Wenn man sich etwas umsonst nimmt, hat es oft keine Bedeutung und keinen Wert für einen. Wenn ich im Internet ein Album stehle und in mein iTunes lade, habe ich nicht das Gefühl, dass es zu mir gehört und ein Teil von mir ist. Es ist einfach nur da. Und deswegen höre ich es auch gar nicht, verbringe keine Zeit damit und investiere keinen Teil von mir selbst hinein. Das ist das Problem an den digitalen Downloads: Die Leute haben bei ihnen keine so emotionale Bindung zur Musik wie wenn sie sie in einem Laden kaufen.
Das klingt jetzt aber sehr Internet-kritisch …
Nein, nein, ich verstehe beide Seiten. Natürlich ist das fantastisch: Man kann eine Band gründen, einen Song aufnehmen, ihn ins Internet stellen und jeder kann ihn hören. Man braucht keinen Plattenvertrag und keinen Vertrieb. Das ist in vielerlei Hinsicht einfach nur wunderbar.
Wie viele Leute haben sich denn schon auf eurer Webseite ihr eigenes Kaiser-Chiefs-Album zusammengestellt und heruntergeladen?
Ich sag' mal: eine Milliarde.
Trotzdem habt ihr nun auch eine CD-Version von "The Future Is Medieval" veröffentlicht. Warum?
Keine Frage: Die Idee mit den 20 Songs im Internet war super. Und ich bin darauf auch so stolz wie auf sonst nichts in meinem Leben. Aber es hätte sich nicht richtig angefühlt, wenn es nicht auch noch eine CD gegeben hätte. Uns geht es in keinster Weise darum, physische Veröffentlichungen zu torpedieren. Wir wollen die Leute eher dazu bringen, dass sie sich erinnern, wie toll es ist, eine physische Veröffentlichung zu haben. Manche Leute kritisieren uns dafür, dass wir jetzt die CD nachgeschoben haben. Aber, weißt du, ich spiele in einer Band - und ich habe immer noch diese emotionale Bindung zur CD.
Die haben andere auch zur Schallplatte. Du bist 1978 geboren, hast in deiner Jugend also den Umbruch von Schallplatten zu CDs noch gerade so miterlebt. Hast du je eine Schallplatte gekauft?
Ja, das erste Album, das ich gekauft habe, war eine Schallplatte: Culture Club.
Echt, Culture Club?
Ja, ich glaube, manche Leute lügen, wenn sie nach ihrem ersten Album gefragt werden. Aber ich stehe dazu: Mein erstes Album war von Culture Club. Und das erste Konzert, auf dem ich war, war von Paul Simon. Ich denke, so wie ich an der Schnittstelle zwischen Schallplatten und CDs gestanden habe, so stehen die Kids heute an der Schnittstelle zwischen CDs und digitaler Musik. Es ist eine ziemlich interessante Zeit. Sie ist nicht gut für Plattenverkäufe, aber so ist das halt. Die Zeiten ändern sich. Wir wollen keine Band sein, die hängenbleibt und das Unausweichliche ignoriert. Ich bin lieber vornedran, als in alten Denkweisen zu verharren.

Lang ist's her: So sahen die Kaiser Chiefs zu Beginn ihrer Karriere aus.
(Foto: Andy Fallon / Universal Music)
Nochmal zurück zur CD-Version von "The Future Is Medieval", auf der 13 Songs sind. Wie habt ihr die zusammengestellt?
Das war das Ergebnis langer Gespräche innerhalb der Band. Wir konnten nicht alle 20 Songs da raufpacken. Ich glaube nicht, dass einfach nur "mehr" funktioniert. Eine CD sollte eine Länge haben, die traditionell üblich ist, damit man beim Hören auch die Aufmerksamkeit nicht verliert. Jeder von uns wollte, dass bestimmte Songs auf die CD kommen. Aber wenn man eine Band ist, muss man sich austauschen und Kompromisse schließen. Und ich finde, dass wir ein tolles Album gemacht haben, auf dass ich wirklich stolz bin.
Habt ihr euch dabei von den Downloads der Songs von der Webseite inspirieren lassen?
Nein, nicht wirklich. Wir haben schon mit dem Gedanken gespielt, die Leute darüber entscheiden zu lassen, welche Songs auf das Album kommen. Und vielleicht wäre das symbolisch auch eine gute Sache gewesen. Aber am Ende des Tages mussten wir ehrlich mit uns selbst sein und als Band entscheiden. Hätten wir das nicht gemacht, dann wäre es aus meiner Sicht wirklich nur noch totales Marketing gewesen.
Euren bislang größten Hit hattet ihr vor vier Jahren mit "Ruby". Ich muss sagen, als vergangenes Jahr die Ruby-Affäre von Silvio Berlusconi publik wurde, ging mir der Song dauernd im Kopf rum. Hättet ihr je gedacht, dass ir mal den Soundtrack zu einer Sex-Affäre liefern würdet?
Na klar, wir wussten schon lange davon. Genau darum geht es in dem Song ... Nein, im Ernst: Das war natürlich ein toller Song für uns. Als wir ihn geschrieben haben, dachten wir: Das ist wirklich, wirklich "catchy". Vielleicht sogar zu "catchy". Aber wenn man auf so etwas kommt, kann man das nicht ignorieren. Das muss irgendwie groß rauskommen. Und so ist es dann ja auch passiert. Der Song lief monatelang im Radio. Vielleicht haben die Leute ihn ein bisschen zu oft gehört. Aber wenn wir ihn jetzt zum Beispiel bei Festivals spielen, drehen die Leute dazu immer noch durch.
Von "Ruby" zu den Songs auf eurem neuen Album. In vielen Besprechungen wird "The Future Is Medieval" als ziemlich düsteres Werk beschrieben. Siehst du das auch so?
Nun ja, ich glaube, dass wir eigentlich schon immer ziemlich düster waren. Wir sind am glücklichsten, wenn wir uns mit düsteren Sachen befassen. Auch bei Songs wie "I Predict A Riot" oder "Everyday I Love You Less And Less" geht es um düstere Themen. Aber in der Vergangenheit hatten wir eben häufiger lustige Pop-Melodien, wegen derer die Leute dann womöglich die Texte nicht so wahrgenommen haben. Jetzt haben wir beides vielleicht etwas näher zusammengebracht. Wir schreiben einfach keine guten Songs über den Sonnenschein und Blumen. Wir sind gut, wenn wir über das wahre Leben schreiben. Ein deutscher Journalist hat zu mir mal gesagt, wir würden über "Urban Paranoia" schreiben. Das gefällt mir irgendwie.
Ich muss zugeben, dass mir beim Hören des Albums immer wieder bruchstückhaft Erinnerungen vor allem an die frühen 80er-Jahre ins Gedächtnis kamen - hier mal an David Bowie oder Bauhaus, dort an Devo und da an Adam And The Ants. Liege ich da völlig falsch?
Nein, nein. Ich glaube, der Trick, um eine gute Band zu sein, ist, von vielen verschiedenen Dingen immer ein bisschen zu haben und nicht eine Sache zu kopieren. Und was zum Beispiel David Bowie angeht, war er definitiv schon immer ein Einfluss für uns - nicht nur weil wir auf dem neuen Album nun auch mit Tony Visconti (Musikproduzent und langjähriger Wegbegleiter von David Bowie, Anm. d. Red.) zusammengearbeitet haben. Wir mögen den frühen, kantigen Sound von Musik. Insofern: Ich stimme einfach nur zu - bei allem, was du gesagt hast.
Was Adam Ant angeht, habe ich mal gelesen, dass er ein Comeback anstrebt und dafür gern mit euch zusammenarbeiten würde. Was ist daraus geworden?
Keine Ahnung. Ich habe ihn mal getroffen, aber ich glaube, dass er etwas zu meschugge für uns ist. Außerdem sind wir nicht wirklich gut im Zusammenarbeiten. Wir funktionieren als Band so gut, weil es bei uns für alles eine Person gibt. Das geht mit Außenstehenden nicht wirklich gut zusammen.
Quelle: ntv.de